Ohne den Gewaltexzess in der Flottwellstraße vor einer Woche zu entschuldigen zu wollen, sei eine Feststellung erlaubt: Der Park am Gleisdreieck hat die Gentrification in den umliegenden Gebieten befördert. Ob in der Schöneberger Straße im Fanny-Hensel-Kiez, in der Pohlstraße in Mitte oder in der Kreuzberger Hornstraße, überall wurden und werden weiter die Leute mit den kleinen Einkommen verdrängt. Kaum ein Immobilienverkäufer, der nicht auf den tollen Park verweist, egal wofür er wirbt, sei es für die neu gebauten Wohnungen, für gründerzeitliche Altbauwohnungen oder die Bauten der IBA aus den 1980er Jahren, bei denen die Sozialbindung ausgelaufen ist. Dass aus dem „Park für Alle“ ein Park für Besserverdienende werden könnte, ist eine reale Gefahr.
Nun hat sich das Unbehagen über diese Entwicklung gewaltsam entladen, verrückterweise in einem Straßenzug, aus dem niemand verdrängt wurde, denn dort hat bis vor Kurzem niemand gewohnt.
Auf der Westseite der Flottwellstraße befanden sich bis vor wenigen Jahren verwilderte Grundstücke, die aufgrund der Zerstörungen des zweiten Weltkriegs und dann später wegen den Vorbereitungen für den Autobahnbau leer standen. Es war richtig, hier Wohnungen zu bauen und den historischen Stadtgrundriss wieder herzustellen.
Die Bebauung auf der Ostseite der Flottwellstraße haben die für den Park Engagierten jedoch immer kritisiert, weil sie einen großzügigen Park wollten, weil sie die historische Kante des Bahngeländes zur Flottwellstraße erhalten wollten – wie auf der Kreuzberger Seite im Ostpark entlang der Möckernstraße – und weil hier sinnvollerweise die ökologischen Ausgleichsflächen für den Potsdamer und Leipziger Platz vorgesehen waren, für deren Realisierung der Flächennutzungsplan 1998 geändert wurde, der bis heute hier Grün vorsieht. Diesen Kampf haben die Bürgerinitiativen trotz guter Argumente verloren. Dass es so gekommen ist, ist jedoch nicht den neuen Bewohnern der Flottwellstraße vorzuwerfen.
Der Gewaltausbruch hat sich nun gegen die neuen Bewohner des Straßenzuges gerichtet, egal auf welcher Straßenseite sie wohnen. Sie hatten das Pech, dass die neuen Fassaden als Symbol für die Gentrification angesehen werden. Und dass die Bewohner fälschlicherweise allesamt für Millionäre gehalten werden und verantwortlich für die zahlreichen Skandale sein sollen, die sich Vivico, Senat, Bezirk und Bauträger bei der Durchsetzung der Baufläche auf dem Bahngelände geleistet haben.
Der Gewaltausbruch war insofern reine Symbolpolitik, unverantwortliche Symbolpolitik. Dass es dabei nur Sachschaden gab, ist reines Glück. Es hätte auch schlimmer kommen können. Was unterscheidet diesen Anschlag von einem Anschlag auf ein Flüchtlingsheim? Natürlich kann man den Akteuren in der Flottwellstraße kein rassistisches Motiv unterstellen, es gibt jedoch zumindest eine Gemeinsamkeit: in beiden Fällen sind anonyme Akteure bereit, Menschen anzugreifen, die ihnen völlig unbekannt sind.
Folgerichtig diskutiert die Politik nun über polizeiliche Maßnahmen und nicht über die Gentrification. Jan Stöß, Landesvorsitzender der SPD, wird auf der Website des QM Magdeburger Platz zitiert:
Ich bin erschüttert, ein ganzer Straßenzug wurde verwüstet. Die Menschen in der Flottwellstraße haben einen Anspruch darauf, dass dem mit aller Entschiedenheit nachgegangen wird und die Gewalttäter dingfest gemacht werden. Gegen solche Gewalttaten hilft nur, den Verfolgungsdruck zu erhöhen und die gewaltbereite Szene intensiv zu beobachten. Der Staat muss zeigen, dass er handlungsfähig ist.
Was Jan Stöß hier einfordert, ist eine Selbstverständlichkeit: die staatliche Handlungsfähigkeit in Form von Polizei und Staatsanwaltschaft. An dieser Handlungsfähigkeit des Staates gibt es keinen Zweifel. Die Polizei wird sicher gründlich ermitteln.
An der Handlungsfähigkeit des Staates in Sachen Wohnungspolitik sind jedoch Zweifel erlaubt. Die Gentrification läuft weiter und weiter. Niemand will die sozial entmischte Stadt, mit Ghettos für Arme am Stadtrand und Gated Communities für Wohlhabende in der Innenstadt. Dennoch entwickelt sich Berlin mit aller Macht in diese Richtung, rasant und fast ungebremst, einfach weil zur Zeit nirgends so einfach und so schnell viel Geld zu verdienen ist. Auch das bedeutet Gewalt, gegen denjenigen, der seine Wohnung und/oder seine Nachbarn verliert, der seinen Kiez verlassen muss.
Das Problem ist erkannt. Aber was auch getan wird – Mietpreisbremse, Zweckentfremdungsverbotsverordnung, Wohnraumversorgungsgesetz, Erhaltungssatzungen, alles gut gemeinte Gesetze, aber mehr oder weniger zahnlose Tiger.
Hier der Link zu einem besonders krassem Beispiel von Gentrification, unweit des Westparks des Gleisdreiecks: Penthäuser für die einen, Asbest und Schimmel für die anderen