Beitrag zum Runden Tisch „Urbane Mitte“ am 23.09.2023

von Matthias Bauer

Im folgendem die zwölf Folien und mein Text vom vergangenen Samstag beim Runden Tisch in der Stadtwerkstatt auf dem Dragonergelände, die ich für die „Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck e.V. – Initiative Gleisdreieck Retten“ vorgetragen habe. Ich habe den Text freigesprochen und erst im Nachhinein aufgeschrieben, so dass er sich in den Formulierungen sicher etwas unterscheidet. Außerdem habe ich nachträgliche Ergänzungen eingefügt, die als solche gekennzeichnet sind.

Erste Folie

Winter 2020/2021. Die zweite Auslegung des Bebauungsplan Urbane Mitte steht an, diesmal nur für den südlichen Teil „Bebauungsplan VI-140cab Urbane Mitte Süd”“ genannt. Aus formalen Gründen muss die Auslegung von November 2020 im Januar 2201 wiederholt werden. Mit kleinen Plakaten am Bauzaun machen wir die Parkbesucher aufmerksam auf die Möglichkeit Stellung zunehmen zu den Planungen, von denen die meisten noch nichts wussten. Glücklicherweise entdeckten die Mitarbeiter der Urbanen Mitte Besitz S.à.r.l. unsere Plakate nicht sofort, so dass sich insgesamt 578 Personen mit Stellungnahmen am Bebauungsplanverfahren beteiligten.

Zweite Folie

Von den 587 abgegeben Stellungnahmen habe sich 8 positiv anerkennend zu den Planungen geäußert, 579 kritisch ablehnend. Die 587 Stellungnahmen wurden von dem Abwägungsteam mit Clustern „C01 wie Zustimmung“ bis „C82_kein_Gegenstand des Bebauungsplan“ klassifiziert. Auf den nächsten Folien wird die Abwägung anhand einzelner Beispiele dargestellt.

Dritte Folie

Von den acht zustimmende Stellungnahmen dürften genau genommen nur sieben zählen, den einer der acht legte Wert darauf, dass auch Wohnungen gebaut werden sollten. In der Abwägung unter „C01_ Zustimmung“ heißt es wörtlich:

Die positiven und wertschätzenden Stellungnahmen werden gerne zur Kenntnis genommen.

Es ist natürlich menschlich, dass die Autoren des Bebauungsplans, die nun die Stellungnahmen zu dem von ihnen entwickelten Plan bewerten sollen, sich über Zustimmung zu ihrer Arbeit freuen. Und es zeugt von Ehrlichkeit, dass sie es uns mitteilen mit dem oben zitierten Satz. Gleichzeitig ist es jedoch auch ein Zeichen dafür, dass die anderen 579 eben nicht gerne zur Kenntnis genommen wurden. Ein erster Beleg dafür, das die Abwägung nicht unvoreingenommen und unparteilich erfolgte.

Vierte Folie

„Bitte machen Sie unseren Gleisdreieck Park nicht kaputt! Wir wollen den erhalten bleiben. Es ist unsere mini-biotop. Bitte NICHT in der Mitte des Parks 7 überdimensionierte Hochhäuser bauen!“

Eine von vielen Stellungnahmen, die das Bauvorhaben mit den sieben Hochhaustürmen als Gefährdung des Parks sehen. Das Stadtentwicklungsamt Tempelhof-Schöneberg hat übrigens das gleiche gesagt, nur eben mit den Worten von Stadtplanern ausgedrückt:

Lage, Dichte und Höhe der zulässigen Bauten werden sich negativ auf den angelegten “Park am Gleisdreieck – Westpark” auswirken. Hierzu gehören Nachteile, die durch Verschattungen entstehen sowie die bedrängende Wirkung der geplanten Gebäudetürme . . .“

Interessant, dass das Cluster „C02_Ablehnung_Kenntnisnahme“ zwar insgesamt 438 mal vergeben wurde, aber nicht für diese Stellungnahme. „Bitte machen Sie unseren Gleisdreieck Park nicht kaputt!“ reicht nicht. Es fehlte wohl wohl der Satz „Ich lehne diese Planung ab“.

Die Abwägung reagiert mit drei Argumenten auf diese Stellungnahme:

  • C26_Gesamtentwicklung = 396 mal
  • C63_Park_Erhalt = 223 mal
  • C72_nur_VI-140cab = 296 mal

Hinter „C26_Gesamtentwicklung“ steckt der Hinweis auf die Ziele des städtebaulichen Rahmenvertrag von 2005, die in Frage gestellt würden, wenn man diese Stellungnahme berücksichtigte.

Im dem Cluster „C63_Park_Erhalt“ wird schlichtweg geleugnet, die geplanten Bauten könnten einen Einfluss auf den Park haben.

Das dritte Argument „C72_nur_VI-140cab“ lautet, die Stellungnahme habe sich zum Gesamtprojekt mit den sieben Hochhäusern geäußert, aber hier werde ja nur der Teilbebauungsplan für den südlichen Teil betrachtet.

Fünfte Folie

Der Westpark wird geprägt von den Bahnanlagen, insbesondere dem hochliegenden U-Bahnhof Gleisdreieck und den Viadukten der U1 und U2. Zusammen mit der westlichen Bebauung bilden sie den Raum des Westparks. Die Anlagen der Bahn und der Hochbahnen sind identitätsstiftend für den Ort. Deswegen wurde in vielen Stellungnahmen kritisiert, dass durch die Bauten der Urbanen Mitte die historischen Anlagen verdeckt und in den Hintergrund verdrängt würden. Das ist auch der Grund, warum der U-Bahnhof Gleisdreieck vor einigen Monaten auf die Rote Liste der bedrohten Baudenkmäler aufgenommen wurde.

In der Abwägung wird der Kritik folgendermaßen begegnet:

Die Belange des Denkmalschutzes wurden im Rahmen des Aufstellungsverfahrens des Bebauungsplans VI-140cab „Urbane Mitte Süd“ und in der Abwägung angemessen berücksichtigt.

Außerdem wird darauf hingewiesen, dass hier nur der südliche Teilbebauungsplan behandelt würde.

Ergänzung

In seinem Redebeitrag beim Runden Tisch am Samstag den 23. 09. hat der Architekt Markus Penell, Vertreter des Büros Ortner und Ortner behauptet, der Blick auf den U-Bahnhof Gleisdreieck würde sowie so schon durch den Bau des Bahnhofs für die S21 verstellt werden, so dass die Verdeckung durch die Hochhäuser keine Rolle spiele. Genauso war schon in der Abwägung auf die Stellungnahmen zur ersten Auslegung des Bebauungsplans 2016 argumentiert worden. Doch diese Argumentation wurde in der zweiten Abwägung fallen gelassen. Wahrscheinlich weil zu offensichtlich wurde, dass das Argument nicht stimmt. Der geplante neue Bahnhof für die S21 muss ja unter das Viadukt der U1 passen. Er muss also etwas niedriger sein als das vorhandene Gebäude des B-Parts, das den Blick auf den U-Bahnhof Gleisdreieck nur dann versperrt, wenn man unmittelbar davor steht.

Sechste Folie

Viele Bürgerinnen haben sich während der Auslegung des Bebauungsplans intensiv mit den ausgelegten Gutachten beschäftigt und dabei zahlreiche Fehler entdeckt. Dies betrifft die Gutachten zur Verschattung, Klima, Windkomfort, Verkehr. Am Beispiel des Gutachtens zum Windkomfort wird dies genauer dargestellt.

Die linke Abbildung stammt aus dem 2020/21 ausgelegten Gutachten zum Windkomfort. Orange-rot dargestellt sind die Flächen westlich der Urbanen Mitte, auf denen kein ausreichender Windkomfort mehr gegeben wäre. Viele Stellungnahmen kritisierten, dass bei der Modellierung der Windverhältnisse die angrenzende Bebauung auf dem Stand von 1987 war – ohne Potsdamer Platz, ohne die Bebauungen an Dennewitz- und Flottwellstraße, ohne das Yorckdreieck und den Möckernkiez.

Der Fehler konnte natürlich nicht abgestritten werden. Das Windkomfortgutachten wurde neu gemacht. Das mittlere Bild stammt aus dem neuen Gutachten. Aber diesmal wurden nicht die sieben Hochhäuser, sondern nur die beiden südlichen Türme berücksichtigt. Ergebnis: alles im grünen Bereich.

Der Gutachter hat noch ein zweites Gutachten erstellt, das jedoch nicht in der Abwägung berücksichtigt wird. Dieses zweite Gutachten berücksichtigt alle sieben Hochhäuser. Wir sehen auf der Abbildung rechts, dass der gesamte Westpark betroffen ist, als wolle man den komplett leerfegen. Der gleiche Trick, nur die Auswirkungen des südlichen Baufelds zu berücksichtigen, wurde auch bei den Gutachten zum Klima und zur Verschattung angewandt.

Ergänzung

Eigentlich sollten alle Unterlagen zum Bebauungsplan frei zugänglich sein. Die geänderten und neu verfassten Gutachten waren es jedoch nicht. Erst durch einen Antrag nach Informationsfreiheitsgesetz bekamen wir die Unterlagen ein paar Tage vor dem Runden Tisch. Die Gebühren für die Einsicht in die Unterlagen betragen 129,17 €.

Siebte Folie

Natur- und Artenschutz sollten eine große Bedeutung haben in einem seit Jahrzehnten grün regierten Bezirk. Wir sehen hier ein Bild aus einer Präsentation von Dr. Vogel aus dem Jahr 2014. Damals war das Grundstück grün, dass alte Ringbahn-Viadukt, dessen Gemäuer Fledermäuse und Vögel beherbergte, war noch nicht abgerissen. Auf dem Viadukt war u. a. die Sandstrohblume zu finden, eine Rote-Liste-Art.

Achte Folie

Auf dem nächsten Folie sehen wir das Titelbild der „artenschutzrechtlichen Untersuchung“ von 2017. Der Gutachter zeigt uns eine komplett abgeräumte Fläche. „Erst Roden, dann Begutachten“ – diese Vorgehensweise wurde in vielen Stellungnahmen kritisiert. Die Abwägung reagiert darauf rein formal. Die Rodungen hätten stattgefunden, bevor der Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan gefasst worden sei – obwohl die Vermutung nahe liegt, dass der Vorhabensträger wahrscheinlich absichtlich vorher das Gelände hat abräumen lassen. Dieser Umgang mit der Natur ist ein Skandal und im übrigen auch ein Verstoß gegen den städtebaulichen Rahmenplan von 2005, auf den in der Abwägung sonst immer so gern verwiesen wird. In §7 des städtebaulichen Vertrags heißt es, dass „unverzüglich“ eine Bestandsaufnahme auf den Bauflächen durchgeführt werden soll. Die Vivico, bzw. ihre Rechtsnachfolger hatten seit 2005 zehn Jahre Zeit gehabt, um diese durchführen.

Neunte Folie

Nutzung

In 316 Stellungnahmen wird bezweifelt, dass tatsächlich ein Bedarf für Büroflächen vorhanden ist. In 248 Stellungnahmen wird gefordert, Wohnungen zu bauen, wenn schon gebaut wird. Viele forderten auch bezahlbare Wohnungen.

In der Abwägung heißt es u. a.

Es ist nicht richtig, dass Büroflächen nicht mehr benötigt werden.

Zehnte Folie

Gegen die in der Abwägung geäußerte Einschätzung sprechen die realen Zahlen. Nach einer aktuellen Untersuchung von Jones Lang LaSalle Inc. stehen zur Zeit 1,05 Mio. m² Büroflächen leer, 2,1 Mio. m² Bürofläche sind im Bau.

Quelle: https://www.jll.de/de/trends-and-insights/research/bueromarktueberblick

Elfte Folie

Die 587 Stellungnahmen haben zu keiner Änderung der Planung geführt. Unverändert ist das Volumen mit 23.750 m² Bruttogeschossfläche und damit um 50% höher als im städtebaulichen Rahmenvertrag von 2005 vorgesehen. Der Rahmenvertrag sah eine GFZ (Geschossflächenzahl) von 3,5 vor. Auf dem südlichen Baufeld ist es nun eine GFZ von 5,1 geplant.

Die Nutzung, 70% Büro und 30 % sonstiges Gewerbe ist gleichgeblieben, ebenso die 100% Versiegelung. Nach wie vor sollen Tiefgaragen und Fundamente bis auf einem Meter an den Tunnel der Nord-Süd-S-Bahn heranreichen. Wenn da etwas passiert wie bei der U2 am Alexanderplatz wären 120.000 Fahrgäste von S1 und S2 betroffen – täglich. Kein Verständnis dafür, dass ein solches Risiko eingegangen wird.

Das Konzept ist nicht das richtige für den Ort – und kann auch nicht mit Greenwashing gerettet werden.

Zwölfte Folie

Deswegen fordern wir

  • Einstellung des Bebauungsplanverfahrens
  • Offener Neustart der Planung

Zum Schluss noch ein Hinweis für die Bezirksverordneten. Mit der Beschlussfassung für den südlichen Teil des Bebauungsplans könnte eine Vorentscheidung für das gesamte Projekt fallen. Denn auf Seite 1536 der Abwägung wird angedacht, den nördlichen Teil möglicherweise nach §34 Baugesetzbuch (unbeplanter Innenbereich) zu entwickeln – also ohne Bebauungsplanverfahren und ohne Bürgerbeteiligung.

Ergänzung

In der Pause des Runden Tisches hat Baustadtrat Florian Schmidt mich nach der Textstelle mit dem §34 gefragt, die ich ihm dann zeigte. In der späteren Diskussion hat er mir dann vorgeworfen, ich würde Falschinformation verbreiten.

Hier ist die Textstelle, die wir möglicherweise falsch verstanden haben, lesen Sie selbst auf Seite 1536 der Abwägung von Juni 2023:

2 Kommentare zu “Beitrag zum Runden Tisch „Urbane Mitte“ am 23.09.2023

  1. Danke an Matthias 👍 ich empfinde es als enorm Klasse mit welchem Enthusiasmus du dich diesem Wahnsinn entgegen stellst. Ich selbst wohne in Friedrichshain und hatte vor Jahren das Projekt: “Traumstrand küsst Hauptstadt” in Schöneweide realisieren wollen. Ich weiß nur zu gut, wie anstrengend es ist, mit der verlogenen und inkompetendeten berliner Amtswelt sich auseinander zu setzen. Ich denke, dass ich in meinem Leben noch niemals so sehr belogen wurde wie vom Beziksamt Köpenick und deren Würdenträgern. Ich habe resigniert. Aufgegeben.
    Ich wünsche dir weiterhin viel Kraft und Erfolg beim stoppen dieses Wahnsinnsprojekts.
    Bei uns soll die a100 vor der Tür gebaut werden. Dein Arrangement macht Mut sich weiter gegen dieses Wahnwitzige Projekt zu stellen.

    Weiter Machen.

  2. Absolut prima Herr Bauer. Erneut vielen Dank für Ihr großes Engagement und Durchhaltevermögen. Leute wie Sie bräuchte es in Berlin einfach auch öfter an entscheidender Stelle und nicht bloß als Chronisten der Katastrophe im Off!
    Dass der Baustadrat Schmidt und sein Amt durch das Projekt “Urbane Mitte” heillos überfordert sind, drängt sich einmal mehr auf. Das, was aus dieser Richtung unter extrem fragwürdiger Sorgfalt- mitunter spekuliert- bislang vorgelegt worden ist, muss doch jedem Bezirksverordneten, der sich der Sache einmal halbwegs genau und unvoreingenommen annimmt, die Haare zu Berge stehen lassen:
    Exemplarisch hierfür einmal wieder das Thema der kompletten Baustellenlogistik per Straße herausgegriffen- ein Thema was ja wirklich teilbauplan-, partei- und bezirkübergreifend verfangen sollte und die “völlig unvoreingenommene” “Machbarkeits”studie hierzu ist wieder gnadenlos unter den Tisch gekehrt worden. Hat Ortner und Ortner in der Vorstellung des Baustadtrats und seines Amtes ein noch streng geheimes Patent zur Herstellung von Beton aus Berliner Luft in der Hinterhand, wenn es darauf ankommt? Schon wirklich ein unglaublich abstruses Maß an mangelhafter Sorgfalt- schlichtweg “Adventusrism”- an den entscheidenden Stelle im Amt bei den Abklärungen und die Einwohner der drei Bezirke dürfen es nachher jahrelang durch chaotische Zustände ausbaden. Dem Quatsch muss ein gewählter Bezirksverordneter doch einfach einmal den Stecker ziehen.

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