Berlin, Hauptstadt der Interkulturellen Gemeinschaftsgärten

Gärtnern fast attraktiver als Sex

Redebeitrag von Dr. Elisabeth Meyer-Renschhausen  zur Eröffnung des Westparks am 31. 05. 13

Sehr geehrter Herr Senator, sehr geehrter Herr Bürgermeister, liebe Damen von der Senatsverwaltung, liebe Berliner Öko- und Gartenaktivistinnen, liebe Anwesende

Wir freuen uns, dass in den neuen Park am Gleisdreieck Gärten integriert sind. Zu Gärtnern ist heute schon fast attraktiver als Sex. Die Leidenschaft der Jugend gehört dem gemeinschaftlichen Gemüseanbau. Es ist ein weltweiter Trend, egal ob in New York City, in Detroit oder Toronto, ob in London, Paris oder Sarajewo, ob in Hanoi, Nairobi oder Istanbul: die neuen Städter beackern das Land. Vom Guerilla Gardening über das Urban Gardening, von der urbanen Landwirtschaft bis hin zu den Interkulturellen Gärten: eine ganz neue Generation von Stadtbewohnern will die Hände in die Erde stecken. Gärtnern ist die neue Therapie – gegen Computerfrust und Schreibtisch-Langeweile, gegen Erwerbslosen-Depressionen oder Mangel an Bewegung. Last not least ist der innerstädtische Gemüsebau die symbolische Protestform gegen aromalosen Massenfraß sowie anlagegetriebene Ernährungsdiktatur.

Es freut uns, daß es uns gelungen ist, in den Park in der Nähe des Potsdamer Platzes Interkulturelle Gärten zu integrieren. Schade, dass die uns anfangs versprochen Fläche von 3000 Quadratmeter für Gemeinschaftsgärten nicht Realität wurde. Schön jedoch, dass nun die bunten Kleingärten der Potsdamer Güterbahnhof Bahnlandwirtschaft in den Park integriert wurden und ihre geheimnisvoll dschungelartigen Wege allen Park-Besuchern Tag und Nacht offen stehen. Gerade jetzt im Frühling boten sie uns Spaziergängern wieder diese jede Menschenseele heiter stimmende Überfülle an Vogelgesang zur Obstbaumblüte, Farbenpracht der Tulpen samt drauf folgenden Fliederduft.

Während ein Kleingartenspaziergang auch etwas für den einsamen Flaneur ist, können wir uns in den neuen Gemeinschaftsgärten, egal ob im Interkulturellen Garten Rosenduft auf dem Gleisdreieck oder im Allmende-Kontor auf dem Tempelhofer Feld wie die Prinzessinnengärten uns vor dem steten Ansturm Interessierter, potentieller Mitgärtnerinnen wie Besuchern kaum retten. Studentengruppen, Forscherinnen und Journalisten aus aller Welt überrennen uns geradezu tagtäglich. Mir scheint sonnenklar, dass die neuen Gemeinschaftsgärten mit Abstand das Attraktivste der City-Parks Berlins sind.

Und dennoch haben wir Ehrenamtlichen allesamt einen ständigen Kampf mit der Verwaltung auszufechten. Die Behörden sorgen sich tatsächlich, ob die Gärten nicht eine Art Privatisierung öffentlichen Grundes darstellen, wenn sie nicht ständig von 8.00 bis 18.00 jedermann offen stehen! Die Verwaltung ist von Privatisierungsängsten gepeitscht, wenn die Gärtnerinnen die eigenhändig gehegten Tomaten auch selbst verspeisen möchten! Mir scheint, hier fehlt in Politik und Behörden das Verständnis dafür, dass die wirklich problematische Privatisierung jene ist, wenn öffentlicher Grund den Eigentümer wechselt, um unwiederbringlich um der Rendite willen bebaut zu werden. In jenem Falle jedoch, da ein öffentliches Land Gemeinschaftsgärtner zur Hege übergegeben wird, handelt es sich lediglich um eine zeitweilige und also umkehrbare Besitzabtretung. Und zwar einer Übertragung der Pflege im Sinne des Allmende-Gedankens, in deren Rahmen eine ganz bestimmte Gruppe die Pflege eines Stück Lands im Sinne aller übernimmt.

So wie hier im Falle der Gärten im Park: einige „ackern“ während die Augenweide, das Vogelgezwitscher und die Gärten als Versteck von Igel, Haselmaus, Zaunkönig und Nachtigal, als Hort der Biodiversität, allen zugute kommt. Mir scheint, der entscheidende Fehler liegt woanders. Der Hauptfehler liegt in der mangelhaften Förderung von innerstädtischen Gärtners, der Gartenkünstlerinnen und des Ehrenamts! Was für ein Unsinn, daß Politik und Verwaltungen Millionen in internationale Ausschreibungen versenken, statt dafür zu sorgen, dass die erfolgreichen Interkulturellen Gärten mehr Flächen bekommen und zwar auch und gerade in öffentlichen Parks und die Gartenaktivisten, die von ihnen schon lange geforderte Koordinierungsstelle!

Denn das, was in Berlin wirklich wächst, sind seine Interkulturellen Gemeinschaftsgärten. Sie sind heute die wahren Universitäten für Nachhaltigkeit, Umweltschutz und gesunder Ernährung sowie – last not least – der gelebten Integration. Innerhalb von nur 10 Jahren wurde Berlin zur Hauptstadt der Interkulturellen Gemeinschaftsgärten. Und last not least: Die Kleingartenanlage POG wurde als erste Gartenkolonie in die illustre Reihe des neuen Gärtners aufgenommen.

 

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