Gut vier Wochen ist der Runde Tisch zur Urbanen Mitte Gleisdreieck vergangen. Seitdem ist es ruhig, kein Statement von niemanden. Das Protokoll fehlt noch. In den Ausschüssen des Bezirks wird das Thema regelmäßig vertagt. Alle scheinen abzuwarten – ein Zeichen, dass das von der Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck e.V. vorgelegte Rechtsgutachten doch ernst genommen wird.
So ist Zeit, nochmals auf den Vortrag des Vertreters der Senatsverwaltung beim Runden Tisch am 23.09.23 einzugehen, der die erste Stunde der Veranstaltung mit seiner Sicht auf die Planungsgeschichte des Gleisdreieck bestimmt hat. Ein wichtiges Ereignis dieser Planungsgeschichte hat Herr Künzel dabei allerdings ausgeklammert. Dieses Ereignis fand statt hinter verschlossenen Türen und hatte entscheidende Auswirkung auf das folgende Bebauungsplanverfahren der Urbanen Mitte. Dank eines Antrags nach dem Informationsfreiheitsgesetz konnte ich Einsicht nehmen in das Protokoll des Treffens und kann nun darüber berichten.
Im Februar 2015 trafen sich Vertreter der Investoren, COPRO und BDRV– ein Team von vier Personen einschließlich Rechtsanwalt mit Vertretern der Senatsverwaltung und des Bezirks, um festzulegen, wie viel Bauvolumen aus dem städtebaulichen Rahmenvertrag von 2005 abzuleiten wäre. Das Ergebnis des Treffen : 119.000 m² Bruttogeschossfläche.
Notwendig schien den Beteiligten dieses Treffen, weil sich herausgestellt hatte, dass die Baufläche der Urbanen Mitte wesentlich kleiner war als im städtebaulichen Rahmenvertrag von 2005 angenommen wurde und deswegen auch das Bauvolumen kleiner ausfällen würde, wenn die Regelungen des Rahmenvertrags korrekt angewendet würden. Der Rahmenvertrag von 2005 sah eine Bruttobaufläche von 4,3 ha sowie eine Nettobaufläche von 3,4 ha vor. Die Baumasse in Bruttogeschossfläche (BGF) sollte errechnet werden durch die Multiplikation der Nettobaufläche mit der Geschossflächenzahl von 3,5. Dies ergäbe bei einer Nettobaufläche von 3,4 ha dann eine Bruttogeschossfläche von 119.000 m².
Doch 2015 wurde klar, dass das Baugrundstück nur 4,2 ha maß und den U-Bahnhof Gleisdreieck, der allein 1,5 ha einnimmt, mit beinhaltet. (Eigentlich konnte man das schon wissen bei Abschluss des Rahmenvertrags in 2005.) Bleiben also nur 2,7 ha. Von diesen 2,7 ha müssten noch diverse Flächen abgezogen werden: der nicht bebaubare Eisenbahntunnel von S1 und S2, der Rettungsplatz am Fernbahntunnel, einschließlich Zufahrt, die geplante S21 (soweit sie nicht von den Hochhäusern überbaut werden kann) sowie Flächen für die BVG und Station. Das Nettobauland war also mindestens 1 ha kleiner als 2005 geschätzt. Laut Rahmenvertrag ergäbe sich daraus dann Bruttogeschossfläche von 84.000 m² (2,4 ha Nettobaufläche multipliziert mit der GFZ von 3,5). Damit waren die Investoren jedoch nicht zufrieden.
Unter dem Titel „Besprechung am 11.02.2015 zur Flächenausnutzung gem. Rahmenvertrag“ einigten sich die Vertragspartner – trotz des wesentlich kleineren Nettobaulands – dennoch an der Bruttogeschossfläche von 119.000 m² festzuhalten. Angeblich sei im Rahmenvertrag von 2005 festgelegt, dass das Nettobauland 80% des Bruttobaulands betragen soll. und es wurde verwiesen auf die Bauflächen Flottwell- und Möckernkiez, bei denen dieses Verhältnis von Bruttobauland zu Nettobauland 80 % betrage. Tatsächlich macht der Vertrag hier zu jedoch keine solche Aussage. Die angebliche Regelung Nettobauland = 80% des Bruttobaulands ist im Rahmenvertrag nicht enthalten.
Neben dieser Frage ging es auch darum, wie die Räume unter den Viadukten des gemauerten Gleisdreieck-Viadukts bewertet werden sollten. Hier wurde eine Lösung Brutto = Netto verabredet. Während normalerweise bei der Berechnung der Bruttogeschossfläche die Konstruktionsfläche mitgerechnet wird, sollte hier nur die Nettofläche gezählt werden. (Wegen des hohen Konstruktionsflächenanteil der U-Bahn Viadukte). Ergebnis: nur 8000 m² Bruttogeschossfläche werden für die Flächen in den historischen Viadukten der BVG berechnet.
Kurz zusammgefasst: die Beteiligten einigten sich darauf darauf, ein Maximum an Baumasse herauszuholen – über das im städtebaulichen Vertrag von 2005 vorgesehene Maß hinaus. Dies ist übrigens ein Unterschied zu den anderen Bauflächen am Gleisdreieck, z.B. Möckernkiez, Yorckdreieck und Flottwellpromenade. Bei diesen Flächen blieben die Akteure freiwillig unter den im Rahmenvertrag vorgesehenen – eigentlich zu hoch angesetzten – GFZ-Werten.
Im späteren Bebauungsplanverfahren der Urbanen Mitte ergaben sich dann wesentlich höhere GFZ-Zahlen als die im Rahmenvertrag von 2005 vorgesehene GFZ von 3,5. Im südlichen Baufeld soll die GFZ nun 5,1 betragen, im nördlichen Baufeld 4,4. Doch alle Stellungnahmen in den Bürgerbeteiligungen, die die Baumassen als zu massiv kritisierten, wurden weggewischt mit Hinweis auf das angeblich im städtebaulichen Vertrag vorgesehene Bauvolumen, das nicht unterschritten werden dürfe. Für Senatsverwaltung, Bezirk und Investoren stand das Ergebnis des Bebauungsplanverfahrens schon im Februar 2015 fest, also schon vor der Aufstellung des Plans. Änderungen der Planungen wurden zu keinem Zeitpunkt erwogen.
Materialien
Akteneinsicht nach IFG in das Protokoll vom 11. Februar 2015
https://fragdenstaat.de/anfrage/gespraech-am-11-februar-2015-der-vertragspartner-des-staedtebaulichen-rahmenvertrages-von-2005/
Ergänzungsvereinbarungen zum städtebaulichen Rahmenvertrag von 2005
In den drei Ergänzungsvereinbarungen ging es um die Bilanzierungen der Bauvolumen, die im städtebaulichen Vertrag von 2005 vorgesehen worden waren. Für die Bauflächen Flotwellpromenade, Möckernkiez und Yorckdreieck ist die Bilanzierung abgeschlossen. Für die Urbane Mitte wurde die Bilanzierung bisher jedes mal auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.
https://fragdenstaat.de/anfrage/ergaenzungsvereinbarungen-zum-staedtebaulichen-rahmenvertrag-gleisdreieck-von-2005/
Städtebaulicher Rahmenvertrag von 2005
https://gleisdreieck-blog.de/wordpress/wp-content/uploads/2022/04/RV-Gleisdreieck_Endfassung_060505_mitAnlagen.pdf
Mehr zur Planungsgeschichte des Gleisdreiecks:
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