Gerade steht das 25jährige Jubiläum des neuen Potsdamer Platzes an. Doch zum Feiern ist da niemanden zumute. Der Tagesspiegel hat das Fiasko in einem langen Artikel ausführlich beschrieben. Wären da nicht die Touristen, wäre es komplett tote Hose. Der Marlene-Dietrich-Platz hat nichts von Marlene. Die Arkaden haben nicht arkadisches, sondern sind eine Konsumhölle, die gerade einen Neustart probiert. Büroraum steht reihenweise leer oder wird gerade modernisiert. Das Gebäude der Spielbank versperrt den Blick Richtung Kulturforum. Die Bewohner der wenigen Wohnungen bleiben unsichtbar. Das Filmmuseum und die Arsenal-Kinos im Sony-Center werden in den Wedding ziehen, wenn der teure Mietvertrag in 2025 ausläuft.
Die Eröffnung des Potsdamer Platzes im Jahre 1998 war wohl das einzige Mal, dass die Berliner in Massen dorthin strömten. Die Baustelle war zuvor zum Symbol des Aufbruchs nach dem Fall der Mauer geworden – inszeniert durch die rote Infobox und das Ballett der Baukräne mit dem Dirigenten Baremboim. Für die 40 m tiefen Baugruben wurden gigantische Mengen an Erdaushub abtransportiert – für einen guten Zwecke angeblich, nämlich zum Verfüllen von Braunkohlelöchern. Vorab wurden die Bauten mit Superlativen beschrieben, z. B. das Eingangsfoyer von Debis habe die Proportionen des Mittelschiffs der Notre Dame von Paris, hieß es. Anlässlich der Eröffnung 1998 waren alle neugierig. Aber danach nahm das Interesse kontinuierlich ab. Nur sporadisch kam wieder Leben in die Bude, durch die Filmfestspiele und das Public-Viewing anlässlich der WM 2006.
Das Bauen war wichtiger als das gebaute Ergebnis. Bloß kein Stillstand! Alle wollten Zeuge sein, wie die Lücke zwischen Ost und West gefüllt wurde. Um in kurzer Zeit soviel Bauen zu können, wurde das Gleisdreieck von 1992 bis 1998 für die Baulogistik genutzt. Die auf dem Bahngelände geplante Bundesgartenschau wurde abgesagt, eine Menge Grün und historische Spuren gingen verloren. Die Transporte sollten überwiegend mit der Bahn erfolgen. In der Werbung für den Potsdamer Platz wurde immer wieder vorgerechnet, wie viel zig Tausend LKW-Kilometer eingespart worden seien durch die intelligente Baulogistik. Alles ökologisch verträglich also.
Auf dem Anhalter Güterbahnhof (heute Ostpark) befand sich das Stückgutlager der Baulogistik. Dort wo jetzt die große Wiese ist, wurde umgeladen von der Bahn auf LKWs. Von hier fuhren die LKWs über eine eigene Straße und eigene Brücke über den Landwehrkanal zum Potsdamer Platz. Der Potsdamer Güterbahnhof (heute Westpark) wurde genutzt zum Abtransport des Erdaushubs. Dort, wo heute die Beachvolleyballfelder sind, stand ein historischer Ringlokschuppen und lag ein riesiger Berg alter Eisenbahnschwellen aus Holz. Beides fiel 1992 einem großen Brand zum Opfer. An der Stelle wurde dann das Betonwerk errichtet.
Allein 1,8 Mio. m³ Transportbeton wurden von hier auf die Baustellen am Potsdamer Platz geliefert.
Quelle: Etter, Max, Baustellenlogistik für den Potsdamer Platz, Schweizer Ingenieur und Architekt, Band: 116 (1998)
Zur Feier der ersten Millionen Kubikmeter Beton hatte die Baulogistik die Anwohner zu einer Grillparty aufs Gleisdreieck eingeladen. Enorm stolz waren die Macher damals auf ihre Leistung. Ökologisch sei das alles einwandfrei hieß es, weil die Zulieferung bis zum Gleisdreieck über die Bahn erfolgte. Heute wissen wir mehr: nach Berechnung mit der Ökobaudat bedeuteten die 1,8 Mio. m³ Transportbeton eine Emission von knapp 770.000 Tonnen CO2-Äquivalenten – Berechnung ohne den Stahl und all die anderen Materialien, die auch reichlich verwendet wurden. Haben sich die CO2-Emissionen gelohnt?
Die CO2-Emissionen hatten die Umweltgutachter damals noch nicht auf dem Schirm. Als schwerwiegendsten Eingriff durch die Bauten am Potsdamer und Leipziger Platz befürchteten sie die Schließung des Wärmerings um den Berliner Tiergarten und dadurch eine Erhöhung der Strahltemperaturen Jahresmitteltemperaturen um 1 bis 2 Grad. Mit diesen Umweltgutachten wurde die Anlage der ökologischen Ausgleichsflächen auf dem Gleisdreieck begründet. Die über die Bahngelände verlaufende Frischluftschneise zwischen Tiergarten und südlichen Stadtrand sollte freigehalten werden vor weiteren geometrischen Hindernissen.
Genau in dieser Frischluftschneise steht nun eine Verlängerung des Potsdamer Platz auf dem Plan. Unter dem Namen Urbane Mitte sollen im Gleisdreieck 119.000 m² Bruttogeschossfläche gebaut werden. Sieben bis zu 90 m hohe Hochhäuser, raumgreifende Sockelbauten, 100% Versiegelung, komplett mehrgeschossig unterkellert wie am Potsdamer Platz, wo ein sogenannter Minusbereich die Bauten unterirdisch verbindet. 70% Büroraum, 30 % Einzelhandel, Gastronomie, Vergnügungsstätten, Kultur und ein bisschen Sport, keine Wohnungen. Strukturell etwa das gleiche wie am Potsdamer Platz.
Beide Bauvorhaben sind verknüpft mit Verkehrsanlagen. Am Potsdamer Platz wurden gleichzeitig mit den Gebäuden der Autotunnel und der Eisenbahntunnel unter dem Tiergarten gebaut, der S-Bahn-Tunnel instandgesetzt. Am Gleisdreieck sind die Bahnanlagen schon da – bis auf die neue S21. Der nördliche Teil der Urbane Mitte soll bis auf 6 m an den Fernbahntunnel angrenzen, die beiden 90m-Türme in einem Abstand von 5 m zum Viadukt der U1 stehen. Die S21 soll das Baugrundstück auf einer Höhe von ca. 4 m in Nord-Süd-Richtung durchfahren. Würden die Hochhäuser gebaut, würde die neue S-Bahn überwiegend in den Sockelbauten verschwinden. Die noch fehlende Planfeststellung der S21 ist der Grund, warum erstmal nur der Bebauungsplan zum südlichen Teil der Urbanen Mitte zur Beschlussfassung ansteht.
Das südliche Baufeld reicht bis auf einen Meter an den Tunnel von S1 und S2 aus den 1930er Jahren. Wenn da etwas passiert wie letztes Jahr am Alexanderplatz mit der U2, wären täglich 120.000 Fahrgäste betroffen.
Ein weiterer Unterschied zum Potsdamer Platz: die Baustoffe kommen nicht wie vor 25 Jahren mit der Bahn, sondern sollen mit LKWs angeliefert werden und zwar durch die Trebbiner Straße für den Südteil und durch die Schöneberger und Luckenwalder Straße für den Nordteil. Dennoch soll das ganze treibhausgas-neutral oder sogar treibhausgas-negativ gebaut werden. Nach Verabschiedung des Bebauungsplans sei geplant, in einem Realisierungswettbewerb Konzepte dafür finden. Mehr zu den Fragen treibhausgas-neutral und treibhausgas-negativ demnächst in diesem Blog.
Am Potsdamer Platz ist zu beobachten, dass die Gleichung je höher, desto urbaner nicht aufgeht. Marlene-Dietrich Platz und Tilla-Durieux-Park (die Rasenskulptur anstelle des früheren Potsdamer Personenbahnhofs) wirken verlassen. Kaum ein Besucher sucht sie gezielt auf, nur ein paar müde Touristen stranden hier.
Anders der Park am Gleisdreieck. Der Ost- und besonders der Westpark bersten vor Lebendigkeit. Zehntausende Besucher an manchen Tagen. Die eigentliche Urbane Mitte sind nicht die Gebäude, die am Rand geplant werden. sondern der Park selbst. Denn Urbanität ist das friedliche Zusammentreffen von Menschen unterschiedlicher Herkunft und Generationen. Tagsüber funktioniert der Park wunderbar. Nachts jedoch stößt das Parkleben an Grenzen. Vom Partylärm gestresste Anwohner:innen suchen seit Jahren vergeblich nach Lösungen. Die kommerziellen Angebote auf dem Grundstück der Urbane Mitte Besitz S.à .r.l., Café Jules, BRLO usw. waren dabei bisher wenig hilfreich. Im Gegenteil.
Zum ersten Mal seit Jahren ist eine öfffentliche Debatte über das Bauvorhaben Urbane Mitte möglich. Wer am Runden Tisch Urbane Mitte Gleisdreieck am Samstag, den 23. September teilnehmen möchte, kann sich hier anmelden:
https://www.baustelle-gemeinwohl.de/veranstaltung/runder-tisch-urbane-mitte/