Wenn alle Pläne abgestimmt sind, wenn festgelegt ist, wo die Tiefgarageneinfahrt sein wird, die Bauanträge bewilligt, die Abrissarbeiten fast beendet sind, die ersten Mietverträge in trockenen Tüchern, dann findet der Investor, die PECAN Development endlich Zeit, die Öffentlichkeit und die Nachbarn zu informieren. So geschehen beim Projekt zur Nachnutzung des Commerzbank-Areals. Immerhin sollen hier ca. 27.000 m² Nutzfläche neu entstehen und das Projekt erstreckt sich über zwei Blöcke von der Potsdamer Straße entlang der Bülowstraße über die Steinmetzstraße hinweg bis zur Blumenthalstraße.
Erste Infos gab es auf dem Präventionsrat des Schöneberger Nordens im September 2018. Bilder wurden damals keine gezeigt, lediglich berichtet, dass das ganze Projekt ausschließlich Gewerbe beinhaltet. In den Erdgeschossen soll es Einrichtungen und Geschäfte geben, die sich der Öffentlichkeit zuwenden. Baustadtrat Oltmann berichtete, das man versucht habe, die Gertrud-Kolmar-Stadtteil-Bibliothek mit 600 m² dort unter zubringen, dass dies aber gescheitert sei, weil nur noch 450 m² zur Verfügung stünden. Nicht nachvollziebar, wenn man bedenkt, dass allein in den Erdgeschossen geschätzt mindestens 3000 m² an Nutzfläche zur vorhanden sein werden. In Erinnerung an die Veranstaltung blieben die Beschwerden der Anwohner über Lärm und Staub, insbesondere über die unsachgemäße Lagerung von teilweise zerrissenen Müllsäcken mit der Aufschrift „Asbest – krebserregend“ unter freien Himmel. Baustadtrat Oltmann versprach, die Sachlage bis zum nächsten Präventionsrat zu klären.
Am 15. 11. 2018 wurden schließlich die Anwohner eingeladen zu einer Infoveranstaltung in der Potsdamer Straße 125. Die ehemalige Schalterhalle der Commerzbank ist völlig freigeräumt, zum Rohbau zurückentwickelt – und unbeheizt. Es ist bitterkalt. Trotzdem blieben die Anwohner bis zum Schluss. Zu groß war der Ärger, über das, was sie in den vergangen Monaten haben erleben müssen. Nach kurzer Projektpräsentation (fotografieren unerwünscht) durch den Geschäftsführer der PECAN Development, ging es nur noch um Staub, Lärm, Abgase und Risse in den Nachbargebäuden. Vergeblich hatten Anwohner sich in den letzten Monaten beschwert und um Hilfe gebeten. Niemand fühlte sich zuständig. Besonders der Staub, der durch alle Ritzen in die benachbarten Wohnungen eingedrungen ist, macht Sorgen. Denn es gibt die Befürchtung, dass sich im Staub Asbest- und Mineralfaserpartikel befinden könnten. Der Geschäftsführer der PECAN und der ihn begeleitende Gutachter lehnten jedoch die von den Anwohner geforderten Staubmessungen ab, da könne man nichts feststellen – der Verdünnungseffekt und die Zeit – dass wüssten sie genau. Ansonsten zeigten sie sich unwissend. Was vor Ort auf der Baustelle passiert, davon schienen sie keine Ahnung zu haben. Der Gutachter bemängelte zudem die unscharfen Fotos, die eine Anwohnerin gemacht hatte. Nicht ein mal von dem Schwelbrand, der ein paar Tage zuvor auf der Baustelle durch die Feuerwehr gelöscht werden musste, wussten sie. Auch die Mitarbeiter der PECAN, die sich winterlich gekleidet unter die frierenden Besucher gemischt hatten, sprangen ihrem Chef nicht helfend zur Seite.
Immerhin bekamen die Anwohner in der Woche nach der Veranstaltung von der PECAN ein Schreiben, in dem ein Ansprechpartner für Beschwerden genannt wird. In dem Schreiben wird zugestanden, dass die Baufirmen nicht alles korrekt gemacht hätten, indem sie in Säcke mit der Beschriftung für die Entsorgung von Schadstoffen normalen Bauschutt eingefüllt hätten. Jedoch versichert der Gutachter in dem Schreiben, dass zu keiner Zeit eine Gefährdung der Anwohner und Passanten bestanden habe. Weiter bietet die PECAN den Anwohnern an, die Reinigungskosten für die Wohnungen und die PKWs zu übernehmen.
Fragen zum Projekt
Erst am Ende der Veranstaltung gab es Fragen zum Projekt selber. Warum werden keine Wohnungen gebaut, wo die Tiefgarageneinfahrt seien wird – in der Steinmetzstraße, ob auf den Dachterrassen Parties gefeiert werden.
Eigentlich Fragen, die zu Beginn einer Planung hätten erörtert werden müssten. Natürlich wäre es möglich und sinnvoll gewesen, die Tiefgarageneinfahrt in die Bülowstraße zu legen. Und eventuell sähe die Gestaltung auch anders aus. Die Ecke Bülow/Steimetzstraße wird in der BZ als der „Neubau mit dem Knick“ bezeichnet. Während die klassischen Ecken entlang der Steinmetz- und Kurfürstenstraße oft abgeschrägt sind und sich so zugunsten des öffentlichen Raumes zurückhalten, macht die neue Ecke des Gebäudes, das die Macher „Zentrale des Wirtschaftswunders“ nennen, genau das Gegenteil. Oberhalb des Erdgeschosses kraagt das Gebäude aus – über die Bauflucht hinaus. Eine aggressive Geste, die nicht einladend sein wird, sondern ein Ausrufezeichen sein soll : hier bin ich.
Warum keine Wohnungen?
Natürlich wäre auch Wohnnutzung möglich gewesen. Bei 30 % Wohnanteil würden ca. 8000 m² der insgesamt 27.000 m² für Wohnungen genutzt werden, je nach Wohnungsgröße zwischen 100 und 150 Wohnungen. An der Steinmetzstraße beispielsweise. Warum es nicht dazu kam, wollte die Bezirksverordnete Dr. Christine Scherzinger (Die Linke) vom Bezirksamt mit einer kleinen Anfrage erfahren. In der Antwort schreibt das Bezirksamt u. a.:
Da das Grundstück jedoch bisher immer gewerblich genutzt wurde und eine Wohnnutzung sich mit dem Konzept des Bürokomplexes nicht vereinbaren ließ, wurde von einer Wohnnutzung abgesehen.
Klar, mit Gewerbemieten lässt sich noch leichter noch mehr Geld verdienen als mit Wohnungen. Der erste Mietvertrag wurde vor kurzem bekannt, es ist die die Firma KWS.
Mit dem Spruch „Bisher immer schon gewerblich genutzt“ zeigt sich das Bezirksamt jedoch nicht auf der Höhe der Zeit, weil es so tut, als sei das „bisher immer“ ein Argument. Selbst wenn das Argument stimmen würde, hätte angesichts der Wohnungsnot und des vorhandenen Planungsrechts das Bezirksamt sich hier für eine echte Mischung aus Wohnen und Arbeiten einsetzen müssen.
Stimmt das denn mit dem „bisher immer“?
Anfang der 1950er Jahre siedelte sich die Commerzbank auf dem teilweise kriegszerstörten Grundstück an Potsdamer und Bülowstraße an. Vorher gab es hier einen klassisch gründerzeitlichen Block – selbstverständlich mit der typischen Berliner Mischung aus Wohnen und Arbeiten. In der 1980er Jahren erweiterte sich die Commerzbank auf den Block entlang der Bülowstraße zwischen Steinmetz- und Blumenthalstraße. Der Bezirk stellte hierfür den Bebauungsplan XI 101d auf, der Kerngebiet vorsah und auch die Wohnhäuser der Blumenthalstraße 7 bis 10 umfasste. Ein am Projekt beteiligter Architekt hatte damals ein so schlechtes Gewissen, dass er versuchte, die Nachbarn zu aktivieren, damit diese Häuser nicht auch noch von der Commerzbank geschluckt würden. Glücklicherweise kam es nicht dazu.
2012 stellt der Bezirk Tempelhof-Schöneberg dann den Bebauungsplan 7 -50B auf. Damit wurde die Zweckbestimmung von Kerngebiet in Mischgebiet geändert. In der Begründung heißt es unter anderem :
Der Bebauungsplan 7-50B hatte insbesondere die Änderung der Gebietsart von einer eher umweltbelastenden Kerngebietsausweisung in eine bestandsorientierte, eher umweltentlastende Misch- und Wohngebietsausweisung zum Ziel.
Mit dem Bebauungsplan 7-50B wurden für mehrere Bebauungspläne entlang der Potsdamer Straße die Zweckbestimmung von Kerngebiet zu Mischgebiet geändert. Hintergrund war der Konflikt um das Laufhaus im ehemaligen Wegertkaufhaus an der Ecke zur Kurfürstenstraße. Für die Abwehr dieses Projektes war der Bebauungsplan 7-50B hilfreich. Aber danach hat der Bezirk sein selbstgesetztes Planungsziel „umweltentlastende Misch- und Wohngebietsausweisung“ aus den Augen verloren. Eine verpasste Chance.
- Kleine Anfrage von Dr. Christine Scherzinger (Die Linke) zur Neugestaltung des ehemaligen Commerzbank-Areals
- Link zum Projekt “Wirtschaftswunder” des Architekturbüros Gewers und Pudewill