Zurückweisung der Weisung

Bebauungsplan Urbane Mitte Nord – Streit um die Planungshoheit

Wohl die meisten kennen den Stress kurz vor Weihnachten – was noch alles erledigt werden muss! Irgendwas bleibt dann doch übrig und muss zwischen den Jahren zu Ende gebracht werden. So ging es vermutlich auch der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, die am 30. Dezember 2024 dem Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg ein „Weisung“ genanntes Schreiben sandte.

Darin fordert der Senator, der Bezirk möge doch bis Ende 2026 den Bebauungsplan Urbane Mitte Nord festsetzen und einen entsprechenden Zeitplan vorlegen. Die Planfeststellung für die S21 könne dann später erfolgen. Ansonsten behalte sich die Senatsverwaltung vor, das Bebauungsplanverfahren an sich zu ziehen, wie sie es schon für den Südlichen Bereich der Urbanen Mitte im Juni vergangenen Jahres gemacht hatte.

Am 09. Januar 2025 debattierte nun der Ausschuss für Stadtentwicklung im Bezirk über die Weisung. Schließlich stimmten SPD, Grüne und Linke für eine Beschlussempfehlung, mit der die Weisung der Senatsverwaltung zurückgewiesen wird. Darin heißt es :

. . . Sie (die Weisung) missachtet sachgrundlos die Planungshoheit des Bezirks und die BVV als demokratisch legitimiertes Gremium. Die BVV bekräftigt ihren Willen, nach Planfeststellung der S 21 den B-Plan für die Urbane Mitte Nord nach städtebaulichen Kriterien und offener Abwägung festzulegen. . .

[Link zur Beschlussempfehlung: Weisung zurücknehmen – Zuständigkeit des B-Plans Urbane Mitte Nord bei Bezirk belassen, von Gaby Gottwald (Die Linke) und Sarah Jermutus (Bündnis 90/Die Grünen)]

Zum Hintergrund

Im Jahr 2018 war das Bebauungsplanverfahren Urbane Mitte IV 140 ca in die beiden Bebauungspläne B-Plan VI 140caa Urbane Mitte Nord und B-Plan VI 140cab Urbane Mitte Süd geteilt worden. Als Begründung wurde damals genannt, dass erst die die Planfeststellung für die neue S-Bahnlinie S21 mit dem Umsteigebahnhof zur U-Bahn am Gleisdreieck abgeschlossen werden müsse. Das Eisenbahnbundesamt (EBA) hatte es in seiner damaligen Stellungnahme zum Bebauungsplan so ausgedrückt:

. . . Das EBA hat im Rahmen der Planfeststellung diejenige Trassenvariante zu genehmigen, die unter Abwägung aller Betroffenen öffentlichen und privaten Belange die vorzugswürdigste ist. Auf einer nach wie vor bahngewidmeten Fläche könne das EBA daher nicht der Genehmigung bahnfremder Nutzungen zustimmen, durch die Vorfestlegungen, Zwangspunkte und generell Fakten geschaffen werden, die die Trassierung der anstehenden S-Bahnstrecke und die Lage und Dimensionierung des Bahnhofs Gleisdreieck im Vorgriff auf die Planfeststellung zementieren würden. Auch eine Vorab-Genehmigung von Teilen des Bahnhofs ohne Gleisanbindung wäre hier eine unzulässige Vorfestlegung der Trassenentscheidung für die S21 . . .

[Quelle: Beschluss zur Teilung des Bebauungsplans, 03.09.2018, Drucksache: DS/0853/V, Seite 13]

Die bis zu 90 m hohen Türme der Urbane Mitte sollen zum Teil auf der zukünftigen Bahntrasse und dem Bahnhof der S21 stehen. Beides – die Bahn und die Hochhäuser – müssten gleichzeitig gebaut werden. Die Sache ist sehr komplex. Die Enge zwischen den Hochhäusern und Bahnlinien würde eine große Herausforderung darstellen, schon im Betrieb, aber insbesondere im Katastrophenfall. Aber auch das Bauen selbst ist nicht ohne Risiko. Die Fundamente der Hochhäuser – vermutlich 30 bis 40 m tief – sollen unmittelbar an die Fundamente des U1-Viaduktes heranreichen und wären benachbart zum Fernbahntunnel. Hier sind doch erhebliche Rissbildungen, wenn nicht sogar Grundwassereinbrüche zu befürchten.

In der Begründung zum Antrag am 9.01.2025 heißt es folgerichtig:

. . . Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ist daher objektiv nicht in der Lage, ohne Planfeststellung der S 21 den Bebauungsplan Nord mit vom Senat vorgegebener Terminsetzung 2026 abzuschließen. Auch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung würde diesem Sachzwang unterliegen, würde sie die Planungshoheit an sich ziehen. Eine Beschleunigung in der Festlegung des B-Plans Nord könnte auch sie ohne Planfeststellung nicht erreichen . . .

[Link zur Beschlussempfehlung: Weisung zurücknehmen – Zuständigkeit des B-Plans Urbane Mitte Nord bei Bezirk belassen, von Gaby Gottwald (Die Linke) und Sarah Jermutus (Bündnis 90/Die Grünen)]

Bleibt die Frage, warum der Senat auf den letzten Drücker, kurz vor Jahresschluss diese Weisung erteilte. Gab es eine Frist? Musste ein Versprechen erfüllt werden?

Am 5. Juni 2024, zwei Tage nach dem Eintritt der Senatsverwaltung in das Bebauungsplanverfahren Urbane Mitte Süd, hatten sich Vertreter des Vorhabenträgers mit Senator Gaebler und dem Abgeordneten Gräff (CDU) getroffen. Laut Aktennotiz wollte Senator Gaebler damals zuerst mal den B-Plan für das südliche Baufeld festsetzen, bevor über das nördliche Baufeld diskutiert wird. Im Anschluss hatte der Vorhabenträger der Senatsverwaltung dann jedoch ein Papier ihres Anwalts zukommen lassen, in dem die Strategie vorgezeichnet wurde, dass Deutsche Bahn und Eisenbahnbundesamt vorab dem Bebauungsplan zustimmen sollen, also vor der Planfeststellung der Bahnanlagen.

[Quelle Akteneinsicht nach IFG, https://fragdenstaat.de/anfrage/bebauungsplanverfahren-vi-140cab-urbane-mitte-sued/]

Genau diese Strategie will die Senatsverwaltung nun also umsetzen. Dass der Beschluss im Friedrichshain-Kreuzberger Ausschuss die Senatsverwaltung davon abbringt, ist trotz stichhaltiger Argumente unwahrscheinlich. Vermutlich wird schon an den Formulierungen für den Eintritt in das Bebauungsplanverfahren gefeilt.
Es bleibt spannend. Fortsetzung folgt.

4 Kommentare zu “Bebauungsplan Urbane Mitte Nord – Streit um die Planungshoheit

  1. Na, da fehlten wohl zum Stichtag für die Buchprüfer ein paar offizielle Schreiben in den Ordnern, die Projektfortschritt dokumentieren und die Aufrechterhaltung der hochspekulativen Bewertungen der Nordgrundstücke rechtfertigen. Ohne die schützende Schadenersatzklausel aus dem Vertrag als Wertversicherung und unter völliger Planungs-/Realisierungsabhängigkeit von EBA/DB bei der Überbauung im Norden, müsste man die Grundstücksbewertungen dort sicher substantiell korrigieren. So eine Abschreibung von 100 Mio. kommt in der Regel vernichtend an bei institutionellen Geldgebern und macht einen selbstredend zu einer guten Lachnummer auf dem kommenden Immobilientag…
    Toi, toi, toi in 2025 für eine weiterhin aufschlussreiche Berichterstattung, Herr Bauer. Wir lieben Sie (und das Gleisdreieck)!

    1. Interessant ist übrigens auch der Jahresbericht zu DLE Funds SICAV_RAIF (kostenlos unter B238100 im Handelsregister in Luxemburg abrufbar). Wir sind darauf gestoßen worden über die Anfrage der Linken zu einigen Angaben darin zum Gleisdreieck- es gab schon Absichtserklärungen von Mietern in den Südtürmen zum Stichtag 31.12.2023?? Der Landspekulationsfonds sollte ürsprünglich Ende 2024 terminieren. Die zweite und letztmögliche einjährige Verlängerung läuft zum Ende 2026 aus, was den Termindruck in der Planung am Gleisdreieck erklärt- dann wird abgerechnet und die Flächen sind ohne erteiltes Baurecht kaum vermarktbar. Was soll man sagen, die Zahlen sehen schon im Bericht bis Ende 2023 traurig aus. Wenn man sich den Kursverlauf des Unterfonds Gleisdreieck aufruft (WKN LU2091084298), hat dieser in den ersten drei Quartalen 2024 weitere 11% an Wert verloren. Der Anteilsschein lag am 30.9.2024 mit 89,13 Euro NAV also 11% unter Ausgabekurs Anfang 2020. Zudem hat der Fond Kosten von über 2% pro Jahr.
      Dazu passend dann noch die Daten vom Berliner Büroimmobilienmarkt für Q4/2024 durch die BNP Paribas- Leerstand 1,5 Mio. Quadratmeter (plus 68% gegenüber Vorjahr), davon 912’000 modern (+75% gegenüber Vorjahr). Weitere 630’000 Quadratmeter kurzfristig verfügbar aus Flächen im Bau, d.h. 2,1 Mio. Quadratmeter Leerstand/verfügbar, davon 1,5 Mio Quadratmeter modern. Flächenumsatz Q1-Q3/2024 bloß 580’000 Quadratmeter auf ganz Berlin- es bräuchte m.a.W. Jahre, um die verfügbaren leeren Flächen bei aktueller Nachfrage zu vermarkten. In der Mikrolage Potsdamer/Leipziger Platz sind es dann 58’000 Quadratmeter Leerstand, davon 52’000 modern. Flächenumsatz hier maue 11’000 Quadratmeter über Q1-Q3/2024…
      Und dann noch der Verweis auf den letzten Ad-Hoch-Marktbericht des Berliner Gutachterausschuss für Grundstückswerte. Hier wird im Mittel von einem weiteren Verfall der Bodenrichtwerte Januar bis Oktober 2024 von 10-13% in Berlin ausgegangen- genaue Zahlen zum Stichtag 1.1.2025 werden ja erst im April/Mai herausgegeben. Für den Tiergarten bedeutet das einen Verfall der Bodenrichtwerte vom Hoch bei 9862 Euro/Quadratmeter in 2021 auf hochgerechnet 5570 Euro/Qm in 2025. Der Wert für den 2024 lag noch bei 6188 Euro/Qm. Wenn Sie dann die 27000 Quadratmeter effektives Bauland am Gleisdreieck gegen die 162 Mio. Euro Kaufpreis setzen- abzüglich Wert 15000 Quadratmeter bebauter Flächen, Gebäude usw.-, sehen Sie schon, dass es so langsam eng wird für ein Nullsummenspiel. Ohnehin, weil der Fonds bis Ende 2026 die Anleger auch noch sieben Jahre Gebühren gekostet haben wird. Da bräuchte es einen kompletten Turn-Around im Markt bis Ende 2026, um das nicht zum Fiasko für die Anleger werden zu lassen, aber keine marktwirtschaftlich vollkommen schwachsinnige und selbstherrliche Intervention des SPD Bausenators zur Rettung einer absehbar scheiternden privatwirtschaftlichen Landspekulation, bei deren Planung zudem vorgesehene demokratische Prozesse zur Beteiligung der Bürger an der Gestaltung ihres Bezirks planhaft unterlaufen werden. Mit einer Frage der Vertragstreue hat das hier überhaupt nichts zu tun.

  2. Kann sich die Senatsverwaltung einfach über die Vorgaben des Eisenbahnbundesamtes hinwegsetzen? Oder anders herum gefragt: könnte das Eisenbahnbundesamt sich nicht auch stur stellen und die Flächen dann eben nicht für eine Bebauung freigeben?

    Generell: wie ist zu bewerten, dass der Gleisdreieckpark ursprünglich als Ausgleichsfläche für die Bebauung des Potsdamer Platzes und die Anlage des Tiergartentunnels deklariert war? Gibt es hier keine Möglichkeit, Recht durchzusetzen?

    1. Sehr geehrter Frank Roger,
      sorry für die verspätete Antwort auf Ihre Fragen.

      Über Vorgaben des Eisenbahnbundesamt kann sich der Senat nicht hinwegsetzen, aber möglicherweise lassen die Deutsche Bahn und das EBA sich breitschlagen, das OK zum B-Plan doch vorab zu geben. Das folgenden Planfeststellungsverfahren wäre dann nur noch eine Farce, weil inhaltlich alles schon vorher unveränderbar festgelegt wäre.

      Zur ökologischen Ausgleichsfläche für Potsdamer und Leipziger Platz:

      Im sogenannte Notenwechsel, einem Vertrag zwischen Land Berlin und der Dt. Bahn im Jahre 1994 sollten 8-10 ha von insgesamt 16 ha auf Ausgleichsfläche auf dem ehemaligen Potsdamer Güterbahnhof liegen, westlich der Bahnanlagen bis an das Kanalufer heranreichend. Beim Abschluss des städtebaulichen Vertrags zwischen Land Berlin, Bezirk und VIVICO im Jahr 2005 wurden dann nur 4 ha auf dem Potsdamer Güterbahnhof festgelegt, dafür mehr im Ostpark. Anstelle der ursprünglich geplanten Ausgleichsfläche am westlichen Rand des Potsdamer Güterbahnhofs befinden sich heute die bebauten Flächen an der Dennewitz- und der Flottwellstraße, die im Flächennutzungsplan immer noch als Grünflächen markiert sind. Das ist der Grund, warum der Westpark so schmal ist.

      Die Umweltgutachten zum Potsdamer und Leipziger Platz im Bebauungsplanverfahren Anfang der 1990er Jahre hatten die negative Veränderung des Stadtlimas als die schwerwiegenste Auswirkung dieser Bauvorhaben bezeichnet. Durch die Bebauung würde eine geschlossener Wärmering um den Tiergarten entstehen, die Jahresmitteltemperaturen um 1,5 Grad ansteigen. Um dem zu begegnen sollte die über das Bahngelände verlaufende Frischluftschneise erhalten bleiben. In dieser Schneise sollten keine weiteren geometrischen Hindernisse platziert werden. Die Ausgleichsfläche sollte 60 ha betragen. Soweit die damaligen Umweltgutachten.

      In den über 10-jährigen Verhandlungen zwischen Land Berlin, Bezirk und Eisenbahnimobilienmanagement GmbH (später in VIVCO umbenannt) schrumpften die 60 ha zu 16 ha. Zusammen mit weiteren Fläche ergeben sich aber immerhin noch ca. 30 ha Park, also die Hälfte dessen, was die Umweltgutachter gefordert hatten.

      Die qualitative Forderung der Umweltgutachten (keine weiteren geometrischen Hindernisse in der Frischluftschneise) wurden von der Politik gar nicht beachtet. In den Jahren vor Abschluss des Vertrags wurden aus vier dann fünf Baufelder, auf allen Baufeldern wurden die GFZ, also die Baumassen erhöht. Auf den Baufeldern Möckernkiez, Flottwellstraße und Yorckdreieck wurde dann doch weniger gebaut als im Vertrag von 2005 vorgesehen, weil die Akteure merkten, dass das zu viel Baumasse gewesen wäre.

      Beim Baufeld Urbane Mitte ist es umgekehrt. Laut Vertrag sollten Nettobauland multipliziert mit der GFZ von 3,5 das Bauvolumen ergeben. Das ergäbe bei einem Nettobauland von 3,4 ha genau 119.000 m² Bruttogeschossfläche. Nun hat sich herausgestellt, dass das Nettobauland viel kleiner ist. Es beträgt etwa 2,6 ha.: Daraus ergäbe sich ein Bauvolumen von 91.000 m² Bruttogeschossfläche, also 28.000 m² weniger als in den Planungen jetzt vorgesehen ist. Senat, Bezirk und Investor haben in der Vergangenheit dennoch an der vertragswidrig hohen Baumasse festgehalten.

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