Fast jeder Investor hat zur Zeit Pläne für Hochhäuser in der Schublade, am Gleisdreieck und unweit des Gleisdreiecks, beispielsweise in der Schöneberger Straße und an der Kreuzung Potsdamer/Kurfürsten Straße. Um über Kriterien für die Genehmigung bzw. die Ablehnung von Vorhaben zu verfügen, entwickelte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ein Hochhausleitbild, das vor kurzem beschlossen wurde.
Auf der Internetseite der Senatsverwaltung heißt es:
Das Hochhausleitbild formuliert Anforderungen und Maßnahmen für im städtebaulichen Kontext verträgliche, architektonisch qualitätsvolle und funktional zukunftsfähige Hochhausvorhaben. Vor dem Hintergrund der physischen Präsenz und Dominanz im Stadtbild, werden hohe Ansprüche an die Begründung von Hochhausstandorten gestellt.
Die Umsetzung stellt sich die Senatsverwaltung folgendermaßen vor: Vor Beginn eines Genehmigungsverfahren soll ein Vorcheck (Kriterien für eine gesamtstädtische Betrachtung) stattfinden, in dem das Vorhaben auf folgende sechs Kriterien geprüft wird: Denkmalschutz, Erhaltungsgebiete, naturschutzrechtliche Schutzgebiete, Flächennutzungsplan, Verkehrsanbindung und Zentrenbezug.
Angewendet auf das Vorhaben „Urbane Mitte“ am Gleisdreieck mit seinen sieben geplanten Hochhäusern würden vier der sechs Kriterien gegen jedes weiteres Planen am Standort sprechen:
Denkmalschutz :
Keine Hochhausbebauung, wenn Eigenart und Erscheinungsbild von Denkmalen wesentlich beeinträchtigt werden (Umgebungsschutz)
Durch das Vorhaben werden die denkmalgeschützten Anlagen des U-Bahnhofs Gleisdreieck vom Gleisdreieck-Park aus nicht mehr sichtbar sein. Mehr Beeinträchtigung geht kaum – außer Abriss. Dies war seinerzeit schon in der Auslobung des städtebaulichen Wettbewerbs 2015 sichtbar. Deshalb weigerten sich die beamteten Denkmalschützer damals am Verfahren teilzunehmen. https://gleisdreieck-blog.de/2016/03/13/bebauungsplan-urbane-mitte-gleisdreieck-indiskutabel-aus-sicht-der-denkmalschuetzer/
Naturschutzrechtliche Schutzgebiete :
Keine Hochhausbebauung in der Umgebung, wenn Schädigung des Schutzgebietes oder –objektes zu erwarten ist.
Das Grundstück mit den sieben Hochhäusern grenzt unmittelbar an das „Wäldchen“ im Ostpark an. Dass es keine Auswirkung auf das Wäldchen haben wird, ist völlig unwahrscheinlich. Außerdem widerspricht das Vorhaben fundamental dem ursprünglichem Planungsziel des Gleisdreieckparks als Teil der Frischluftschneise zwischen Tiergarten und südlichem Stadtrand. Die Gelder für ökologischen Ausgleich, die die Investoren vom Potsdamer- und Leipziger Platz seinerzeit bezahlt haben, waren genau hierfür gedacht.
Verkehrsanbindung :
Anbindung an den schienengebundenen öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV)
Anbindung an das übergeordnete Straßennetz gemäß StEP Verkehr (Stufen I/II)
Die Anbindung an den ÖPNV könnte am Gleisdreieck kaum besser sein, jedoch die Anbindung an das übergeordnete Straßennetz fehlt – komplett. Der Straßenzug der Schöneberger und Luckenwalder Straße ist die einzige Verbindung, ein Nadelöhr, das jetzt schon überlastet ist.
Zentrenbezug :
Hochhäuser sollen in folgenden Zentrumsbereichen liegen:
Zentrumsbereiche (City-West, City-Ost) mit Zentrumsbereichskernen
Hauptzentren, Stadtteilzentren, Ortsteilzentren gemäß Stadtentwicklungsplan (StEP) Zentren
Völlige Fehlanzeige, im „Stadtentwicklungsplan Zentren 2030, Lebendige Zentren und wohnungsnahe Versorgung für die wachsende Stadt“ taucht das Gleisdreieck nicht auf – weder liegt es in einem Zentrumsbereich, noch in einem Zentrumsbereichskerne, noch ist das Gleisdreieck als Hauptzentrum, als Stadtteilzentrum oder als Ortszentrum dargestellt.
Nach dem Vorcheck wäre das Projekt „Urbane Mitte Gleisdreieck“ also schon durchgefallen. Für die weitere Planung würden hohe Anforderungen gestellt, u.a.
- umfassende und frühzeitige Partizipation
- ein Wettbewerb, siehe https://gleisdreieck-blog.de/2015/11/29/zum-zwischenergebnis-des-wettbewerbs-urbane-mitte-am-gleisdreieck/,
- ein Bebauungsplan, siehe https://gleisdreieck-blog.de/2017/11/07/bebauungsplanentwurf-vi-140ca-urbane-mitte-realitaetsverweigerung-statt-planung/,
- Nachhaltigkeit und Multifunktionalität, die Hochhäuser sollen einen Mehrwert für den Ort bringen.
- Erdgeschosse und Dachgeschosse sollen laut Hochhausleitbild öffentlich zugänglich sein, die Nutzung gemischt.
Ausgehend von zwei grundsätzlichen Nutzungskategorien (Kategorie 1 / Gewerbe und Kategorie 2 / Wohnen) soll die jeweilige Hauptnutzung aus einer der Kategorie höchstens 70 % der Geschossfläche beanspruchen, während die verbleibende Geschossfläche mit Nutzungen aus der jeweils anderen Kategorie zu belegen ist.
Nutzung :
Kategorie 1/ Gewerbe
Büro, Handel, Hotel, Gastronomie, Praxen, Räume für freie Berufe, sonstiges Gewerbe
Kategorie 2/ Wohnen
Wohnen, kulturelle Einrichtungen, soziale Infrastruktur, sonstige nicht gewerbliche und nicht kommerzielle Nutzungen
Im Projekt „Urbane Mitte“ fehlt die Kategorie 2/ Wohnen, vollständig. Wohnen ist nicht vorgesehen, Null m². Als der städtebauliche Wettbewerb zur Urbane Mitte im Herbst 2015 stattfand, forderte Senatsbaudirektorin Lüscher Wohnungen ein, vergeblich – es sei am Gleisdreieck zu laut zum Wohnen hieß es von Seiten des Investors.
Die frühzeitige Partizipation war eine Farce. Der erste von drei Planungsworkshops für Bürger wurde übertönt von den Abrissarbeiten des Ringbahnviadukts: https://gleisdreieck-blog.de/2014/11/26/urbane-mitte-am-gleisdreieck-alle-bringen-ihre-argumente-ein-manche-mit-dem-abrissbagger/. Am Ende wurde wurde ein sogenanntes Konsenspapier formuliert, in dem alle abweichenden Meinungen unterschlagen wurden. Eine durchsichtige, aber dennoch leider erfolgreiche Strategie. Bei der Eröffnung des B-Parts lobte die Senatorin Lompscher das Projekt für die vorbildliche Beteiligung.
Gesellschaftlicher Mehrwert
Worin besteht nun der Mehrwert für die Allgemeinheit, den Hochhäuser bringen sollen? Wohnen ist nicht. Die 1000 m² Atelierfläche – weniger als 1% der Gesamtfläche von 119.000 m² können es auch nicht sein. Die Ateliers und das Sportangebot beim B-Part sind vielmehr Versuche des Projektträgers, einzelne Gruppen als Fürsprecher für das Projekt zu mobilisieren. Und es sind Bonbons, die Diskussion und Beschlussfassung in den bezirklichen Gremien erleichtern sollen. Es spricht sich leichter über Ateliers und sportliche Aktivitäten als über eigentliche Wirkung der sieben Hochhäuser, nämlich die Dominanz des Westparks durch eine potsdamerplatzähnliche Kulisse. Der „Mehrwert“ bestünde dann in der Verschattung des Parks bei gleichzeitiger Erhöhung der Windgeschwindigkeiten.
Sind die sieben Hochhäuser der „Urbanen Mitte“ im städtebaulichen Kontext verträglich? Sind es architektonisch qualitätsvolle und funktional zukunftsfähige Hochhausvorhaben? Wenn es nach dem Hochhausleitbild der Senatsverwaltung ginge, wäre die Antwort klar.
Weiter geplant wird in jedem Fall, denn das Leitbild soll nur gelten für neue Vorhaben.
Wie die Hochhäuser den Park und die Umgebung verschatten werden:
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