Exkurs Ökobilanzierung

Die Urbane Mitte Besitz S.à.r.l. will Treibhausgas-negativ bauen – ist das möglich?

von Matthias Bauer

In der Vergangenheit hat der Friedrichshain-Kreuzberger Baustadtrat Florian Schmidt immer wieder betont, bei der Urbanen Mitte sei nun ein Maximum an Nachhaltigkeit erreicht worden. Nun seit die Abwägung und die überarbeitete Begründung zum Bebauungsplan vorliegen, wird langsam klarer, was er damit gemeint haben könnte.

An ca. 40 Stellen innerhalb des Bebauungsplanentwurfs ist die Rede von einem Realisierungswettbewerb, der folgen soll, wenn der Bebauungsplan beschlossen ist. Zentraler Punkt in dem Realisierungswettbewerb ist die Treibhausgas-neutrale, oder sogar noch besser die Treibhausgas-negative Herstellung der Bauten der Urbanen Mitte Süd, bestehend aus einer mehrgeschossigen Tiefgarage, die das Grundstück zu 100% versiegelt und einem zweigeschossigem Sockel, auf dem zwei Türme mit 49 und 25 m Höhe stehen sollen.

Die Zitate in der Abwägung und in der neuen Begründung zum Bebauungsplan basieren auf folgendem Absatz im städtebaulichen Vertrag vom 15.06.2023, der zwischen der Urbanen Mitte Besitz S.à.r.l. und dem Land Berlin vertreten durch das Bezirksamt Friedrichshains-Kreuzberg geschlossen wurde. Den Vertrag konnte ich einsehen durch einen Antrag nach dem Berliner Informationsfreiheitsgesetz.

Im Vertrag ist nicht nur von „Treibhausgas-neutral“ und „Treibhausgas-negativ“ die Rede, sondern auch davon, dass das Gebäude CO2 speichern soll. Damit ist natürlich nicht CO2 sondern C wie Kohlenstoff gemeint. In Gebäuden kann C = Kohlenstoff gespeichert werden, wenn eben Holz, Hanf, Stroh oder andere nachwachsende Rohstoffe eingebaut werden.

Natürlich ist es positiv fürs Klima, wenn 5000 Wohnungen auf dem ehemaligen Tegeler Flughafen nicht konventionell mit Beton sondern in Holzbauweise errichtet werden, wobei selbstverständlich Voraussetzung sein muss, dass das Holz aus nachhaltiger Waldbewirtschaftung stammt. Der Möckernkiez – würde er heute nochmal gebaut – würde wahrscheinlich zu größeren Teilen aus Holz bestehen.

Der Verwendung von Holz anstelle von Stahlbeton, Kalksandstein u. a. spart eine Menge CO2-Emissionen ein. Aber der Holzbau kommt nicht ohne CO2-Emisionen aus. Das Fällen der Bäume, die Transporte, die Bearbeitung im Sägewerk, der Einbau auf der Baustelle, all das ist nicht ohne CO2-Emissionen zu machen. Die Frage ist, ob beim Bau emittierte  CO2-Emissionen verrechnet werden dürfen mit dem C, also mit dem Kohlenstoff, der mit den Holzbalken im Gebäude gespeichert ist?

Die Regeln der Ökobilanzierung sagen klar nein.

Die Umweltauswirkungen des Bauens können mit der Ökobaudat, die das Bundesbauministerium zur Verfügung stellt, berechnet und bilanziert werden. („In Anlehnung an Ökobau.dat“ heißt es im oben zitierten Vertrag.)

Basis der Ökobaudat sind EPDs (Environmental Product Declaration), also Datensätze, die die verschiedenen Parameter zum Ressourcenbedarf, zu Abfällen und zur Wirkung auf die Umwelt abbilden. Die Daten stammen aus der Bauindustrie und werden von verschiedenen Instituten geprüft und für die Ökobaudat bereit gestellt. Anhand dieser Datensätze können in der Planung die Umweltauswirkungen der verwendeten Baustoffe berechnet werden. Ergebnis der Berechnungen ist das GWP (Green-Warming-Potential), das in CO2-Äquivalenten angeben wird. (Der Begriff CO2-Äquivalent wird verwendet, um die verschiedenen Treibhausgase miteinander vergleichbar zu machen.) Die Berechnung umfasst den gesamten Lebenszyklus des Gebäudes.

Dabei wird der Lebenszyklus mit folgenden Phasen beschrieben: Erstellung (A), Betriebsphase (B), Abbruch oder Rückbau (C) und schließlich die Wiederverwertung (D). Die Phase (D) Wiederverwertung darf nach der Norm nicht in die Berechnung eingehen. Wer das Modul D bei der Bilanzierung aktiviert, bekommt vom Bauteileditor “eLCA” der Ökobaudat sofort den Hinweis „Die Verrechnung von Modul D ist nicht normkonform!“. Der in den Materialien gespeicherte Kohlenstoff wird nur zur Information dargestellt. Er darf nicht verrechnet werden mit dem beim Bau freigesetzten CO2.

Es sprechen zwei Gründe dafür, das so zu handhaben:

Erster Grund: das beim Bauen freigesetzte CO2 ist in der Atmosphäre und kann durch den Einbau von Holz nicht zurückgeholt werden.

Zweiter Grund: niemand kann heute wissen, was später einmal, wenn das Gebäude abgerissen wird, mit dem Holz passiert. Niemand kann garantieren, dass es dauerhaft erhalten und damit das C gespeichert bleibt. In einer Studie für das Hochbauamt der Stadt Zürich zum Thema negative Treibhausgas-Emissionen schreiben die Gutachter:

Biogenes und direkt aus der Atmosphäre entferntes CO2 muss permanent, das heisst für mindestens 3000 bis 8000 Jahre, gespeichert werden, um einen anhaltend reduzierenden Einfluss auf die maximale mittlere Temperaturerhöhung zu haben. Wird entferntes CO2 kürzer gespeichert, erlischt die positive Wirkung auf die globale Temperatur mit der Re-Emission des gespeicherten CO2 . . .

Quelle: Bilanzierung von Negativemissionen (NET) im Bauwesen, Studie von Rolf Frischknecht, treeze Ltd, fair life cycle thinking und Katrin Pfäffli, Architekturbüro K. Pfäffli im Auftrag der Stadt Zürich, Fachstelle Umweltgerechtes Bauen, Amt für Hochbauten der Stadt Zürich, März 2023

Beim Projekt Urbane Mitte aber soll offensichtlich nicht nach den anerkannten Normen der Ökobilanzierung gearbeitet werden. Denn ohne Verstoß gegen die Normen der Ökobilanzierung kann es ein Treibhausgas-neutrales oder Treibhausgas-negatives Ergebnis nicht geben.

Würde das Modul D mit einberechnet, dann könnte man 1 m³ Stahlbeton gegenrechnen gegen 3 m³ Konstruktionsholz, um ein Treibhausgas-negatives Ergebnis zu erhalten. Die Ökobilanz wäre dann leicht manipulierbar, indem man einfach ein paar Kubikmeter Holz mehr einbaut, als konstruktiv notwendig. Tiefgaragen, Fundamente und aussteifende Treppenhaustürme für die Hochhäuser würden sicher nicht ohne Stahlbeton auskommen. Die Ökobilanz wäre dennoch super, obwohl eine Menge CO2 freigesetzt worden wäre.

Der Klimawandel ist die größte Herausforderung, vor der die Menschheit je stand. Mit Ökobilanzierungstricks werden wir die Aufgabe nicht bewältigen.

Link zum Dokument der Abwägung und zur aktuellen Begründung des Bebauungsplans VI-140cab “Urbane Mitte Süd”, Achtung über 1900 Seiten, über 20 MB:

https://gleisdreieck-retten.de/wordpress/wp-content/uploads/2023/08/DS0826_VzK_Bebauungsplan-VI-140cab_LANG.pdf

2 Kommentare zu “Die Urbane Mitte Besitz S.à.r.l. will Treibhausgas-negativ bauen – ist das möglich?

  1. Wie hoch ist vergleichsweise die “CO2-Schuld” der Siedlung Möckernkiez?

    Am 31.7.23 schrieb ich unter

    https://gleisdreieck-blog.de/2023/07/31/architects-for-future-e-v-zur-gast-am-bauzaun-zur-urbanen-mitte/comment-page-1/#comment-20135

    über die Siedlung “Möckernkiez“, in der ich wohne:

    “ …. Die 54.434 Tonnen CO2, die der Bau der Siedlung “Möckernkiez” womöglich (mindestens) verursacht hat, mal den genannten 200 Euro Klimakosten (laut Umweltbundesamt) macht

    10.886.800 Euro (“CO2-Schuld / Klimakosten”), mithin etwa 21.773 Euro pro Wohnung und Gewerbeeinheit für den “Möckernkiez”

    …. “

    Am 21.8.2023 schrieb der STERN im Artikel “Alles auf Grün”:

    ” …. Zudem werden Gas und Öl – politisch gewollt – immer teurer.

    Der CO2-Preis, den die Große Koalition 2021 eingeführt hat, könnte schon 2025 auf 65 Euro pro Tonne steigen.

    Die weitere Entwicklung ist offen, es gibt Prognosen mit Preisen von 400 Euro, aber auch moderate Aussichten. … ”

    Volltext (VOEBB): https://bib-voebb.genios.de/document/STER__ea070d921cff2ae3fe32fa0a07694c2140d15476

    Wenn ich nun die 54.434 Tonnen CO2, die der Bau der Siedlung “Möckernkiez” womöglich (mindestens) verursacht hat, mit den im STERN genannten prognostizierten 400 Euro multipliziere, komme ich auf etwa

    21,6 Millionen Euro (“CO2-Schuld / Klimakosten”),

    mithin etwa 43.500 Euro pro Wohnung und Gewerbeeinheit

    für den “Möckernkiez”

  2. Herr Bauer, haben Sie doch jetzt bitte endlich Gnade mit dem Herrn Baustadtrat und seinen Bediensteten- jetzt fordern Sie auch noch sinnvolles/normgerechtes Bilanzieren in völlig abwegigen Details.
    Die 1900+ Seiten Blattsammlung der Abwägung, aus der Sie Ihre “Desinformationskampagne” fahren, stammen in Wirklichkeit von einer KI, welche mit der Rezeptesammlung der Ehefrau des dienstältesten Pförtners trainiert wurde. Im Amt hat das noch niemand gelesen, geschweige denn inhaltlich oder so…

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