Redebeitrag von Norbert Rheinlaender zur Eröffnung des Westparks am Gleisdreieck, 31. Mai 2013
Werte Anwesende!
Stellen Sie sich vor,
der Senat hätte an dieser Stelle die Pläne von 1965 verwirklicht und wir würden heute die Einweihung des darin vorgesehenen Autobahnkreuzes der West- mit der Südtangente feiern! Ich brauchte sicherlich riesige Lautsprecher, um mich gegen den Verkehrslärm von riesigen Kraftfahrzeugmengen verständlich zu machen. Als Mitgründer der Bürgerinitiative gegen die Westtangente erinnere ich bewusst an den Widerstand vieler Bürger, durch den diese Planung gekippt wurde.
Die Westtangente sollte das Schöneberger mit dem Weddinger Autobahnkreuz am Kurt-Schumacher-Platz verbinden und einen Westberliner Autobahnring schließen, parallel zur damaligen Mauer. Sie läge oberirdisch genau zwischen dem Kanzleramt und dem ReichstagsgebäuÂde. Die Südtangente sollte die Lietzenburger Straße mit dem Görlitzer- und Treptower Park verbinden – mit einer riesigen Turbine auf dem Oranienplatz. Die Anfang der 80er Jahre besetzten Häuser in der Oranienstraße markierten ihren Verlauf.
Der Mittelpunkt des mind. 8 ha großen Autobahnkreuzes läge genau hier, zwischen der Pohl- und Lützowstraße – mit mehr als 50 m breiten Betonbahnen in die eine und die andere Richtung. Dazu in die dritte Dimension mit zahlreichen Rampen und Overfly-Brücken. Und jetzt kommen wir mal zu den Kosten dieser Bauwerke: Welche gigantischen Summen wären hier in Beton gegossen worden? Damals gab es keine überschlägigen Kostenschätzungen. Die Senatsverwaltung beantragte die Steuergelder für die jeweiligen Bauabschnitte in Bonn, das Geld wurde vom Parlament bewilligt und Berlin konnte dann bauen. Wie wir wissen, konnte durch jahrzehntelange Diskussionen und Aktionen der Bürgerinitiativen inmitten der Wirren der historischen Ereignisse die Autobahnplanung in Westberlin gekippt werden.
Nach zahlreichen Umplanungen, Konflikten und jahrelangem Ringen um gemeinsame Lösungen bei entgegengesetzten Interessen können wir heute zusammen mit den Anwohnern einen 9 ha großen Park auf der Fläche des ehemaligen Potsdamer Güterbahnhofs legal nutzen. Diese Idee einer „Grüntangente“ vom südlichen zum nördlichen Stadtrand verfolgt die Bürgerinitiative Westtangente als Alternative zur damaligen Autobahnplanung seit 1978. Für die Bürgerinitiativler und Anwohner waren es 25 Jahre Engagement gegen die Autobahnpläne und bereits 15 Jahre mit vielen eigenen Ideen für die Verwirklichung ihrer Grünträume.
Die Gelder sind weitgehend von den Investoren auf den Flächen rund um den Potsdamer- und Leipziger Platz als Ausgleichs- und Ersatzgelder aufgebracht worden. Durch das Engagement von empfindsamen und engagierten Stadtbewohnern wurden dem Land Berlin Hunderte von Millionen Steuergelder eingespart. Man erkennt, dass Bürgermitsprache sich für die öffentlichen Haushaltskassen sogar „rechnet“.
Allerdings machen sich die Eigentümer der anliegenden Grundstücke bei Vermietung und Verkauf von Wohnungen die Lagegunst des von uns initiierten Parks zur privaten Gewinnsteigerung zunutze, ohne diesen Mehrwert an die Kommune weiterzureichen. Dies war von uns nicht beabsichtigt, wir können es aber auch nicht verhindern. Unser Engagement wendet sich sogar langfristig gegen uns, denn durch die von uns nicht mehr bezahlbaren Mietpreissteigerungen werden wir Anwohner vertrieben werden. Hier muss der Gesetzgeber unbedingt einen Riegel vorschieben und die Kommune wenigstens den Wertzuwachs abschöpfen. Das Baurecht ist eindeutig auf der Seite der Investoren. Es ist nicht gerecht, dass die Vivico als privater Vermarkter die besten Grundstücke am Rand der beiden Parkhälften für sich reserviert und inzwischen zum Schaden der Bürger bzw. Steuerzahler zu viel Geld gemacht hat, obwohl die Bahnflächen früher bundes- bzw. volkseigen waren. Planungs- und Baubehörden sowie das Parlament haben mitgespielt, indem sie auf der noch im Flächennutzungsplan `98 ausgewiesenen Grünfläche das Bauen bis 3 ha zuließen, was juristisch zweifelhaft ist.
Bei der 3-jährigen Planung des Westparks wirkte sich in der Projektbegleitenden Arbeitsgruppe die Einsetzung eines Moderator in der Diskussionskultur positiv aus, besonders im Gesprächsklima und in der Effizienz. Trotzdem ließen sich wegen unterschiedlicher Interessen und Planungsverständnissen nicht sämtliche Konflikte, Missverständnisse und Reibereien vermeiden.
In der nun folgenden Nutzungs- und Bewirtschaftungsphase des Parks am Gleisdreieck wollen wir weiterhin eine aktive Mitsprache bei der Parkpflege und –gestaltung in einer senatseigenen Stiftung institutionalisieren. Darin werden wir von der Senatsverwaltung unterstützt, während wir noch mit dem Bezirksamt und der BVV darüber diskutieren. Sie werden also weiterhin von uns hören.
In spätestens zwei Jahren sollen weitere Teile der Grüntangente nach Süden für die Nutzer fertiggestellt sein: der Flaschenhalspark und die sog. „Schöneberger Schleife“ entlang der S 1 und S 2 bis zum Südkreuzbahnhof. Dann geht die Parkplanung in die Verlängerung – sowohl geografisch als auch zeitlich: nach Süden bis zur Stadtgrenze entlang der S 2. Die Verbindung zur „Grünen Mitte“ mit dem Großen Tiergarten und entlang des Spandauer Schifffahrtskanals als Kernbereich ist bereits realisiert. Seit 2 Jahren engagiert sich der befreundete Verein „Grünzüge für Berlin“ für die Biotopverbindungen vom Nordbahnhofspark bis zur nördlichen Stadtgrenze. Auch die von engagierten Bürgern vorangetriebenen 20 Grünen Hauptwege und die Fahrradrouten quer durch die Innenstadt werden viel zu langsam realisiert. Auch diese Pläne fußen auf Ideen von Mitgliedern der Bürgerinitiative Westtangente. Leider streicht momentan der Finanzsenator die dafür beantragten Gelder schon wieder.
Anknüpfend an das in unsern Augen „Horror“-Szenario des vollendeten Autobahnkreuzes an hiesiger Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass diese autogerechte Verkehrsplanung trotz vielfältiger Dementis aus der Senatsverwaltung und vom Bau und Verkehrsminister Ramsauer auch heute noch weitergeführt wird: vom Autobahndreieck Neukölln soll der A 100-Innenstadtring zur Seestraße geschlossen werden. Auch diese Autobahnverlängerung wird, um den ehemaligen Bausenator Harry Ristock von 1980 zu zitieren: „gebaut, weil sie geplant ist“. Die Verkehrswissenschaft hat bis heute keine Beweise für das großräumige Absaugen von Autoverkehr aus den Wohngebieten liefern können und hat sich deshalb längst von Konzepten mit Ringen und Tangenten verabschiedet. Nur die in den 60er und 70er Jahren ausgebildeten Verkehrsplaner argumentieren immer noch mit der angeblichen Entlastungswirkung von Autobahnen. Heute will niemand mehr über das Zustandekommen dieser Planung im Jahr 1993 reden: kurz nach der Maueröffnung wurden die Gelder für die Autobahnplanung immer noch so beantragt wie zur Mauerzeit, also ohne ausführliche rechnerische Bedarfsanalyse, Notwendigkeitsnachweisen und Alternativen – was in der damaligen Phase der Umstrukturierung der Autoverkehre gar nicht möglich gewesen wäre. Folglich hat sich ein entsprechender Bürgerprotest wie in Stuttgart erhoben über eine 20 Jahre alte, im Zeitalter des Klimawandels und der letzten Ölreserven längst überholte Planung für die teuerste, jemals gebaute Autobahnverlängerung eines nur 3,2 km langen Abschnitts von einer halben Milliarde Euro!
Jetzt sollte endlich Schluss sein mit den Milliardengräbern, denn es fehlen genau diese Milliarden der Steuergelder in vielen andern Bereichen: Erziehung, Bildung, Soziales, Inklusion, Pflegegelder für Hochbetagte, Kultur und Grünflächenpflege, sowie energetischer Sanierung von Gebäuden. Aber auch im Verkehrssektor müssen angesichts des Klimawandels die Gelder erheblich umverteilt werden: z.B. durch die Verlängerung des Straßenbahnnetzes in den Westteil Berlins. Damit könnte der Senat sich auf das in wenigen Jahren anstehende Ende der Ölwirtschaft sinnvoll vorbereiten und als Metropole wie vor dem letzten Krieg wieder mit dem weltgrößten Straßenbahnnetz inszenieren, denn die Mobilität der Berliner kann nicht nur durch aufgemalte Radstreifen gesichert werden!
Angesichts eigener, langjähriger Erfahrungen möchte ich das Geheimnis von Bürgerinitiativ-Erfolgen preisgeben, indem ich die Titel zweier kleiner Schriften des erst kürzlich verstorbenen 95-jährigen Stephane Hessel zitiere: „Entrüstet Euch“ und „Engagiert Euch“!