Baukollegium zur Riegelbebauung an der Eylauer Straße

Wenn Experten daneben liegen . . .

Architekten/innen und Architekturprofessor/innen aus Berlin, Leipzig, Zürich und Wien wurden von Senatsbaudirektorin Regula Lüscher in das sogenannte Baukollegium berufen. Nach dem Vorbild der Stadt Zürich soll dieses Gremium die Gemeinde in schwierigen Fragen von Architektur und Stadtplanung beraten und sozusagen objektive Grundlagen für politische Entscheidungen liefern. Nur, Architektur und Stadtplanung sind ein komplexes Feld, in dem meist verschiedene Lösungen möglich sind. Nun hat sich das Baukollegium zum umstrittenen Riegel an der Eylauer Straße geäußert und spricht sich für das Zubauen des zum Bahngelände offenen Blockes aus. Natürlich wären hier auch Lösungen mit weniger hoher Dichte und mit mehr Rücksicht auf den Bestand und auf die Interessen der heutigen Bewohner möglich. Doch genau dies wollen die Experten aus dem Baukollegium nicht. Ihr Hauptargument: „Bedarf junger Familien nach bezahlbarem Wohnraum“.  Mit diesem Argument begeben sich die Experten jedoch auf ein Gebiet, für das sie offensichtlich keine Experten sind. Denn jeder, der die Entwicklung der Berliner Baugruppen beobachtet, weiß, dass diese Projekte vorwiegend in der Liga Ü50 spielen. Für junge Familien sind sie in der Regel viel zu teuer. 

Kommentar zum Protokoll des 19. Baukollegium zum Vorhaben „041 DUD“

von Christian Schmidt-Hermsdorf, Kreuzberger Horn

Das Vorhaben, das am 28.02.11 dem Baukollegium vorgestellt wurde, ist nicht neu. Als „Neue Stadtkante“ im entstehenden „Nord-Süd-Grünzug“ zwischen Monumenten- und Kolonnenbrücke wurde es am 25.11.10 vom zuständigen Bezirksamt Schöneberg zunächst den betroffenen Bürgern präsentiert. Lange hatte das Bezirksamt geglaubt, auf eine frühzeitige Beteiligung der Betroffenen verzichten zu können. Die Betroffenen aus der Eylauer Straße, hatten diese Bürgerversammlung durchgesetzt. Sie wollten nicht hinnehmen, dass ihnen durch einen 280 m langen und 25 m hohen Wohnriegel Licht, Luft und der Blick auf den „Nord-Süd-Zug“ geraubt wird. Unterstützt wurde die Kritik vom Kreuzberger Bürgermeister. Auch der Vorsitzende des Schöneberger Planungsausschußes  meinte: „So kann der B-Plan nicht durchgehen. Es wird einen Kompromiss geben müssen“. Als Kompromiss zeichnete sich m. E. eine Reduzierung des Bauvolumens auf Kopfbebauungen an den Brandwänden ab.

Liest man das Protokoll, gab es im Baukollegium, im Gegensatz zur Bürgerversammlung, keinerlei Kritik am Vorhaben der Investoren, sondern nur Lob. für ein Konzept der geschlossenen Stadtkante.. Ziel sei es, „das zerstörte Stadtgefüge an diesen Stellen zu reparieren“, so die Zweckbehauptung der Investorengruppe.

Wieso zerstörtes Stadtgefüge? Dieses Gefüge ist in über 150 Jahren Stadt- und Bahnentwicklung entstanden. Die Gründerzeitbauten an der Eylauer Straße wurden von Anfang an entlang der Geländekante zum Bahngraben geplant und gebaut. Entstanden ist eine für Berlin typische, bahnbegleitende „attraktive Stadtkante“ – ein grüner Böschungsbereich vor einer zum Bahngelände hin offenen Hinterhofkulisse. Laut Protokoll ist dieser Anblick so unerträglich, dass er durch eine atypische neue Stadtkante zugestellt werden sollte.

Wie kommt das Baukollegium zu der Auffassung, dass das Konzept die Spuren des historischen Bahngeländes bewahrt? Die hochgelobte „Aufnahme der Bauflucht der Kreuzbergstraße und ihre sensible Verschwenkung…zur Dudenstraße“ bewahrt nicht, sondern zerstört historische Spuren. Noch führt die alte, von Bäumen gesäumte Straße von der Monumentenstraße zu den alten Eisenbahnhallen mit Gleisanschluss zum Deutschen Technikmusem. Diese vorhandene Straße wäre nutzbar für den Berlin-Leipziger Radweg, um über den Flaschenhals zum Gleisdreieck zu gelangen. Nach meinem Kenntnisstand wird diese Straße samt Bäumen unter der neuen Stadtkante begraben werden. Eine neue Erschließungsstraße muss hergestellt werden. Teilweise wird sie vom Berlin-Leipziger Radweg mit genutzt und führt als Rampe mit großer Spitzkehre  auf das 6 m tiefer liegende Bahngelände. Was bleibt ist etwas „dressiertes Grün, umrahmt von Beton“, wie es die BI Eylauer Straße ausdrückt.

Von all dem ist nichts im Protokoll zu lesen. Überhaupt: Themen, die für den Nord-Süd-Grünzug von zentraler Bedeutung sind und im Zusammenhang mit der überdichteten Bebauung stehen, sind im Protokoll nicht mal erwähnt. Nichts zur ökologischen Aufwertung des Grünzuges als Kaltluftentstehungsgebiet durch mehr Grün, nichts zu seiner stadtklimatischen Funktion dieses.

Umso intensiver widmet man sich das Gremium der ökonomischen Aufwertung des Geländes. Die damit einhergehende ökologische Abwertung wird offensichtlich billigend in Kauf genommen. Die Verdoppelung der bisher zugelassenen GFZ auf 2,4, das erschreckend hohe Volumen an innerstädtischer Nachverdichtung wird ausdrücklich begrüßt, frei nach dem Motto: Dazu gibt es keine Alternative. Folgende Aussage des Baukollegiums klingt wie eine Kampfansage an die Bürgerinitiative: „Alternative Überlegungen, den Stadtraum durch Kopfbebauungen an den Brandwänden neu zu gestalten, werden als falscher Ansatz abgelehnt“.

Den Investor wird`s freuen. Er hat das Grundstück vor etwa 3 Jahren meistbietend von der VIVICO zum Höchstpreis erworben Ginge es nach dem Baukollegium, dann dürfte er in hochverdichteter Form hochwertige Wohnungen auf der Sonnenseite des Nord-Süd-Zuges erstellen. Das verbirgt sich als eigentliches Ziel hinter all der städtbaulichen Lyrik.

So funktioniert sie, die heutige Verwertungslogik. Wenn Grundstücke, leider auch öffentliche, nur zum Höchstpreis an Meistbietende vergeben werden, folgt daraus  zwingend die Maximalverwertung der Grundstücke. Und genau das Ziel verfolgt die Investorengruppe. Wohnriegel samt Sockelbereich werden in 7m breite Scheiben unterteilt und an private Baugruppen oder Bauherren meistbietend weiterverkauft. Eine Illusion zu glauben, ein solches Konzept könne den Bedarf junger Familien nach bezahlbaren Wohnraum erfüllen, wie es das Baukollegium suggeriert.

Ja, angesichts der Wohnungsnotlage der Innenstadtbezirke wäre auch eine kommunale Bodenvorratspolitik für den Bau bezahlbarer Wohnungen von Nöten. Nur Berlin hat sich viel zu lange selber o. g. Verwertungslogik unterworfen.

Die Hauptsorge, die den Investor, die Bezirksvertreter in diesem Gremien und das Baukollegium der Senatsbaudirektorin plagt und eint, ist die Frage: Wie können für die unterschiedlichen Haustypologien, die auf den verkauften Einzelparzellen des Wohnriegels entstehen,  architektonische Qualitätsmerkmale festgelegt, an die Vergabe der Grundstücke gebunden und über bezirkliche Regeln langfristig gesichert werden. Ein wahrlich ergiebiges Beschäftigungsfeld für „Schöngeister“. Aber es gibt wichtigere städtebauliche und stadtentwicklungspolitische Fragen.

Richtig, das Baukollegium ist kein Entscheidungsgremium. Aber es ist das zentrale Beratungsgremium der Senatsbaudirektorin. Erschreckend ist die Ignoranz dieses Gremiums, die in diesem Protokoll zum Ausdruck kommt.

Materialen

2 Kommentare zu “Wenn Experten daneben liegen . . .

  1. Sehr geehrter Herr Schmidt-Hermsdorf,

    ich teile Ihre Auffassung zu einer Grundstückspolitik, die den kommunalen Interessen dienen soll. Der finanzielle Erlös ist dabei nur ein Gesichtspunkt. Stadtbauliche und soziale Gesichtspunkte standen zu lange im Hintergrund.

    Der vorliegende Fall ist allerdings als Beispiel ungeeignet. Die Vivico wurde 2007 als Bundesunternehmen an ein österreichisches Unternehzmen verkauft. Seitdem gibt es keinen öffentlichen Einfluss mehr. Allerdings ist die Vivico schon in ihrer Zeit als Bahn-Tochter durch konsequentes Ignorieren der Bedürfnisse von Ländern und Kommunen aufgefallen.

    Ein Bieterverfahren zum Erwerb des Grundstücks ist mir nicht erinnerlich, vielmehr habe ich den Eindruck eines Direktverkaufs. Die Erwerber haben neben dem oben genannten weitere ehemalige Bahn-Grundstücke gekauft.

    Die SPD-Fraktion in der BVV-Tempelhof-Schöneberg hatte die Hinzuziehung des Baukollegiums angeregt und ist wie Sie erstaunt, über die durch die Bank kritiklose Begeisterung der Runde sowie über fehlende Reflexionen über Alternativen, die unter Umständen auch begeisternd hätten ausfallen können.

    Der Anregung des Baukollegiums, das Bauvorhaben gleich im Wege eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans einzutüten, ist die SPD nicht gefolgt.

    Mit freundlichen Grüßen

    Axel Seltz, Bezirksverordneter TS (SPD)

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