Die Quadratur des Gleisdreiecks

Rückblick auf das Jahr 2024

Die ersten Monate des Jahres 2024 waren geprägt von Aktivitäten, öffentlicher Diskussion und der Hoffnung, dass eine Alternative zu den Planungen der Urbanen Mitte am Gleisdreieck entwickelt werden könnte. Nach dem der Senat im Juni den Bebauungsplan Urbane Mitte Süd an sich zog, verschwand mit der Hoffnung auch das Thema aus der Öffentlichkeit. Manche glaubten schon, das Thema hätte sich erledigt, was leider nicht der Fall ist. Im folgenden nun unser Rückblick auf die Ereignisse des vergangenen Jahres:

Im Januar 2024 kam das vom Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg beauftragte Gutachten von Prof. Dr. Beckmann [Kanzlei GGSC] zu dem Schluss, dass der Entschädigungsmechanismus, wie er im städtebaulichen Vertrag Gleisdreieck von 2005 vorgesehen war, nicht zulässig ist. Das bedeutet, dass wenn das Bauvolumen der Urbane Mitte geringer ausfalle als im städtebaulichen Vertrag von 2005 vorgesehen, die Investoren keinen Schadensersatz verlangen könnten.

Auf diese Nachricht hatten die Bezirksverordneten und die interessierte Öffentlichkeit monatelang gewartet. Seit September 2023 war in den Ausschüssen der Bezirksverordnetenversammlung der beschlussreife Bebauungsplan Urbane Mitte Süd immer wieder vertagt worden. Erst müsse geprüft werden, ob das von der Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck und den Naturfreunden im August 2023 vorgelegte Gutachten von Dr. Philipp Schulte stimme. Der Baustadtrat hatte sich auf dem Runden Tisch im September 2023 schon geäußert, das Gutachten sei „nicht belastbar“. Und der Anwalt des Anwalt des Vorhabenträgers hatte ein Gegengutachten präsentiert.

Umso größer war dann im Januar 2024 die Freude, als durchsickerte, dass es eben doch belastbar war. Zwar argumentiert das Gutachten von Prof. Dr. Beckmann etwas anders als das von Dr. Philipp Schulte, kam aber letztlich doch zum gleichen Ergebnis. Zitat aus dem Gutachten von Prof. Dr, Beckmann:

Allerdings verstößt die Bestimmung der „Sicherung“ gemäß Ziff. 11.1.3 Satz 2 des städtebaulichen Rahmenvertrages in der Fassung der 3. Ergänzungsvereinbarung aus dem Jahr 2021 nach dem Ergebnis der hiesigen Rechtsprüfung (mittelbar) gegen das Verbot der unzulässigen Planbindung aus § 1 Abs. 3 S. 2, 2. Halbsatz BauGB und ist daher unwirksam.” (Seite 71 des Gutachtens von Prof: Dr. Beckmann)

Am 31.01.2024 verabschiedete dann die Bezirksverordnetenversammlung einen Antrag mit dem Titel

Urbane Mitte neu denken: Bebauungsplanverfahren ergebnisoffen gestalten

[siehe https://gleisdreieck-blog.de/2024/02/02/urbane-mitte-neu-denken/]

Danach sollten in einem ergebnisoffenen Prozess unter Einbeziehung von fachkundigen Expert*innen und der Zivilgesellschaft die Planung den aktuellen Bedarfen (z.B. bezahlbares Wohnen, soziale Infrastruktur, Grünflächenerhalt) und klimapolitischen Notwendigkeiten angepasst werden.

In ihrer Rede in der BVV am 31.01.24 sagte Sarah Jermutus, Fraktionsvorsitzende der Grünen in Friedrichshain-Kreuzberg:

. . . es ist bei weitem nicht das erste Mal, dass wir hier über die Urbane Mitte reden, es ist aber das erste Mal, dass wir darüber reden ohne dass hohe Entschädigungszahlung im Raum stehen. Und diese Entschädigungssumme, angeblich in dreistelliger Millionenhöhe, was der Bezirk definitiv nicht leisten kann, was auch immer klar war, hat bisher sehr stark die Debatte darüber geprägt . . .“

[Quelle: YouTube-Aufzeichung BVV 31.01.24, https://www.youtube.com/watch?v=GsSWlvogako&t=16s]

Und Gaby Gottwald von den Linken beschrieb, wie der Senat in der Vergangenheit immer wieder die Drohung des Schadensersatzes, z. B. im „Prüfbericht“ genutzt habe, um Druck auf den Bezirk auszuüben.

Durch einen weiteren Beschluss der BVV Anfang März wurde dann eine Steuerungsgruppe gebildet, zur Vorbereitung einer öffentlichen Planungswerkstatt, die noch vor den Sommerferien stattfinden sollte. An der Steuerungsgruppe nahmen Vertreter der BVV-Fraktionen teil, also von den Grünen, den Linken, der SPD, der CDU (die allerdings nur beim ersten Treffen teilnahm) und der der Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck e.V.. Auf das konstituierende Treffen folgte ein Ortstermin, bei dem insbesondere über die Planungen für die neue S-Bahnlinie S21 und die Regionalbahn nach Potsdam gesprochen wurde. Die Planungswerkstatt sollte noch vor den Sommerferien stattfinden. Als möglicher Termin wurde Samstag, der 13. Juli ins Auge gefasst, ein Tag ohne EM-Spiel und noch kurz vor den Sommerferien.

Auf weiteren Treffen wurde die Planungswerkstatt inhaltlich vorbereitet, Themen wie Eisenbahnplanung, Grün, Klima, soziale Infrastruktur, Gewerbe, Kultur u. a. besprochen. Mit der Zeit kamen Zweifel auf, ob das ambitionierte Programm noch vor den Sommerferien zu schaffen sei. Die Herausforderung, innerhalb kurzer Zeit kompetente Referenten für die einzelnen Themen zu finden zu finden und gleichzeitig die Öffentlichkeitsarbeit für eine große Veranstaltung zu leisten, war immens. Und das alles ohne Budget.

Am Montag, den 3. Juni 2024 wurden die Vorbereitungen der Planungswerkstatt dann jäh unterbrochen durch die Ankündigung des Senators Gaebler, dass er das Bebauungsplanverfahren Urbane Mitte Süd an sich ziehen werde. Danach sahen die BVV-Fraktionen keine Grundlage mehr, die Planungswerkstatt weiter vorzubereiten. Die Steuerungsgruppe stellte ihre Arbeit ein.

Konnte man es vorher wissen?

Anfang April hatte der Baustadtrat schon berichtet von einem Brief des Senators, in dem dieser angekündigt hatte, das Bebauungsplanverfahren an sich zu sehen: . .

„ . . . Ich behalte mir vor, das Verfahren an mich zu ziehen . . . “

[Link zum Dokument mit der Weisung, das Bebauungsplanverfahren Urbane Mitte Süd zeitnah zu ende zu führen vom 21.03.2024 – https://fragdenstaat.de/anfrage/bebauungsplanverfahren-vi-140cab-urbane-mitte-sued/]

Durch Akteneinsicht nach IFG in die Akte zum Bebauungsplanverfahren VI 140cab „Urbane Mitte Süd“ bei der Senatsverwaltung wurde dann später deutlich, dass dieses „An-Sich-Ziehen“ damals wohl schon längst beschlossene Sache war.

Schon im Oktober 2022 hatte die Senatsbaudirektorin die Verwaltung beauftragt, ein sogenanntes „Informationsersuchen“ an den Bezirk zusenden. Die Dringlichkeit machte sie in ihrer E-Mail deutlich mit dem Hinweis auf möglichen Schadensersatz:

„. . . . Ob ich Sie bitten, dürfte ein Schreiben aufzusetzen, das ich unterschreiben würde für ein Auskunftsersuchen an den Bezirk Friedrichshains-Kreuzberg zur Urbanen Mitte.
Das hatten wir mit Herrn X (Vertreter des Vorhabenträgers) besprochen und ich würde das jetzt einfach auch tun.
Nur zu Ihrer Information: der Schadensersatzanspruch von Herrn X (Vertreter des Vorhabenträgers) hat sich mittlerweile auf 100-150 Mio. € erhöht, da er seine verauslagten Kosten und seinen entgangenen Gewinn dort einrechnen kann . . .“

[Quelle Akteneinsicht nach IFG, https://fragdenstaat.de/anfrage/bebauungsplanverfahren-vi-140cab-urbane-mitte-sued/]

[Link zum Schreiben Informationsersuchen vom 15. November 2022, https://fragdenstaat.de/anfrage/bebauungsplanverfahren-vi-140cab-urbane-mitte-sued/]

Nach dem Beschluss der BVV am 31.01.2024 wurde in der Senatsverwaltung dann nicht mehr über weitere Informationsersuchen diskutiert, sondern gleich über eine Weisung an den Bezirk, den Bebauungsplan Urbane Mitte Süd zügig zu Ende zu führen. Das Kalkül schien von Anfang an zu sein: Wenn der Bezirk der Weisung nicht folge, würde der Senat das Bebauungsplanverfahren an sich ziehen.

Wochenlang musste daraufhin in der Senatsverwaltung wohl hin und her überlegt worden sein, wie man in der Weisung das gesamtstädtische Interesse am besten begründen könne. Denn die im Gesetz für diesen Fall vorgesehenen Gründe trafen alle nicht so einfach zu.
[siehe https://www.lexsoft.de/cgi-bin/lexsoft/justizportal_nrw.cgi?xid=167537,8]

Wie also ein dringendes Gesamtinteresse Berlins begründen? Mit der Vermeidung von Schadensersatz? Mit dem Fahrradweg Berliner-Leipzig und dem S-Bahntunnel als überregionale Verkehrsverbindungen? – die ja gar nicht beeinträchtigt werden, wenn der Bebauungsplan Urbane Mitte Süd nicht fortgeführt wird. Schließlich hieß es, die Liste von Gründen, die im Gesetz genannt werden, sei nicht abschließend gemeint. Gute Idee!

Am 21. März erfolgt dann die Weisung an den Bezirk, dass Bebauungsplanverfahren zu Ende zu führen. Begründet wurde dies u. a. mit dem Fahrradweg und dem S-Bahntunnel von S1 und S2, dem U-Bhf. Gleisdreieck, der zukünftigen S21 – alles Vorhaben, die nicht beeinträchtigt würden, wenn die Urbane Mitte nicht gebaut würde. Und es wurde die Umsetzung des städtebaulichen Vertrags von 2005 als ein dringendes Gesamtinteresse Berlin bezeichnet.

[Link zum Dokument Weisung vom 21.03.2024, https://fragdenstaat.de/anfrage/bebauungsplanverfahren-vi-140cab-urbane-mitte-sued/]

Am 9. April antwortete Baustadtrat Schmidt, dass er der Weisung nicht nachkommen könne. In dem Schreiben von Schmidt heißt es u. a.

. . . Die BVV als Plangeber hat deutlich zum Ausdruck gebracht, dass das Vorhaben Urbane Mitte “neu gedacht” werden soll. Die Einleitung der nächsten notwendigen Verfahrensschritte auf Basis des bisherigen Entwurfs des Bebauungsplans stünde dem Willen des Plangebers entgegen . ..“

[Link zum Dokument, Antwort des Bezirksstadtrats 9.04.2024, https://fragdenstaat.de/anfrage/bebauungsplanverfahren-vi-140cab-urbane-mitte-sued/]

Am selben Tag schrieb das Büro der Senatsbaudirektion an das Referat IC [zuständig für Bauplanungsrecht, verbindliche Bauleitplanung, planungsrechtliche Einzelangelegenheiten] eine E-Mail, in der es hieß:

„. . . folgendes Antwortschreiben von Herrn Bezirksstadtrat Schmidt zu Ihrer Kenntnis . . . Bitte veranlassen Sie alles Weitere . . .“

[Quelle Akteneinsicht nach IFG, https://fragdenstaat.de/anfrage/bebauungsplanverfahren-vi-140cab-urbane-mitte-sued/]

Es musste gar nicht ausgeführt werden, was nun geschehen soll. Das „Weitere“ war doch offenbar schon klar. Unverzüglich leitete das Referat IC das Schreiben des Bezirksstadtrats weiter an sechs Stellen im Hause der Senatsverwaltung. In der E-Mail hieß es:

„. . . da das BA der Weisung entsprechend unseres Schreibens vom 21.3.2024 nicht nachgekommen ist, lasse ich das Schreiben zum Eintritt in das Bebauungsplanverfahren vorbereiten . . .

[Quelle Akteneinsicht nach IFG, https://fragdenstaat.de/anfrage/bebauungsplanverfahren-vi-140cab-urbane-mitte-sued/]

Am 16. April wandte sich Herr X (Vertreter des Vorhabenträgers) mit einer E-Mail geradezu jubilierend an die Senatsbaudirektorin,

„. . . Damit ist hier der Weg offen, dass SenSBW das Verfahren unmittelbar an sich zieht und zur Festsetzung bringt . . .“

[Quelle Akteneinsicht nach IFG, https://fragdenstaat.de/anfrage/bebauungsplanverfahren-vi-140cab-urbane-mitte-sued/]

Und am 17. April schrieb Herr X (Vertreter des Vorhabenträgers) gleich direkt an Senator Gaebler mit der Bitte um ein Gespräch:

„. . . wir sind mit verschiedenen Vertretern Ihres Hauses im Gespräch, auch zur dringenden Übernahme des Baufelds Nord . . . die Übernahme ist dringend geboten, da der Bezirk seit längerem aktiv die weitere Infrastrukturplanung mit der Deutschen Bahn und SenMVKU behindert . . . “

[Quelle Akteneinsicht nach IFG, https://fragdenstaat.de/anfrage/bebauungsplanverfahren-vi-140cab-urbane-mitte-sued/]

Am 23. April bekam Herr X (Vertreter des Vorhabenträgers) eine Antwort aus der Senatsverwaltung:

„. . . vielen Dank für Ihre Mail mit dem Hinweis auf den Auftakttermin zum Bebauungsplan Urbane Mitte Süd. Herr Senator Gaebler hat zwischenzeitlich ein Schreiben von Herrn Bezirksstadtrat Schmidt erhalten. Auf dieser Basis könnte ein Weisungsschreiben verfasst werden, um das Bebauungsplanverfahren vom Bezirk zu übernehmen. Herr Gaebler möchte sich vor dem Versenden dieses Schreiben am 15. Mai mit den Abgeordneten der Koalition abstimmen. Insofern ist das Schreiben vorbereitet. Aber das Versenden ist deshalb bis zum 15. Mai ausgesetzt. Ich bitte Sie deshalb um Geduld . . .“

[Quelle Akteneinsicht nach IFG, https://fragdenstaat.de/anfrage/bebauungsplanverfahren-vi-140cab-urbane-mitte-sued/]

Sofort nach dem 9. April hatten die Vorbereitungen für Eintritt in das Bebauungsplanverfahrens begonnen. Wochenlang wurde an den Formulierungen gefeilt. Trotz allem dauert es noch knapp zwei Monate, bis der Akt des Eintritts in das Bebauungsplanverfahren vollzogen wurde. Obwohl schon entschieden, ließ man die Öffentlichkeit und den Bezirk solange im Unklaren.

Noch am 27. Mai antwortete Staatssekretär Machulik auf die Frage von Elif Eralp (Die Linke) im Ausschuss für Stadtentwicklung, ob der Senat plane, das Verfahren an sich zu ziehen:

„. . . der Ball liegt bei dem Bezirk . . .“

[Quelle YouTube der Sitzung des Ausschusses für Stadtentwicklung am 27.05. 2024]

Dabei fehlte zu diesem Zeitpunkt nur die Unterschrift des Senators. Alle anderen Stellen – sieben an der Zahl – hatten zu diesem Zeitpunkt das Schreiben zum Eintritt des Senats in das Bebauungs­planverfahren Urbanen Mitte Süd schon gezeichnet.

Auf der gleichen Sitzung nahmen die Vertreter von CDU und SPD eindeutig Stellung für das Projekt der Urbanen Mitte. Dass der im städtebaulichen Vertrag vorgesehene Entschädigungsmechanismus in zwei Gutachten als rechtswidrig bezeichnet wurde, schien sie dabei nicht zu interessieren. Diese Rechtswidrigkeit war offenbar kein Thema für die Regierungsparteien. Wie das Rumpelstilzchen pochten sie weiter auf das Einhalten des rechtswidrigen Vertrags und schürten weiter die Angst vor Schadensersatz:

Staatssekretär Stephan Machulik:

„Pacta sunt servanda“

Abgeordneter Christian Gräff, CDU

„. . . ich finde das einen einen ungeheuerlichen Vorgang, einen skandalösen Vorgang, es ist Rechtsbruch der Bezirksverordnetenversammlung in Friedrichshain-Kreuzberg, der hier passiert …

. . . Und ich würde den Bezirk hier auch nicht aus der Verantwortung lassen und sollten hier Schadensersatzansprüche dann entstehen, dann gelten die auch gegen das Bezirksamt Friedrichshain Kreuzberg und ich glaube, das muss man den Menschen dann auch klar machen, welche Verantwortung hier Populisten am Werk tragen, die dafür politisch die Verantwortung dann noch tragen, wenn ihre Haushalte auf Jahrzehnte lang belastet werden, falls hier ein Schadensersatzanspruch geltend gemacht werden sollte …“

Abgeordneter Matthias Kollatz, SPD

„. . . wenn man Verträge schließt, muss man sie einhalten . . das ist nun mal auch Grundlage von Verwaltungshandeln. Insofern ist die Erwartungshaltung von uns, dass das Verwaltungshandeln erfolgt . . .“

Abgeordnete Sevim Aydin, SPD

„. . . auch dem Bezirk ist doch klar, dass wir . . . im Endeffekt sozusagen diesen Schadensersatz, diesen dreistelligen bezahlen müssen, wenn man diesen Vertrag nicht eingeht . . .“

[Alle Zitate nach der YouTube-Aufzeichnung der Sitzung des Ausschuss für Stadtentwicklung am 27.05. 2024 https://www.youtube.com/watch?v=gW1rRRRh5Ig&t=9825s]

Am 31.05 unterschrieb der Senator dann schließlich die Erklärung, mit der der Senat in das Bebauungsplanverfahren Urbane Mitte Süd eintrat. Am 3. Juni wurde diese veröffentlicht. In der Pressemitteilung erklärte der Senator, es gehe darum, Vertrauensschaden vom Land Berlin abzuwenden, wobei hier natürlich ausschließlich das Vertrauen der Investoren gemeint war.

In dem Schreiben an den Bezirk wird der Eintritt in das Bebauungsplanverfahren folgendermaßen begründet:

“. . . Darüber hinaus sind gemäß § 7Abs. 1 AGBauGB dringende Gesamtinteressen Berlins wegen der weit über die Grenzen des Bezirks bedeutsamen städtebaulichen Entwicklung am Umsteigebahnhof Gleisdreieck berührt, der mit der zukünftigen S21 eine deutlich höhere Zentralität erfahren wird. Bedeutsam ist die Herstellung einer qualitätsvollen Verbindung der beiden Teile des Parks am Gleisdreieck . . . Dringende Gesamtinteressen werden ebenfalls durch die Umsetzung des Rahmenvertrag Gleisdreieck aus dem Jahr 2005 berührt . . .”

[Link zum Dokument, Pressemitteilung Senatsverwaltung 03.06.24, https://gleisdreieck-blog.de/wordpress/wp-content/uploads/2024/06/PM-Senatsverwaltung-B-Plan-Urbane-Mitte-Sued.pdf ]
[Link zum Dokument, Schreiben der Senatsverwaltung an den Bezirk zum Eintritt in das B-Planverfahren 31.05.24, https://fragdenstaat.de/anfrage/bebauungsplanverfahren-vi-140cab-urbane-mitte-sued/]

Alle Hinweise auf die Verkehrsanlagen taugen im Grunde nicht als Begründung. Denn diese liegen – bis auf den Tunnel der S1 und S2 – außerhalb des Bebauungsplangebiets Urbane Mitte Süd und würden nicht negativ beeinflusst, wenn die Urbane Mitte nicht gebaut würde – im Gegenteil. Der Wahrheit am Nächsten kommt noch der Hinweis auf den Rahmenvertrag von 2005, dessen Umsetzung der Senat sicherstellen möchte.

Zwei Tag nach der Veröffentlichung, am 05.06. 2024, fand dann das Treffen statt mit Senatsspitze und Investoren, um das Herr X (Vertreter des Vorhabenträgers) am 17. April gebeten hatte. Ein paar Wochen später fragte die Abgeordneten Elif Eralp und Katalin Gennburg (Die Linke) den Senat nach dem Protokoll dieses Treffens. Der Senat antwortete, es gäbe kein Protokoll. [Siehe Drucksache 19 / 19 821 des Abgeordnetenhauses]

Nun, es gibt zumindest eine Aktennotiz, in der die Teilnehmer aufgelistet werden: Senator Gaebler, Herr X (Vertreter des Vorhabenträgers), Herr Y (DLE Developement . . . ), Herr Gräff (Abgeordneter der CDU).

Inhaltlich ging es nur am Rande um die Urbane Mitte Süd, hauptsächlich ging es bei dem Treffen um das nördliche Baufeld, dessen Bebauungsplanverfahren nach dem Willen der Investoren ebenfalls dem Bezirk entzogen werden soll. Senator Gaebler wollte aber zuerst mal den B-Plan für das südliche Baufeld festsetzen, bevor über das nördliche Baufeld diskutiert wird.

Ein Nachspiel hatte das Ganze auf der Sitzung des Stadtentwicklungsausschuss am 10.06.24. Der Abgeordnete Schenker (Die Linke) warf dem Senator vor, auf der Sitzung am 27.05. gelogen zu haben mit der Antwort auf die Frage, ob der Senat plane, das Bebauungsplanverfahren an sich zu ziehen. Senator Gaebler wies das zurück mit dem Hinweis, dass er zu dem Zeitpunkt gar nicht mehr anwesend gewesen sei. Und Staatssekretär Machulik habe laut Senator damals korrekt geantwortet, er hätte es genauso gemacht. Der Senator hätte also ebenso verschwiegen, dass der Eintritt in das Bebauungsplanverfahren unmittelbar bevorstand.

“Verschweigen ist Gold” dachten sich vermutlich auch die Autoren des Jahresberichts für 2023 des DLE Funds SICAV-RAIV, deposé et enregistré le 11/07/2024 Luxembourg, Registre de Commerce et des Sociétés. Zwar wurde berichtet, dass der Senat die Bebauungspläne Urbane Mitte Süd und Nord wahrscheinlich an sich ziehen werde:

„. . . The approval of the devolepment plan by the district is still pending and is expected in the coming months. If this is not forthcoming, it will be possible to raise the project to the Senate level . . .“

Gleichzeitig verloren sich aber kein Wort über die eigentlichen Gründe, warum der B-Plan nicht vorankam – „still pending“, nämlich die Gutachten zur Entschädigungsproblematik. Diese Wahrheit wollte man den Anlegern nicht zumuten. Vertraut man darauf, dass die Anleger, die für den Sharedeal 2021 immerhin knapp 150 Mio. € ausgegeben haben, nicht die Berichte in der Berliner Presse wahrnehmen?

In der zweiten Jahreshälfte 2024 verschwand das Thema Urbane Mitte aus der öffentlichen Diskussion, was nicht bedeutet, dass nichts mehr passierte. Klar, dass die kontinuierlichen Kontakte der Investoren mit verschiedenen Stellen in der Senatsverwaltung unter Ausschluss der Öffentlichkeit weiter stattfinden. Klar, je weniger sich die Öffentlichkeit mit dem Thema beschäftigt, um so besser für den Vorhabenträger. Vermutlich aus diesem Grund hat der Vorhabenträger in 2024 auch immer wieder versucht, bestimmte Inhalte aus der öffentlichen Diskussion zu verbannen. Zweimal klagte die Urbane Mitte Besitz S.à.r.l. gegen den vom Bezirk beauftragten Gutachter Prof. Dr. Beckmann. Unter Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,- € sollte er u. a. folgenden Satz nicht mehr äußern dürfen, bzw. aus seinem Gutachten tilgen:

Die Urbane Mitte Besitz S.à.r.l. hat vor diesem Hintergrund für das Baufeld „Urbane Mitte“ einen (möglichen) „Schadensersatzanspruch“ in „mittlerer dreistelliger Millionenhöhe“ angekündigt, falls die Bebauungsmöglichkeit hinter den Festlegungen des städtebaulichen Vertrages zurückbleiben sollte.

Zweimal wurde das Ansinnen vom Landgericht Berlin zurückgewiesen, zum ersten Mal im Eilverfahren mit einem Beschluss am 22.3.24 [Az.: 2 O 76/24 (2)]. Im Eilverfahren wies das Kammergericht später auch die sofortige Beschwerde der Urbanen Mitte gegen den Beschluss des Landgerichts zurück (Aktenzeichen 10 W 39/24).
Zum zweiten Mal wurde das Ansinnen mit Urteil im normalen Hauptsacheverfahren beim Landgericht Berlin am 2.10. 2024 [Az.: 2 O 166/24 ] zurückgewiesen.

Dreimal versuchte die Urbane Mitte Besitz S.à.r.l gegen die Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck e.V. , bzw. gegen Matthias Bauer vorzugehen mit Unterlassungsforderungen. In keinem Fall wurden die geforderten Unterlassungen abgegeben. Quasi alle Inhalte, die auf dem Flugblatt der AG Gleisdreieck e.V. stehen, wurden angegriffen. Doch alle Punkte – die Umweltauswirkungen, die 100% Versiegelung, der Umgang mit dem Naturschutz, die Sicherheitsfrage, die Äußerungen zum Denkmalschutz, die Zahlen zur Bodenspekulation u. a. konnten belegt werden, bzw. waren nach unserer Auffassung als Meinungsäußerungen zulässig. Schließlich verzichtete die Urbane Mitte Besitz S.à.r.l. darauf, vor Gericht zu ziehen, nachdem unser Anwalt die Unterlassungsforderungen zurückwies.

Inzwischen hat auch die NO-SLAPP-Initiative darüber berichtet:

Link https://www.noslapp.de/neuigkeiten/fallbesprechung-aktionsgemeinschaft-gleisdreieck-ev

Was bringt uns 2025 ?

Zu vermuten ist, dass die Urbane Mitte Besitz S.à.r.l. weiter hyperaktiv gegen ihr unangenehme Inhalte in der Öffentlichkeit vorgehen wird. Gegen das Urteil vom 2.10.2024 im Verfahren gegen Prof. Dr. Beckmann hat sie Berufung eingelegt. Eine Entscheidung darüber ist noch nicht gefallen. Und wahrscheinlich wird auch dieser Text hier sehr kritisch gelesen werden.

Die Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck e.V. wird sich jedoch nicht einschüchtern lassen und weiter Öffentlichkeitsarbeit gegen die sieben Bürotürme am Gleisdreieck-Park machen, indem wir dort unsere Flugblätter verteilen. Leo’s Fahrrad, die mobile Plakatwand, die im September unter mysteriösen Umständen im Park verschwand, wird bald wieder hergestellt werden.

https://gleisdreieck-blog.de/2024/09/24/leos-fahrrad-spurlos-verschwunden/

Die AG Gleisdreieck wird sich weiter vernetzen mit den Nachbarn und Initiativen auf beiden Seiten des Gleisdreiecks, in Kreuzberg wie in Mitte (Tiergarten Süd) und in Schöneberg. Die Petition gegen die Urbane Mitte mit inzwischen mehr als 30.000 Unterstützer:innen läuft weiter, ebenso die Spendenaktion, mit der sich die Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck e.V. auf eine mögliche Klage gegen den Bebauungsplan Urbane Mitte vorbereitet.

Link zum Klagefonds auf betterplace

Auch unsere Petition läuft weiter, sind schon mehr als  30.000!

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