Vom 11. April 2016 bis 11. Mai 2016 lagen die Bebauungsplanunterlagen für die Bautzener Brache (7-66VE) öffentlich aus. In dieser Zeit konnten Bürger Stellungnahmen zum Bebauungsplan an das Stadtentwicklungsamt senden. Doch schon in den Wochen zuvor wurden durch den Grundstückseigentümer vor Ort Fakten geschaffen durch Baumfällungen und durch Abrissarbeiten, ganz so als sei die durch das Baugesetzbuch vorgesehene Bürgerbeteiligung nur eine Formalie, durch die nichts an der vorgesehenen Planung verändern werden könne.
Nach dem Abriss der Schuppen und kleinen Gebäude im Laufe des März machten sich Anfang April die Bagger an die historische Stützmauer des Bahngeländes. Jeden Tag rückten sie der denkmalgeschützten Yorckbrücke Nr. 5 ein paar Meter näher. Am 13. April 2016 schrieb ich an den Grundstückseigentümer der Bautzener Brache und an das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg mit der Bitte, den Abriss der Stützmauer zu stoppen, damit die Denkmalschützer die aus meiner Sicht denkmalwerte Mauer begutachten können. Gleichzeitig bat ich darum, die laufende Bürgerbeteiligung nicht durch gleichzeitiges Faktenschaffen wie Baumfällungen und Abrissarbeiten weiter zu beschädigen.
Am 25. April, drei Tage vor der Einwohnerversammlung zur Bautzener Brache – von der Mauer war zu diesem Zeitpunkt nur noch ein kleiner Teil vorhanden – bekam ich eine Antwort von Herrn X., dem Leiter des Stadtentwicklungsamtes, der mir erklärte, dass die Mauer nicht unter den Denkmalschutz falle und dass der Abriss der Mauer am 30. 03. 2016 von der Untereren Denkmalbehörde genehmigt worden sei. Eigenartig, dachte ich – warum genehmigt die Denkmalbehörde den Abriss eines Bauwerks, das nicht unter Denkmalschutz steht?
Mithilfe des Portals „Frag den Staat“ stellte ich Ende April folgende Anfrage an das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg.
Ich beantrage Einsicht in die Abbruchgenehmigung für die Stützmauer des Bahngeländes auf dem Grundstück Bautzener Straße/Yorckstraße im Geltungsbereich des sich in Aufstellung befindlichen Vorhabenbezogenen Bebauungsplans 7-66 VE.
Nun, ein paar Wochen später konnte ich in den Räumen der Unteren Denkmalbehörde im Rathaus Schöneberg gegen Zahlung von 20.- € die 104 Seiten starke Akte einsehen. Ergebnis:
- Die Stützmauer bzw. der kleine Rest davon, der noch vorhanden ist, steht unter Denkmalschutz.
- Es gab keine Abrissgenehmigung für die Stützmauer, eine solche Abrissgenehmigung war gar nicht beantragt worden.
Der fehlende Abrissantrag
In der gesamte Akte ist kein Antrag auf Abriss der Stützmauer zu finden. Der Vorgang beginnt am 5. 11. 2015. Damals beantragt der Architekt den Abriss diverser Gebäude, des ehemaligen Wohnhauses oberhalb des Umsteigers, des ehemaligen Asia-Imbisses, der eingeschossigen Schuppen entlang der Bautzener Straße. Dem Abrissantrag liegt ein Abbruchkonzept eines Bauingenieurbüros bei mit einem Lageplan, auf dem alle abzureißenden Objekte durchnummeriert sind. Die Stützmauer des Bahngeländes ist nicht dabei. Der Antrag enthält außerdem eine Fotodokumention, in der die abzureißenden Gebäude mit roten Kreuzen markiert wurden. Unter anderem gibt es auch Fotos, auf denen einer der westlich der Stützmauer vorgelagerten Schuppen und die Stützmauer selbst zu sehen sind. Der Schuppen ist mit einem roten X markiert, die Stützmauer ist nicht markiert und im Text heißt es: „vorhandene Stützwand bleibt bestehen“.
Am 8. 2. 2016 schreibt das Bezirksamt zurück und fordert einen Standsicherheitsnachweis für die Abrissarbeiten. Am 30. 03. 2016 antwortet das Ingenieurbüro mit einem auf 2. 11. 2015 datierten Formular, in dem steht, dass nach § 67 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der Bauordnung kein Nachweis notwendig sei. (der tatsächlich nicht notwendig ist, wenn es sich nur um eingeschossige Schuppen handelt.) Zu dem Zeitpunkt waren die meisten der kleinen Gebäude jedoch längst abgerissen.
Am 29. 03. 2016 – die Abrissbagger waren ja schon vor Ort – wird dann die Untere Denkmalbehörde eingeschaltet. In dem Schreiben des Architekten an die Denkmalbehörde geht es nicht um die Stützmauer, sondern nur um die Gebäude, die sich im Umfeld der denkmalgeschützten Brücke Nr. 5 und des denkmalgeschützten Umsteigers befinden. Einen Tag später am 30. 03. 2016 erteilt die Denkmalbehörde in einem handschriftlichen Vermerk die Genehmigung für den Abriss der Schuppen – inklusive Stützmauer.
Das ist tatsächlich mal blitzartiges Arbeiten einer Verwaltung. Von einem Tag auf den anderen wird mehr genehmigt als beantragt war. Da wird der Abriss „inklusive Stützmauer“ genehmigt, obwohl der Abriss der Stützmauer gar nicht beantragt war. Bei der Schnelligkeit kann natürlich nicht geprüft werden, ob die Stützmauer denkmalwürdig ist oder schon unter Denkmalschutz steht. Die Anlage vor einer Entscheidung vor Ort in Augenschein nehmen – dazu fehlt die Zeit.
Rechtlichen Bestand als Abrissgenehmigung kann dieser handschriftliche Vermerk des Denkmalamtes nicht entfalten. Für eine denkmalschutzrechtliche Abrissgenehmigung wäre zuvor eine bauordnungsrechtliche Genehmigung Voraussetzung gewesen. Aus guten Grund. Damit die Denkmalschützer nicht Dinge wie die hier fehlende Rückbaustatik prüfen müssen.
Die bauordnungsrechtliche Abrissgenehmigung hat hier jedoch gefehlt. Dieser handschriftliche Vermerk des Denkmalamtes ohne Unterschrift ist das einzige, worauf sich der Leiter des Stadtentwicklungsamt stützt, als er behauptete, der Abriss der Stützmauer sei am 30. 03. 2016 genehmigt worden. Unglaublich, aber etwas anderes ist aus den Akten nicht herauszulesen.
Als am 13. 04. 2016 meine Beschwerde gegen den Abriss der Stützmauer beim Amt einging, wurde laut Stadtentwicklungsamt angeblich der Abriss gestoppt. Einen Tag später, am 14 . 04. trafen sich der Architekt und der Leiter des Stadtentwicklungsamtes. In einer Email des Denkmalamtes am 15. 04. wird der Baustopp wieder aufgehoben. In der Begründung wird Bezug genommen auf das Gespräch zwischen Architekt und Amtsleiter:
. . . Am Folgetag fand ein Gespräch mit Herrn Y. bei Herrn X. (Leiter des Stadtentwicklungsamts), bei dem verschiedene Möglichkeiten des Umgangs mit dem Mauerrest hinsichtlich der Planung des Bauvorhabens erörtert wurden. Die bekannte Planung, die vorsieht unmittelbar hinter dem denkmalgeschützten Widerlager mit einer vom Verlauf des ursprünglichen Bahndamms stark abweichenden, schräg in den ehemaligen Bahndamm verlaufenden Stützmauer aus neuen Ziegeln, an welche sich eine Treppenanlage schmiegt, anzuschließen wurde seitens des Bezirksamtes favorisiert, da sich die neue Stützmauer als offensichtlich nachträglich angebauter Bauteil zeigt und somit vom historischen Bestand abgrenzt. Diskutiert wurde auch die Möglichkeit, das historische Mauerwerk des Stützmauerrestes vorsichtig zu bergen und nach Möglichkeit zumindest in einem Teilbereich der neuen Stützmauer wieder zu verwenden . . .
Im Klartext: Die historische Mauer soll weg, weil sie nicht in den neuen Plan passt. Architekt und Leiter des Stadtentwicklungsamtes “favorisieren” die bekannte Planung, nach der die neue Mauer „stark abweichend“ verlaufen soll im Vergleich zur historischen Mauer. Hilfsweise wird noch hinzugefügt, die abzureißende Stützmauer sei ein „offensichtlich nachträglich angebauter Bauteil“. Damit soll suggeriert werden, die Mauer sei nicht denkmalwürdig.
Wer sich die Örtlichkeit ansieht, wird erkennen, dass dies eine Verdrehung der Tatsachen bedeutet.
Der in Richtung der Bautzener Straße verlaufende Teil der Mauer ist aus den gleichen Klinkern und Sandsteinen erbaut, die das Ingenieurbüro Schwechten auch bei den den anderen Stützmauern der Yorckbrücken verwendet hat. Das Widerlager der Brücke Nr. 5 ist jedoch in späterer Zeit erneuert worden, besteht nicht mehr aus den originalen Materialien und ist deswegen auch von der benachbarten Mauer durch eine Fuge getrennt.
Etwas später findet sich noch ein Emailwechsel in den Akten, in dem diese Einschätzung bestätigt wird . Die oberen Abdeckplatten, die oberen drei Reihen der Ziegel und der Sandsteinsockel am Mauerfuß der abzureißenden Mauer sollen geborgen werden und dann bei der Instandsetzung der Widerlager der fünf zur Zeit ausgehängten Yorckbrücken verwendet werden. Wenn es noch eines Beleges bedurfte, dass es sich bei der Stützmauer um ein historisches Bauwerk handelt, da ist er.
Und selbstverständlich gehört diese Mauer zum Ensemble der Yorckbrücken und steht wie diese unter Denkmalschutz. In der Akte findet sich ein Schreiben der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz vom 17. 09. 1992, Aktenzeichen Lks A 22, in dem die Unterschutzstellung der Yorckbrücken erklärt wird. Darin heißt es:
Der Denkmalschutz erstreckt sich auf die gesamte Mehrheit baulicher Anlagen bestehend aus den im beigefügten Lageplan mit den Nummern 1 bis 27 bezeichneten Brücken, mit Brückenträgern und Stützen sowie den seitlichen Begrenz- und Stützmauern mit Widerlagern.
Die Aussage ist eindeutig. Mit den Brücken Nr. 1 bis 27 sind alle Yorckbrücken zwischen Manstein- und Katzbachstraße gemeint. Außerdem werden auch die seitlichen Begrenz- und Stützmauern erwähnt. Die in Richtung der Bautzener Straße abknickende Mauer ist eine solche „seitliche Begrenzmauer“.
Was ist vom Leiter eines Stadtentwicklungsamt zu halten, der je nachdem, was ihm politisch opportun scheint, eigenmächtig festlegt, welche Mauer im Bereich der Yorckbrücken unter den Denkmalschutz fällt und welche nicht?
Und ist das Stadtentwicklungsamt unter diesem Leiter noch in der Lage, die kritischen Stellungnahmen zum Bebauungsplan Bautzener Brache unvoreingenommen zu prüfen und die privaten und öffentlichen Interessen gerecht gegeneinander abzuwägen, wie es das Baugesetzbuch fordert?