In drei Etappen wurde der Gleisdreieck-Park eröffnet. 2011 der Ostpark, 2013 der Westpark, 2014 der Flaschenhals. Aus diesem Anlass läuft zur Zeit ein Festprogramm unter dem Titel „10 Jahre Park“. (https://www.parkamgleisdreieck.de/10-jahre-park-am-gleisdreieck/) Doch die Geschichte geht natürlich noch viel weiter zurück und ist bisher nur in Bruchstücken erzählt worden. Heute soll ein Puzzlestück ergänzt werden. Es ist der Artikel des Architekten Andreas Reidemeister, der am 9. Februar 1980 im Tagesspiegel erschien.
Der Anblick des vergilbten Zeitungsblatts mit den dunkel gedruckten Bildern versetzt einen sofort in die damalige Winterzeit, in der der Klimawandel noch nicht spürbar, der Smog aus Ofenheizungen jedoch allgegenwärtig war. Niemand konnte sich damals vorstellen, wie bunt, wie lebendig, welch städtischer Treffpunkt der Park am Gleisdreieck einmal werden würde. Und dennoch ist es Generationen von Aktivisten, schlauen und unbhängig denkenden Köpfen wie Andreas Reidemeister, zu verdanken, dass die Chance ergriffen wurde, dass wir heute den Gleisdreieck-Park haben.
Anlass für den Artikel, den der Tagesspiegel mit „Kreuzberg soll “63 ha schöner werden” – aber wie“, übertitelte, war, dass Westberlin mit der DDR einen Vertrag geschlossen hatte, ein „Jahrhundertwerk“ laut Bausenator Ristock. Danach sollte Westberlin in Etappen das Bahngelände der Potsdamer und Anhalter Bahn übereignet werden. Im Gegenzug sollte West-Berlin für die DDR den Containerbahnhof im Südgelände am Priesterweg bauen.
Für die 63 Hektar am Gleisdreieck, einem „Filetstück mit Autobahn“, hatte die Senatsverwaltung schon Pläne in den Schubladen: den Abriss der Yorckbrücken, um die Yorckstraße zu verbreitern, die Autobahn Westtangente in Nord-Süd-Richtung, dazu Straßendurchbrüche in Ost-West-Richtung von Bülow- zur Horn und von der Pohl- zur Schöneberger Straße. Durch Straßen in Einzelteile zerschnitten, sollten die Flächen dann verwertet werden für einen Busbahnhof, ein Technikmuseum, für Dienstleistung, Wohnungsbau, Sport und immerhin einen Park auf der Kreuzberger Seite – eine reine Aufzählung einer großen Anzahl in jeder Stadt vorkommender Funktionen, wie Andreas Reidemeister bemerkte. Ein Plan . . .
. . . mit dem der städtebauliche Dilettantismus in den Grundzügen bereits angelegt ist: nach diesem Plan wird das Gelände ohne die geringste Rücksicht auf seine Eigenart durch Verkehrsstraßen größten Ausmaßes zerschnitten. Die entstehenden „Parzellen” werden für unzusammenhängende Funktionen reserviert. Noch gibt es das Gelände, soll es jetzt verschwinden – nicht durch Krieg, sondern Schreibtischplanung?
und weiter:
Muß dieses Stück Stadt erstmal nach allen Regeln der Kunst zerschnitten werden, bevor der Bürger über die Restflächen nachdenken darf? Jeder Schlachter kennt die Anatomie seines Schweins besser als manche Planer das Plateau der Güterbahnhöfe, wenn sie es mit ganzen Bündeln von Straßen zerhacken . . .
Reidemeister beschrieb das Gleisdreieck als Landschaft, als Plateau, das von den Yorckbrücken als Gitterwerk zusammengehalten wurde. Die Kanten zu den benachbarten Stadtteilen Kreuzberg und Schöneberg sollten erkennbar bleiben. Alles Neue sollte aus den Gegebenheiten vor Ort, aus der Topographie mit ihren Höhen und Einschnitten entwickelt werden.
Keine fertige Planung, sondern Entwicklungsmöglichkeiten beschrieb der Architekt am Ende seines Beitrags, im Gegensatz zum Credo des Bausenators Ristock, der erklärt hatte:
Über das “Ob” einer Planung bestimmen wir, über das “Wie” kann der Bürger mitbestimmen.
Andreas Reidemeister dagegen forderte eine neue Form von Bürgerbeteiligung, bezirksübergreifend wie das Gelände selbst und offen:
Etwas ganz anderes, als bisher geplant, muß an dieser Stelle geschehen: Öffentliches und lokales Interesse dürfen nur im Verlauf von Zeit und partiell, unter Ausnutzung aller Chancen, die die Struktur des Plateaus, die vielen Kanten und Brücken bieten, vom Gelände Besitz ergreifen. Bürgersinn formuliert sich ja nur, wenn etwas getan wird; in diesem Tun muß das Ziel einen bestimmten Grad von Offenheit haben.
Die Aneignung des Geländes hatte genau in dieser Zeit begonnen. Spaziergänger wie Andreas Reidemeister erkundeten das Gelände. Jeder wusste vom anderen, dass der andere auch illegal hier war. Augenzwinkernd verstand man sich. Aus diesen Begegnungen speiste sich die Kraft, die den Gleisdreieck-Park möglich gemacht hat und die das Südgelände als Naturpark gerettet hat . . .
Über alles, durch alles hindurch zieht sich Natur . . . Kinder benutzen sie, Erwachsene -wenige – staunen, die Landschaftswissenschaftler lecken sich alle zehn Finger: eine Wissenschaft, die zur Verkommenheit unserer Umwelt beigetragen hat, beginnt umzudenken.
Link: Andreas Reidemeister im Tagesspiegel 09.02.1980, PDF-Dokument
Mehr Information über den Vertrag zwischen der DDR und Westberlin vom 24. Januar 1980 ist zu finden in der Schöneberger Stadtteilzeitung. Unter dem Titel „Kurze Geschichte des Schöneberger Südgeländes“ berichtet sie über die komplizierte Sachlage zwischen Ost und West und wie schließlich trotz Vertragabschluss mit dem Ziel einen neuen Güterbahnhof zu bauen, das Südgelände als Naturpark gerettet wurde.