Zweit-Gutachten veröffentlicht

Kritisches Gutachten zum Bebauungsplan Urbane Mitte Gleisdreieck durch zweites Gutachten bestätigt

Seit dem 22.12.2023 lag es dem Bezirksamt schon vor, das Zweit-Gutachten, mit dem das von der Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck e.V. und den Naturfreunden Berlin e.V. beauftragte Gutachten vom August letzten Jahres auf seine Richtigkeit geprüft werden sollte. Im dem Gutachten von August kam Dr. Philipp Schulte zu dem Ergebnis, dass der städtebauliche Rahmenvertrag Gleisdreieck von 2005 eine unzulässige Vorabbindung beinhaltet, weil er das Bauvolumen schon vor Beginn des Bebauungsplanverfahren festlegt und Schadensersatz vorsehe für den Fall, dass das Bauvolumen nicht zustande käme.
Dies verstoße gegen den §1 Absatz 3 des Baugesetzbuches, in dem es heißt:

. . . Auf die Aufstellung von Bauleitplänen und städtebaulichen Satzungen besteht kein Anspruch; ein Anspruch kann auch nicht durch Vertrag begründet werden.

Nun endlich steht das Zweitgutachten von Prof. Dr. Jörg Beckmann zur Verfügung. Im Kern bestätigt es das Gutachten von Dr. Philipp Schulte. Zwei Auszüge:

“Allerdings verstößt die Bestimmung der „Sicherung“ gemäß Ziff. 11.1.3 Satz 2 des städtebaulichen Rahmenvertrages in der Fassung der 3. Ergänzungsvereinbarung aus dem Jahr 2021 nach dem Ergebnis der hiesigen Rechtsprüfung (mittelbar) gegen das Verbot der unzulässigen Planbindung aus § 1 Abs. 3 S. 2, 2. Halbsatz BauGB und ist daher unwirksam.” (S. 71)

und weiter

“Abschließend sei darauf hingewiesen, dass es zweifelhaft erscheint, ob eine entsprechende Abwägung auf der Grundlage der Begründung des Bebauungsplans VI-140cab mit Stand vom 01.06.2023 den vorstehend genannten Anforderungen genügen würde. Denn die Begründung erweckt an mehreren Stellen den – nach dem Ergebnis der Rechtsprüfung zu I.) – unzutreffenden Eindruck, dass der städtebauliche Rahmenvertrag das Nutzungsmaß bereits mit Verbindlichkeit für das Bebauungsplanverfahren „vorgegeben“ hat und es sich folglich bei den beabsichtigten Festsetzungen nicht um eine ergebnisoffene Abwägung, sondern um rein arithmetische „Ableitungen“ aus dem städtebaulichen Rahmenvertrag handelt.” (S. 82)
Quelle: Rechtsgutachten zur Bedeutung des städtebaulichen Rahmenvertrags zum Gleisdreieck vom 27.09.2005 für die Abwägung des Bebauungsplans VI-140cab „Urbane Mitte Süd“ des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin, von Prof. Dr. Jörg Beckmann, Berlin, 22.12.2023

Das Wichtigste ist für uns festzuhalten, dass die Bezirksverordneten nun frei von Angst vor Schadensersatz in dreistelliger Millionenhöhe über den Bebauungsplan Urbane Mitte entscheiden können. Darüber freuen wir uns sehr. Es ist ein Erfolg für die vielen Spender, die unser Gutachten möglich gemacht haben. Danke allen. Mit dem Gutachten haben wir gleichzeitig Senat und Bezirk vor einem schweren Fehler bewahrt, nämlich einen Bebauungsplan zu verabschieden, der offensichtlich auf rechtswidrige Weise zustande gekommen ist – und der vor Gericht keinen Bestand gehabt hätte.

Es war die Angst vor Schadensersatz, die die Debatten in den bezirklichen Gremien und in der Öffentlichkeit in den letzten Jahren seit 2014 bestimmt hat. Immer wieder wurden dabei hohe Summen aufgerufen. Noch als Staatssekretär hat Senator Gaebler in seiner Antwort auf eine Anfrage im Abgeordnetenhaus die Zahl von 150 Mio. € in Umlauf gebracht:

. . . Die Projektträgerin hat nach einer ersten Einschätzung zum Bodenwert und zu den von ihr erbrachten Planungsleistungen eine Entschädigungssumme von ca. 150 Mio. € errechnet . . .
Quelle: https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/19/SchrAnfr/S19-13704.pdf

Und in einem Gespräch mit dem Tagesspiegel hatte Baustadtrat Florian Schmidt gewarnt:

„Wer das grundsätzlich in Frage stellt, muss sich mit erheblichen Entschädigungen auseinandersetzen, die vom Land Berlin aufzubringen wären.“ (Tagesspiegel vom 10.2.2021) .

Solche bedrohlichen Aussagen werden wir in Zukunft wohl nicht mehr hören. In den nächsten Monaten wird geklärt werden müssen, warum die Experten in Senats- und Bezirksverwaltung jahrelang mit dem Hinweis auf die Pflicht zum Schadensersatz die Umsetzung des städtebaulichen Vertrags von 2005 als alternativlos darstellten, obwohl dies offensichtlich rechtswidrig war.

Wie es weitergeht, ist noch nicht klar. Das Gutachten von Prof. Dr. Jörg Beckmann betont, dass die anderen Teile des städtebaulichen Vertrags von 2005 gültig bleiben.

Wir sind gespannt, wie z. B. der §7 des städtebaulichen Vertrags umgesetzt werden soll, indem es heißt, dass „unverzüglich“ eine Bestandsaufnahme (von Flora und Fauna) auf den Bauflächen durchgeführt werden soll – die dann aber nie stattfand. Der Artenschutzgutachter im Rahmen der Bebauungsplanung wurde erst beauftragt, nach dem in den Jahren 2014 und 2015 das Grundstück der Urbanen Mitte komplett abgeräumt worden war. Auch das war typisch für die Experten in den Verwaltungen, dass sie in Fragen des Bauvolumens immer auf die Pflicht zum Schadensersatz pochten, bei anderen Verstößen, wie den gegen den §7 des Vertrags aber einfach untätig blieben.

Die Pressemitteilung des Bezirks gibt einer ersten Anhaltspunkt, wie es weitergehen könnte: die Begründung des Bebauungsplanentwurfes VI-140cab (Urbane Mitte Süd) soll überarbeitet werden. Doch es ist sehr fraglich, ob das Bebauungsplanverfahren so gerettet werden kann, da es von Anfang mit dem Fehler der Vorfestlegung durch den städtebaulichen Rahmenvertrag infiziert war.

Klarer wäre ein Stopp des jetzigen Bebauungsplanverfahren und ein Neustart der Planungen mit veränderter Zielsetzung: weniger Bauvolumen, gemeinwohlorientierte Nutzungen, Rücksicht auf die ökologischen Funktionen des Parks, keine Verschandelung der historischen Kulisse, Erhalt der Aufenthaltsqualität im Park.

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3 Kommentare zu “Kritisches Gutachten zum Bebauungsplan Urbane Mitte Gleisdreieck durch zweites Gutachten bestätigt

  1. Prima.
    Dass der vom Bezirk beauftragte Gutachter das gesamte Bebauungsplanverfahren seines Auftragsgebers nicht in Bausch und Bogen verdammt, scheint jetzt erst einmal nicht überraschend, aber im Punkt der Entschädigung scheint ja eine Meinung zu herrschen, was unter Juristen ja mehr als selten vorkommt.
    Verrückt hingegen liest sich in meinen Augen der letzte Absatz der verlinkten Pressemitteilung des Bezirksamts:
    Von dort geht es also mit dem Verfahren weiter wie bisher. Per “Creative Writing” und anschließendem Änderungsbeschluss sollen die Fehler der vergangenen 18 Jahre aus der Vorlage getilgt und diese nachträglich rechtskonform geschrieben werden, wenn ich das richtig verstehe? Diese Verrückten im Bauamt an der Yorckstraße immer wieder… Der öffentliche Bedienstete, der sich mit dieser “dankbaren” Aufgabe betraut sieht, sollte sich besser vor Aufnahme selbst einmal anwaltlich zu seinen Dienstpflichten beraten lassen.
    Wollen wir hoffen, dass die BVV dieses Unterfangen mit einem stalinistischen Ablehnungsvotum bachab schickt und dem Unsinn ein Ende bereitet.
    Eine Farce.

  2. Super! Ich bin sehr froh über das Ergebnis des 2. Gutachtens, über die Richtigstellung und dass die Bezirksverordneten jetzt FREI entscheiden können. Jetzt gibt es die Möglichkeit, KLEINER zu denken und sozialer zu bauen. Wir bleiben aufmerksam!

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