Nicht alles Platin, was glänzt

Vorzertifikat in Platin für die Bauplanung auf der Bautzener Brache

Am vergangenen Mittwoch wurde die Bauplanung auf der Bautzener Brache mit dem DGNB-Vorzertifikat in Platin, also in der höchst möglichen Stufe, ausgezeichnet. DNGB bedeutet „Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen“. In der Presseerklärung der DGNB heißt es:

Die Nachhaltigkeit des Stadtquartiers setzt sich aus vielen einzelnen Komponenten zusammen. Insgesamt 45 Kriterien umfasst das Vorzertifikat, das so unterschiedliche Aspekte wie die Veränderung des Stadtteilklimas, den effizienten und vorausschauenden Umgang mit Energie, Wasser und Abfallaufkommen sowie die Instandhaltung, Pflege und Reinigung des Quartiers vorsieht.

Welches sind die 45 Kriterien? Die sind auf den Seiten der DGNB nicht zu finden, ebenso wenig die konkreten Inhalte des Projekts und noch ihre Bewertung. Eine Ahnung ergibt jedoch die Ãœbersicht im Prospekt des Architekten Collignon aus dem Jahr 2012, in dem folgende Kriterien genannt werden:

  • 22,5 % Ökonomische Qualität
  • 22,5 % Soziokulturelle und funktionale Qualität
  • 22,5 % Technische Qualität
  • 10,0 % Prozessqualität
  • 22,5 % Ökologische Qualität

Laut Prospekt war damals ein Erfüllungsgrad „Gold“ ansgestrebt, nun ist aus Gold Platin geworden. Das glänzt natürlich noch besser.
Ebenso am vergangenen Mittwoch war die Auswertung (Abwägung) der im Rahmen der sogenannte „frühzeitigen Bürgerbeteiligung“ eingangenen Stellungnahmen zum Bebauungsplan Thema im Stadtentwicklungsauschuss des Bezirks Tempelhof-Schöneberg. Viele Argumente wurden wie gewohnt einfach „wegewogen“. Dennoch sind einige ungelöste Fragen und Widersprüche sichtbar geblieben. Wäre doch interessant gewesen zu erfahren, ob und wie diese im Rahmen der „Nachhaltigkeitsprüfung“ durch die DGNB bewertet wurden.

22,5 % ökonomische Qualität – übererfüllt ?

Noch besteht auf der Fläche kein Baurecht. Das Grundstück gilt offiziell als Außenbereich nach §35 Baugesetzbuch. Erst durch einen politischen Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung würde das Baurecht geschaffen und damit eine nachhaltige Wertsteigerung des Grundstücks bewirkt. Die Wertsteigerung des Grundstücks, das sich früher im Eigentum der Bahn, bzw. im Eigentum der Bunderepublik Deutschland befand, würde dann ausschließlich in privaten Taschen landen. Der Bezirk bekäme im Gegenzug lediglich die Zusicherung, dass 15% der Wohnungen für 20 Jahre preisgebunden wären. Für den Bau der Sozialwohnungen habe der Vorhabensträger schon einen Antrag auf finanzielle Förderung durch die Senatsverwaltung gestellt, schreibt das Bezirksamt im Abwägungstext zum B-Plan.

22,5 % Soziokulturelle und funktionale Qualität – übererfüllt ?

Die Planungen begannen mit der Vertreibung der Bewohner, die oberhalb des Umsteigers in dem kleinen Häuschen wohnten. Ihr Pech war, dass sie zwar Eigentümer des Hauses waren, nicht jedoch Eigentümer der Fläche, die erst der Reichsbahn, später der Deutschen Bahn gehörte, dann von der VIVICO verkauft wurde. Leider hatte diese Rechtskonstruktion aus DDR-Zeiten keinen Bestand vor heutigen Gerichten. Aber natürlich hätte der Bauträger, die Firma Dr. Wolfgang Schroeder Immobilien GmbH & Co. KG das kleine Häuschen und seine Bewohner leicht integrieren können in das neue Konzept. Stattdessen haben sie  lieber eine Entschädigung gezahlt.

Zitat aus der Pressemitteilung der DGNB vom 9. 12. 2015:

Auch bei der städtebaulichen Einbindung und Gestaltung schneidet das Projekt hervorragend ab. So ist das neue Quartier gut in das übergeordnete Freiraumkonzept um den Gleisdreieckpark einbezogen.

Das ist eine einfache Verkehrung der Tatsachen. Als Freifläche wäre die Bautzener Brache eine wichtige Ergänzung des Freiraumkonzepts, als bebaute Fläche reduziert sie den wichtigen Nord-Südweg auf einen schmalen Pfad.
Städtebaulich betrachtet verschiebt die Planung die östliche Bebaungskante der Schöneberger Insel in das ehemalige Bahngelände hinein, in den historisch entstandenen Freiraum. Hier wird keine Lücke geschlossen, sondern ein stadtklimatisch wichtiger Grünzug verbarrikadiert.

Natürlich ist innerstädtisch der Bau von neuen Wohnungen notwendig. Dafür gibt es eine Alternative in unmittelbarer Nähe, eine tatsächliche Lücke im Bebauungszusammenhang der Schöneberger Insel: das BSR-Gelände zwischen Monumentenstraße und Kolonnenstraße, das seit Jahren auschließlich als Parkplatz für BSR-Fahrzeuge genutzt wird. Darüber wollte der Bezirk jedoch nicht nachdenken.

Darüber hinaus ist durch die unmittelbare Nähe zur S- und U-Bahn Station Yorkstraße auch eine gute Anbindung gegeben.

Die Anbindung an die Bahn ist tatsächlich gut. Vielleicht sogar zu gut. In den Abwägungsunterlagen heißt es, die Bahn habe inzwischen erkannt, dass sie zuviel Fläche aus der Zweckbestimmung als Bahngelände entlassen habe. Für den Bau der neuen S21 sei nun doch mehr Fläche notwendig als ursprünglich gedacht. Auch Feuerwehr- und Baustellenzufahrt zum neuen Bahnhof mit zwei Bahnsteigen können nur über die Bautzener Straße erfolgen.

Dass sich durch die Nähe zur Bahn eine großes Lärmproblem ergibt, wird in der Pressemitteilung zum Zertifikat ebenfalls nicht erwähnt. In der Abwägung zum B-Plan wird die Lärmbelastung jedoch offen als ein ungelöstes Problem benannt. Normalerweise wäre der Bau neuer Wohnungen so nahe an der Bahn nicht zulässig. Bei der jetzt vorgeschlagenen städtebaulichen Struktur wäre es notwendig, die Wohnungen als akustische Käfige auszubilden. Zu befürchten ist, dass es die 15% preisgünstigen Wohnungen sein werden, die dann an den am höchsten lärmbelasteten Stellen liegen werden. Aus dem Bezirksamt ist zu hören, dass aufgrund der Lärmproblematik über alternative städtebauliche Figuren nachgedacht wird.

Hätte man mit der Verleihung des Zertifikats nicht warten können, bis die Frage geklärt ist?

22,5 % Technische Qualität, überfüllt?

Abwasserwärmenutzung, Kraft-Wärme-Kopplung mit einem eigenen Blockheizkraftwerk sowie großflächige Solarpanele auf den Dächern zur Stromerzeugung.

Super Öko-Attribute und natürlich lobenswert, wenn’s gebaut wird. Ist auch Technik zur Lärmminderung, zum passiven Lärmschutz der Wohnungen vorgesehen? Vielleicht zur künstlichen Belüftung, weil die Fenster nicht geöffnet werden können?
Alle Einzelheiten, alle Fakten bleiben unbekannt, sind nicht überprüfbar, nicht nachvollziehbar. Was wir erfahren, ist auschließlich das Ergebnis der Zertifizierung, das einem dann wie reine Lobhudelei erscheint:

„Ich kann allen an der Planung Beteiligten nur gratulieren“, sagt Rudolphi. „Das Projekt hat den höchsten Erfüllungsgrad erzielt, den wir als DGNB je bei der Vorzertifizierung eines Stadtquartiers in Deutschland vergeben haben.“

Die „Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen“ sollte in Zukunft darauf achten, dass die von ihr vergebenen Zertifikate nicht zu reinen Marketinginstrumenten verkommen und damit nachhaltig wertlos werden.

Alle Zitate stammen aus der Pressemitteilung der DGNB vom 9. 12. 2015.

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Veröffentlicht in Bautzener Strasse

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