Die Baugenossenschaft Möckernkiez hat das 3-ha-große Gelände an der Ecke Möckern/Yorckstraße vor einem Jahr von der VIVICO gekauft. Schon seit mehr als zwei Jahren arbeitet sie intensiv an Bebauungskonzepten für das Grundstück. Auf einer Veranstaltung im Rahmen der Kiezwoche „Kreuzberger Horn“ wird am Sonntag, den 28. August 2011 (Uhrzeit steht noch nicht fest) der aktuelle Planungsstand in der Christuskirche/Hornstraße vorgestellt werden.
Wenn das Projekt wirtschaftlich funktionieren soll, muss die Fläche relativ dicht bebaut werden. Ca. 400 Wohnungen sowie Flächen für Gewerbe sollen hier in den nächsten Jahren entstehen. Die vorhandene Vegetation muss dafür fast vollständig beseitigt werden. Im Bebauungsplanentwurf des Bezirks ist die Rede von 81 Bäumen, die unter die Baumschutzverordnung fallen. Da ein Großteil der Fläche im sogenannten Außenbereich (§35 Baugesetzbuch) liegt, ist die Initiative Möckernkiez verpflichtet, für den Verlust an Vegetation und die neue Versiegelung Ausgleich zu leisten nach Bundesnaturschutzgesetz. Im Text zum Bebauungsplan-Entwurf des Bezirks heißt es, im „worst case“, also bei einem vollständigen Verlust der Vegetation müssten 149 Bäume auf dem Grundstück gepflanzt werden, bzw. da dies nicht möglich ist, 95.000.- € gezahlt werden. Die Neuversieglung von ca. 1,2 ha soll soll zu 100% ausgeglichen werden durch die Finanzierung einer 1,2 ha großen, „naturnahen Parkanlage“ im Wert von 300.000.- €. Aber wo?
Die vom Bezirk vorgeschlagene Ausgleichsfläche liegt im nördlichsten Abschnitt des ehemaligen Potsdamer Güterbahnhof, in dem schmalen Streifen zwischen Parkhaus Debis und dem noch nicht bebauten Baufeld am östlichen Rand der Flottwellstraße. Die Ausgleichsfläche für den Möckernkiez wird also fast am Potsdamer Platz liegen, während die Ausgleichsflächen für die Bebauungen des Potsdamer und Leipziger Platzes auf dem Anhalter Güterbahnhof liegen, also unmittelbar benachbart zum Baufeld des Möckernkiezes. Wie kam es dazu?
Die Geschichte beginnt 1992
Damals wurden die Bebauungspläne für den Potsdamer und Leipziger Platz erstellt. Dort wird das „Maß der Nutzung“ weit überschritten. Die Umweltgutachten forderten zu Kompensation 60 ha Park auf dem Gleisdreieck. Und die Bürgerinitiativen kritisierten, dass die Umweltgutachten dabei noch Eingriffe ausgeblendet hatten, nämlich die Inanspruchnahme weiter Teile des Gleisdreiecks durch die Baulogistik mit dem Stückgutlager auf dem Anhalter Güterbahnhof und dem Betonwerk und dem Bauschuttlager auf dem Potsdamer Güterbahnhof. Der Verlust an Vegetation, vor allem auf dem ehemaligen Potsdamer Güterbahnhof, der bis auf die Kleingärten und wenige Randbereiche komplett abgeräumt wurde, wurde nicht mit in die Bilanz der Umweltgutachten aufgenommen. “Das wird dann im Planfeststellungsverfahren zu den Verkehrsanlagen im Zentralen Bereich geschehen“, war die Antwort der Senatsverwaltung auf die Kritik der Bürger. 1994, als der B-Plan Potsdamer und Leipziger Platz im Abgeordnetenhaus beschlossen wurde, waren es schließlich noch 16 ha Ausgleichsfläche, davon sollten 8-10 ha auf dem Potsdamer Güterbahnhof liegen, der Rest auf dem Anhalter Güterbahnhof.
Nur ein Jahr später, 1995 in der öffentlichen Anhörung zu den „Verkehrsanlagen im Zentralen Bereich“ (Auto- und Bahntunnel unter dem Tiergarten) hieß es dann von der selben Senatsverwaltung, die Eingriffe durch die Baulogistik auf dem Gleisdreieck müssten nicht berücksichtigt werden, denn die Baulogistik sei ja schon vorhanden. Ausgetrickst!
Ein Klage der IG Gleisdreieck gegen diesen B-Plan wegen der mangelhaften Bilanzierung der Eingriffe und der nur vagen Absicherung der Ausgleichsflächen wurde 1998 vom Oberverwaltungsgericht abgewiesen. Immerhin hat das Land Berlin im Gerichtsverfahren damals einen neuen Flächennutzungsplanentwurf vorgelegt, mit dem die 16 ha Ausgleichsfläche planungsrechtlich gesichert werden sollen. Der Flächennutzungsplan wurde damals auch beschlossen und gilt in dieser Form bis heute.
Doch nur zwei Jahre später, im Jahr 2000 sahen die Planungen der Senatsverwaltung plötzlich eine neue Baufläche vor an der westliche Kante des Bahngeländes, auf einer Fläche, die bis dahin als Ausgleichsfläche festgeschrieben war. Nicht nur der FNP sah und sieht bis heute hier Grün vor, auch in im Notenwechsel zwischen Land Berlin und der Deutschen Bahn und in den städtebaulichen Verträgen mit den Investoren vom Potsdamer Platz wurde hier die Ausgleichsfläche vorgesehen. Aber wohin mit den Ausgleichsflächen, wenn dort gebaut werden soll?
Wohin mit den Ausgleichsflächen?
Eine Verlagerung der Ausgleichsflächen auf die Fläche über dem Eisenbahntunnel würde sie in keinem Fall tolerieren, so äußerte sich damals die zuständige Mitarbeiterin der Senatsverwaltung für Ausgleichsflächen auf einer öffentlichen Veranstaltung. Das Ergebnis war, die ökologischen Ausgleichsflächen auf dem Potsdamer Güterbahnhof wurden von 10 ha auf 4 ha reduziert was man dort nicht unterbringen konnte, wurde auf dem Anhalter Güterbahnhof verschoben und liegt nun vor der Tür des Möckernkiezes.
2004, beim Abschluss des städtebaulichen Vertrages zwischen Land Berlin und der VIVICVO wurden nicht nur fünf Bauflächen festgelegt, die Flottwellpromenade an der westlich Kante des Potsdamer Güterbahnhofs, die „Urbane Mitte“ rund um den U-Bahnhof Gleisdreieck, das „Yorckdreieck“, der „Schwechtenpark“, wo das Riesenrad hin sollte (nach dem Scheitern der Riesenradpläne musste das Land Berlin die Fläche für 5,3 Mio. € erwerben) und der „Möckernkiez“, der abweichend von der Festlegung des Flächennutzungsplan auf das Doppelte vergrößert wurde. Gleichzeitig wurden auch auch mögliche Ausgleichsflächen für die Eingriffe auf diesen Bauflächen vertraglich vereinbart. Am wenigsten schmerzt es den Grundstückseigentümer, wenn man für den Ausgleich Flächen nimmt, die wirtschaftlich nicht verwertbar sind. Genauso wurde es im Rahmenvertrag mit der VIVICO geregelt. Im Vertrag sind zwei Standorte als Ausgleichsflächen vorgesehen, die Gleisinseln zwischen den noch nicht existierenden Bahnlinien der S21 und der Regionalbahn Potsdam (zur Zeit befindet sich dort der Beachvolleyball) und die nicht bebaubare Fläche über dem Eisenbahntunnel.
Genau dort auf diesem Eisenbahntunnel wird nun die Ausgleichsfläche des Möckernkiezes verortet, die dort als „naturnahe Parkanlage Ausgleichsfunktion entfalten“ soll. Ein Hoch auf die Flachwurzler!
Kann das tatsächlich die ökologische Ausgleichsfläche für ein Projekt sein, dass sich selbst als einzigartiges Modellprojekt bezeichnet, das selbstverständlich ökologisch nachhaltig sein will? Die Initiative Möckernkiez steckt hier in einer Zwickmühle zwischen den hohen Ansprüchen, die ihre Mitglieder formulieren und dem Erbe, das sie von der VIVICO als Grundstückbesitzer übernommen haben. Zum Zeitpunkt als der städtebauliche Vertrag Gleisdreieck ausgehandelt wurde, war die VIVICO zwar noch eine bundeseigene Gesellschaft, mit riesigen Grundstückbesitz auf ehemaligen Bahnflächen. Trotzdem agierte sie schon damals mit ihrem Grundstückbesitz nicht im Sinne des Gemeinwohls. Legendär ist die jahrelange, rücksichtslose Blockade des Gleisdreieck-Parks, um maximale Bauflächen durchzusetzen, ohne Rücksicht auf die für die gesamte Stadt klimatisch wichtige Frischluftschneise zwischen Tiergarten und südlichem Stadtrand. Ebenso die Schlitzohrigkeit im Detail: Als 2005 der Beachvolleyball auf dem Baufeld Möckernkiez installiert wurde, stellte die AG Gleisdreieck zusammen mit der Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz (BLN) einen Antrag auf Baustopp, um zu erreichen, dass das Abtragen des Bodens und die Entfernung von Vegetation bilanziert und ausgeglichen wird. Nach einem Gespräch mit der Senatsverwaltung zog die BLN den Antrag zurück, weil die Verwaltung versichert hatte, dass im städtebaulichen Vertrag der Ausgleich dieser Eingriffe vorgesehen sei und erfolgen werde. Ein Jahr später, 2006 bei der Aufstellung des Bebauungsplans Gleisdreieck wurden die Eingriffe durch den Beachvolleyball „als nicht erheblich“ bezeichnet und nicht berücksichtigt, weil sie vor dem im B-Plan vorgesehenen Stichtag erfolgt waren. Ausgetrickst!
Die nun im Teilbebauungsplan für den Möckernkiez vorgeschlagenen 300.000.- € für die Versiegelung des Bodens und die 95.000.- € für die gefällten Bäume als Ausgleichsmaßnahmen im Sinne des Bundesnaturschutzgesetzes machen noch nicht mal 0,5 % der Gesamtkosten des Projekts aus. Auf ein paar Euros mehr oder weniger sollte die Diskussion jedoch nicht rauslaufen. Wichtiger wären Verbesserungen des Konzepts, z. B. könnte der Zugang zum Park, der jetzt an der Süd-West-Ecke des Projekts (gegenüber der Einmündung der Katzbach- in die Yorckstraße) vorgesehen ist, auch auf andere Weise erfolgen. Die Süd-West-Ecke ist geprägt von alten Bäumen, die für diesen Zugang weichen müssten. Der Bau der Treppenanlage an dieser Stelle hätte außerdem zur Folge, dass die erste Yorckbrücke mit ihrem nördlichen Widerlager quasi in der Luft hängen würde. Eine öffentliche Erschließung des Parks von der Yorckstraße aus durch den Stadtteil Möckernkiez hindurch könnte eine Alternative sein. Und die Initiative Möckernkiez könnte eine Patenschaft für die ersten drei Yorckbrücken übernehmen, die mit ihrem nördlichen Widerlagern in ihrem Grundstück liegen und deren Sanierung noch nicht gesichert ist. Wie wär’s mit hängenden Gärten über der Yorckstraße?
Teilbebauungsplan Möckernkiez immer noch nicht ausgelegt
Unverständlich ist, warum der Teilbebauungsplan Möckernkiez, der im Februar 2011 von der BVV Friedrichshain-Kreuzberg „zur Kenntnis“ genommen wurde, immer noch nicht ausgelegt worden ist. Damit wurde wertvolle Zeit vertan. Das Baugesetzbuch sieht bei Bebauungsplänen die Beteiligung der Öffentlichkeit vor. Normalerweise beginnt dies mit der frühzeitigen Bürgerbeteiligung, dann folgt die Beteiligung der Träger öffentlicher Belange (Feuerwehr, Ämter, Naturschutzverbände usw.), dann folgt eine erneute öffentliche Auslegung. Die frühzeitige Bürgerbeteiligung ist die entscheidende, denn zu diesem Zeitpunkt gibt es in der Regel Gestaltungsspielraum. Bei der zweiten Auslegung sind jedoch meist schon alle wichtigen Eckpunkte festgeschrieben. Die Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck hatte sich 2006 an der der frühzeitigen Bürgerbeteiligung beteiligt und u. a. den Umgang mit den ökologischen Ausgleichsflächen kritisiert, sowie vorgeschlagen, auch die Erschließung des Parks durch das Baufeld Möckernkiez, den Umgang mit den historischen Spuren und vorhandenem Grün im Bebauungsplanverfahren zu behandeln. Alle diese Themen würden erst in den Teilbebauungsplänen thematisiert, schrieb dazu das Amt in der Auswertung der frühzeitigen Bürgerbeteiligung. „Die städtebauliche Einbindung und Gestaltung wird Gegenstand des Teilbebauungsplan sein“ oder „Die Auseinandersetzung mit den genannten Elementen wie Stützmauern und Gebäudebeständen wird im Rahmen der Teilbebauungspläne stattfinden“ lauteten die Formulierungen des Stadtplanungsamt Friedrichshain-Kreuzberg im Jahr 2006.
Nun – 2011 – heißt es aus dem selben Amt, eine frühzeitige Auslegung des Teilbebauungsplan Möckernkiez sei nicht notwendig, es habe ja schon mit der Auslegung des Generalbebauungsplan Gleisdreieck im Jahr 2006 eine frühzeitige Bürgerbeteiligung gegeben. Wenn also noch die städtebauliche Einbindung des Möckernkiez thematisiert wird, dann ohne Bürgerbeteiligung! Einen solch negativen Umgang mit der im Baugesetzbuch vorgesehenen Bürgerbeteiligung, hätte man in einem Bezirk, der Wert auf seine demokratische Planungskultur legt, nicht erwartet. Die Initiative Möckernkiez ist schlecht beraten, wenn sie diese Anti-Beteiligungs-Politik des Bezirksamts einfach so mitmacht. Intern ist Partizipation die Grundlage aller Planungen der Initiative Möckernkiez. Im Verhältnis zur Nachbarschaft und Öffentlichkeit sollte die Intitiative Möckernkiez ebenso auf Partizipation als Ressource zur Verbesserung ihrer Planungen setzen.
Weitergehende Informationen
- Teilbebauungsplan Möckernkiez vom 16.02.2011, PDF-Dokument
- http://www.moeckernkiez.de/planungsstand/
- Landwehrkanalblog zu Modellprojekt Möckernkiez