Mit einer neuen Internetseite haben die Anwohner des WoHo in der Schöneberger Straße auf die Auslegung der Bebauungspläne mitten in den Sommerferien reagiert. Auf der Seite https://www.woho-nein.info/ haben die Kritiker des Vorhabens zahlreiche Argumente zusammengestellt. Nur bis morgen ist es noch möglich, Stellungnahmen zum Bebauungsplanverfahren abzugeben.
Die Sichtweise des Investors
Ein Stadtquartier geht in die Höhe
Die lebendige und erfolgreiche Kreuzberger Mischung nehmen wir auf, und zwar hochkant. Im WoHo mischen sich Bewohner wie auch Wohnungstypologien in einem Holzhybrid-Hochhaus mit stattlichen 98 Metern und 29 Etagen. Wohnen für Menschen aller Möglichkeiten, dazu öffentliche Bereiche für die Nachbarschaft. Hier entsteht ein neuer Kiez für alle. Wenn das nicht Potenzial für ein Wahrzeichen hat.
Zitat aus: https://utb-berlin.de/woho-das-wohnhochhaus
Die Sichtweise des Bezirksamtes
Aus Sicht des Plangebers kann das Vorhaben eine dezidierte Antwort auf die aktuelle Wohnungsdebatte bieten und als stadtweites Symbol und Leuchtturmprojekt für eine alternative Wohnungspolitik gesehen werden.
aus der Begründung zum Bebauungsplan auf Seite 44
Die vierzehn Argumente der Anwohner
1/ Fakt: Höhe erzeugt keine Dichte !
Die Einwohnerdichte ist nicht dort am höchsten wo Hochhäuser stehen! Sondern im Kreuzberger Altbestand, Barcelonas Kiezblöcken oder Prenzlauer Berg. Eine Berliner Senatsstudie zum Stadtgebiet kam zum Ergebnis, dass ab einer Geschosszahl von 4 bzw. 5 die Zahl der Einwohner mit den Geschossen nicht mehr zunimmt, sondern gleichbleibt.*
* Senats-Studie zitiert aus ‚Berliner Senatsverw.: Umweltatlas, 06.09 Städtebauliche Dichte, 2012
2/ Hochhäuser verschwenden Platz !
Wieso? Im Kern gilt: Wer höher baut, muss mehr Platz lassen. An sich müssen Hochhäuser isoliert stehen wegen der Verschattung. Die Geschossflächenzahl (GFZ) definiert, wieviel Nutzfläche auf der Grundfläche entstehen darf. Normal im S-Bahnring sind 2,5. Beim WoHo wird mit 9.1 geplant! Das wäre der Berliner Extremwert. Der Investor versucht mit Ausnahmeregelungen und Tricks eine Bewilligung ‚durchzudrücken‘ …
3/ Ein großer ökologischer Fußabdruck !
Hochhäuser benötigen zwar weniger Grundfläche, aber verbrauchen mehr Energie/qm Wohnfläche: Für die Aufzüge, Wasserpumpen, Beleuchtung im Treppenhaus, aufwendige Klimatechnik. Im Energieverbrauch ist die 5-stöckige kompakte Bebauung am sparsamsten. Das gilt auch für die graue Energie zur ‚Herstellung‘ des Wohnraums: Ob Holz oder Beton – es entsteht mehr Wohnraum in kompakter Weise als im Hochhausbau.
4/ Herstellung und Unterhalt sind teuer !
Auflagen im Brandschutz, ein höherer Material- und Energieverbrauch schlägt sich in hohen Kosten nieder: pro qm sind Baukosten deutlich höher. In der Theorie werden 15-20% höhere Baukosten veranschlagt, in der Praxis werden eher 50+ % beobachtet. Auch der Unterhalt ist teuer, ca. um 50% wegen aufwändiger Wartung der Technik, deren Ausfall ein Hochhaus unbewohnbar macht, und dem erhöhten Energiebedarf.
5/ Hochhäuser bringen teuren Wohnraum !
Hochhäuser sind kein sinnvolles Mittel, um gerade jetzt bezahlbaren Wohnraum in größerem Umfang zu schaffen, weil die Kosten hoch und Planungen lang sind. Der Trend ist eindeutig: „Die Reichen ziehen in Türme.“ Geförderter Wohnraum im WoHo Modell ist nur durch eine krasse Quersubventionierung extrem teuer Top-Floor-LuxusWohnungen möglich und zusätzlicher Subvention des Steuerzahlers, also der Allgemeinheit!
6/ Ein hohes Risiko für uns und Investor !
Hochhäuser sind ein hoch profitabler, aber auch ein hoch riskanter Markt! Zahlreiche Pleiten belegen dies: Donald Trump‘s Immopleiten, Adler Group am Steglitzer Kreisel vor der Insolvenz, Baustopp an den Türmen ‚Upside Berlin‘ in F-Hain … Als ‚ganz noble Adresse‘ gestartet sind die Unterhaltskosten oft so hoch, dass zum Ende oft nur schäbige Kompromisse bleiben: Das ‚Kotti‘ ist ein Beweis, dass Utopien leider oft anders enden.
7/ Unsere Stadtästhetik wird zerstört !
Das WoHo nimmt die gewachsene Umgebung nicht auf, es könnte so überall stehen. Die umliegende IBA 87 Bebauung, zahlreiche Geschichts- und Baudenkmäler, das WoHo entfaltet eine erdrückende Wirkung auf alles bisherige! Ein Vertical Village negiert den ‚Kiez‘ und ist eher ein Euphemismus für ‚Gated Community‘. Die spektakuläre Aussicht der einen wird mit der Sichtbehinderung der anderen erkauft!
8/ Lieber jetzt, als vielleicht in 8 Jahren* !
Wir sind nicht gegen Neubau! Wir sehen die Wohnungskrise und Lösungen werden jetzt gebraucht. Eine Hochhausplanung bedeutet langwierige B-Plan Verfahren und lange Rechtsunsicherheit. Dabei könnte der Investor JETZT schon bauen – nur mit etwas weniger Profit.
Deshalb plädieren wir an die BVV, nicht spekulative ,Leuchttürme‘, sondern pragmatischen Wohnbau einzufordern.9/ Bestand nachhaltig nutzen !
Investor und Baustadtrat behaupten jetzt, dass ein 100m WoHo ‚DIE‘ Lösung für das Berliner Wohnungsproblem sei. Wir sehen dagegen im Kiez das Potential, zuerst zerfallende und leer stehenden Wohnräume, wie am Hafenplatz zu aktivieren, bevor extrem punktuell und teuer nachverdichtet wird und anderswo ungenutzte Brachen bestehen bleiben.
10/ Blockrand bietet viele Chancen !
Eine Bebauung am Blockrand / mit Sockelgeschossen ist vielleicht weniger spektakulär, aber ökologisch und finanziell nachhaltiger. Sie verteilt die Lasten einer Nachverdichtung mehr in die Breite als auf einzelne Anwohner, die von der Woho-Planung durch Lärm und Schatten in der Schöneberger Str. ganz besonders betroffen wären.
11/ Verkehr und Lärm mindern, nicht stärken !
Die Gutachten der Woho B-Pläne beweisen: Mit dem Turm wird noch mehr Verkehr angezogen, mehr Lärm erzeugt und reflektiert, in einer der lautesten Straßen Berlins! Dabei ignoriert die Studie aktuelle Verdichtungen, z.B. durch das neue Bürohaus GrasBlau, Planungen wie die UrbaneMitte und umliegende Erweiterungen. Die Studie ist anfechtbar, da sie auf falschen Annahmen beruht.
12/ Stadtnatur statt Wohnmaschine !
Das Baufeld für das WoHo liegt auf einer Grünfläche gemäß Flächennutzungsplan. Die Biotop Bewertungen wurden nicht beendet, aber eine Umweltprüfung schon ausgeschlossen. Dabei beweisen miserable BiotopFlächenFaktoren (BFF) im Gutachten die Unverträglichkeit der Planung. Durch Blockrand-Bebauung wäre eine viel nachhaltigere Entwicklung möglich.
13/ Ausgleich und ehrliches Miteinander !
Jede Nachverdichtung bedeutet auch Belastung und Interessenausgleich. Gemeinsam Lasten tragen und die Chancen nutzen! Innovativer Holzbau und soziale Mischung sind günstiger in einer Blockrandbebauung möglich. Die Grundschule nebenan würde Erweiterungspotentiale nicht verlieren, die Anlieger würden nicht in den Abstandsflächen berührt.
14/ Zeitzeugen und Baukultur erhalten !
Nicht alles auf dem Garagen-Gelände, auf dem das WoHo errichtet werden soll, gehört abgerissen. Mauern und der Eckbau sind Zeitzeugen, die wie der Bunker Geschichte erlebbar machen. Die umgebenden IBA Bauten wurde vor kurzem unter stadtbaulichem Schutz gestellt, das WoHo Gelände wurde aber ausgespart. Ein Skandal, der stark nach Begünstigung riecht.
Zitate aus https://www.woho-nein.info/
Weitere 27 Argumente, die mehr ins Detail gehen, sind auf der Seite https://www.woho-nein.info/ zu finden.
Noch bis 19.07.2022 können Stellungnahmen zum Bebauungsplan WoHo abgegeben werden unter untenstehenden Link. Dort sind auch die Unterlagen zum Bebauungsplan zu finden.
Link zu den Bebauungsplanunterlagen Woho Schöneberger Straße
Ein Kommentar aus Sicht der Anwohner auf Youtube
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