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Bebauungsplanentwurf VI-140ca Urbane Mitte – Realitätsverweigerung statt Planung

Im Frühjahr 2016 hat die Auslegung der Bebauungsplanunterlagen zur „Urbane Mitte“ am Gleisdreieck stattgefunden. Außer den Trägern öffentlicher Belange, haben sich 143 Anwohner, das Deutsche Technikmuseum, die STATION Berlin und ein Vertreter des FahrRat beteiligt. Die überwiegende Mehrheit der Stellungnahmen lehnt das Konzept ab, wegen der zu hohen Dichte, wegen der ungelösten Verkehrsproblematik, aus Gründen des Denkmalschutzes u. a. . Nun liegt die Abwägung der Stellungnahmen auf 511 Seiten als PDF-Dokument vor. Link zum Dokument: Vorlage – zur Kenntnisnahme –Bebauungsplanentwurf VI-140ca Urbane Mitte.
Über den Bebauungsplanentwurf wurde auch im Ausschuss für Stadtentwicklung am 4. Oktober kontrovers diskutiert. Die Nutzung (kein Wohnen), die Dichte und die verkehrliche Erschliessung wurden kritisch gesehen. Doch zwei Wochen später stimmte der Ausschuss dann ohne weitere Diskussion der Vorlage zu. Nun am 8.11.2017 soll die Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg den Bebauungsplanentwurf „zu Kenntnis nehmen“ und damit den bisher erreichten Stand absegnen.

Dabei sind die im Ausschuss und in den Stellungnahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung aufgeworfenen Fragen in keiner Weise beantwortet worden.

Stichwort „Zu hohe Dichte“

In vielen Stellungnahmen ist Kritik an der überzogenen Dichte zu finden. Beispiel auf Seite 150 der Vorlage zum Bebauungsplan, links der Text aus einer Stellungnahme, rechts die Antwort der Autoren des Bebauungsplans:

Die hohe Verdichtung wird abgelehnt. Die Einschätzung, dass die bauliche Dichte zu hoch ist und daher abgelehnt wird, wurde zur Kenntnis genommen und in der Abwägung der städtebaulichen Belange berücksichtigt.

Der gleiche Satz „wurde zur Kenntnis genommen und in der Abwägung der städtebaulichen Belange berücksichtigt“ wird an zahlreichen Stellen in Dokument immer wieder wiederholt. Aber in welcher Weise werden die Stellungnahmen berücksichtigt?

Auf Seite 5 der Vorlage heißt es:

Die Geschossfläche von 119.000 m2 wurde nicht geändert. Daraus abgeleitet wurde die GFZ, insbesondere unter Berücksichtigung der planfestgestellten Flächen, mit einer Höhe von 4,5 ermittelt. Das ist eine höhere GFZ als in der Begründung zum Vorentwurf benannt wurde. Die Benennung im Vorentwurf beruhte auf den Zielen aus dem städtebaulichen Rahmenvertrag 2005.

Der städtebauliche Rahmenplan sieht eigentlich nur eine GFZ von 3,5 vor, wobei die Berechnungsgrundlage das sogenannte Nettobauland sein sollte.  Nun ist das Nettobauland ca. 7.000 m² kleiner ausgefallen als die ursprünglich angenommenen 34.000 m², die 80% der Gesamtfläche von 43.000 m² ausmachen. Klar, dass bei einem ca. 500 m langen aber nur ca. 50 m schmalen Grundstück sich durch die Erschliessung ein größerer Anteil an nicht bebaubarer Fläche ergibt. Von den 119.000 m² Bruttogeschossfläche soll jedoch keinen Millimeter abgewichen werden. Während bei den anderen  im städtebaulichen Vertrag vorgesehenen Bauflächen (Flottwellpromenade, Yorckdreieck, Möckernkiez) die Bauherren freiwillig unter der im Vertrag vorgesehenen, aber zu hoch angesetzten GFZ blieben, soll hier das Gegenteil passieren: die im städtebaulichen Vertrag vorgesehene GFZ von 3,5 soll deutlich überschritten werden.

Stichwort „Verschattung“

Seite 161 der Vorlage zum Bebauungsplan heißt es, links der Text aus einer Stellungnahme, rechts die Antwort der Autoren des Bebauungsplans:

Es wird eine Reduzierung der Gebäudehöhen, im Idealfall auf die in Berlin zulässige Traufhöhe von 25 m, gefordert. Hierdurch würden die Beeinträchtigungen (Verlust an Freiraumqualität, Verschattung) minimiert. Die Auswirkungen der geplanten Bebauung auf die Besonnung der vorhandenen Grünflächen und Gebäude wurden in der Abwägung berücksichtigt. Zur Bewertung der zu erwartenden Verschattung wurde ein Verschattungsgutachten erstellt. Nach dem Ergebnis dieses Gutachtens werden die Auswirkungen der Planung auf die Besonnung des Parks als geringfügig eingestuft, da nur eine kleine Fläche des Parks in unmittelbarer Nähe des Plangebiets und ausschließlich in den Vormittagsstunden davon betroffen ist.

Schatten – geringfügig? Die Schattenstudie eines Anwohners zeigt etwas anderes. Bezeichnend auch, dass die Autoren des Bebauungsplans die Verschattung der Schöneberger und der Luckenwalder Straße gar nicht erst betrachten.

Verschattungstudie von Uli Klose/Sisyphos, Link zum Film durch Klick auf das Bikld, Film wird dann in neuem Fenster geöffnet.

Stichwort „Verkehrssituation im Umfeld“

Auf Seite 178 Vorlage zum Bebauungsplan, links der Text aus einer Stellungnahme, rechts die Antwort der Autoren des Bebauungsplans:

Im Berufsverkehr kommt der gesamte Verkehr schon im Bestand oftmals komplett zum Erliegen. Die Verkehrsprobleme während Veranstaltungen und Messen in der STATION Berlin sind ebenfalls ungelöst und müssen in das Verkehrskonzept einbezogen werden . . . Es wurde ein Verkehrsgutachten erstellt, um die Auswirkungen des zusätzlichen Straßenverkehrs auf das umliegende Straßennetz zu prognostizieren und zu bewerten. Die Untersuchung der Leistungsfähigkeit des Straßennetzes kommt zum Ergebnis, dass auch in den Spitzenverkehrszeiten auf den übergeordneten Verkehrsströmen ein stabiler und leistungsfähiger Verkehrsablauf gewährleistet ist und dass die Beeinträchtigung durch den neu entstehenden Verkehr im Vergleich zum Bestand gering ist . . .

Nur: das Verkehrsgutachten kennt keiner – immerhin soll es irgendwann auf einer ögffentlichen Veranstaltung vorgestellt werden. Die Behauptung, auch in Spitzenzeiten sei ein stabiler und leistungsfähiger Verkehrsablauf gewährleistet, ist jedoch blanke Realitätsverweigerung. Wie es jetzt schon – ohne den Verkehr einer Großbaustelle –  zugeht auf der Schöneberger und Luckenwalder Straße haben Anwohner immer wieder ausführlich dokumentiert und den Beteiligten im Bezirksamt präsentiert. Bisher vergeblich. “Off records” war jedoch auch zu hören, dass darüber nachgedacht wird, die Schöneberger Straße zu entlasten, indem die Erschließung der „Urbanen Mitte“ für PKWs durch des EG des Parkhauses Debis geführt wird.

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Alltag in der Schöneberger Straße, Film von Uli  Klose/Sisyphos

Unter dem Titel “Chaos am Gleisdreieck” wird die verkehrliche Situation kontinuierlich dargestellt: https://gleisdreieckverkehr.tumblr.com/

Stichwort „Baulogistik“

Lastwagen passen natürlich nicht durch das EG des Parkhauses. Wie soll also die Baustelle „Urbane Mitte“ – vom Volumen her immerhin ein Fünftel Potsdamer Platz – versorgt werden ? Wobei in den nächsten Jahren noch drei weitere Großbaustellen hinzukommen:

  • der Neubau des Hochbahnviadukts der U1
  • der Bau der S-Bahnlinie S21 und
  • der Bau der Stammbahn, der Regionalbahn nach Potsdam.

Einfache Antwort auf Seite 117 der Vorlage:

Die Bauabwicklung ist nicht Gegenstand der Festsetzungen des Bebauungsplans, die Auswirkungen während der Bauphase werden aber im Umweltbericht bewertet.

Mit dieser Aussage weigern sich die Macher des Bebauungsplans die Bedingungen zu reflektieren, unter den das Projekt entstehen kann. Verantwortungsloser kann man mit dem Thema nicht umgehen.

Frühere Artikel zum Thema: https://gleisdreieck-blog.de/category/urbane-mitte-gleisdreieck/

Veröffentlicht in Urbane Mitte Gleisdreieck

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9 Kommentare zu “Bebauungsplanentwurf VI-140ca Urbane Mitte – Realitätsverweigerung statt Planung

  1. Was mich wundert:

    Unzählige Gewerbeflächen am Potsdamer Platz stehen leer. Flächen, die genutzt werden können für Gewerbe, Büro etc. Warum werden diese nicht für Gewerbe und Co. stärker vermarktet? Es ist doch alles da! Aber nein, es muss neu gebaut werden, warum eigentlich? Warum können vorhandene Projekte nicht überdacht werden, bevor gemäß Wegwerfgesellschaft neu gebaut wird?

    Ein Parkhaus wird abgerissen, weil es zu oft zu leer steht und es doch “sinnvoller” erscheint, Wohnraum zu schaffen. Dass auch durch diese Baustelle die Anwohner in ihrem Schlaf und ihren Erholungen gestört werden, wird als selbstverständlich betrachtet. Die Abrissarbeiten haben teilweise um 06:30 morgens begonnen und haben sich bis in den Nachmittag fortgesetzt … anstatt aus dieser Fehlplanung zu lernen, werden die nächsten Gewerbeflächen errichtet und nehmen den Anwohnern zwangsläufig Fläche für Wohnraum.

    Ich habe nichts gegen “Fortschritt”, sonst wäre ich nicht in die Flottwellstraße gezogen. Aber ich habe etwas gegen Verschwendung und etwas dagegen, vorhandene Ressourcen nicht bis zum Ende zu nutzen.

  2. Warum muss man sich in Berlin immer dem Fortschritt verweigern? Ich freue mich auf das Projekt und bin auch “betroffener” Anwohner. Es wird hier immer suggeriert dass das Umfeld überwiegend skeptisch ist. Oder sind doch nur die wenigen Gegner die halt lauter schreien? Zu den Argumenten: ich nehme beim besten Willen aktuell keine Verkehsüberlastung wahr und die ÖNV Infrastruktur ist doch ideal. Verschattung?? Der Park hat andere Probleme. Wir brauchen hier einen sicheren und gepflegten Ort für Familien und keinen rechtsfreien Raum für Verwahrlosung, Prostitution, Graffiti, usw. Mit der Bebauung wird auch Ersteres wieder eine stärke Lobby bekommen. Auch ich hätte mir eine inspiriertere Architektur gewünscht und eine spannendere Nutzung der Flächen. Aber hierfür hat die Berliner Verwaltung (oder vielleicht sogar wir Deutschen) kein grosses Talent.

    1. Liebe Hanna,
      auf welcher Seite vom Park wohnst Du?
      Westlich mag es keine Verkehrsüberlastung geben,
      aber im “Gleisdreieck” haben wir leider bei jeder größeren Messe in der STATION Luckenwalder Straße Ausnahmezustand und Chaos. Schon jetzt. Für Schulkinder ist DAS echt gefährlich.
      Dafür muss einfach eine Lösung gefunden werden. BEVOR noch mehr gebaut wird.

      Und zum Argument “Wer lauter schreit”: Die Skeptiker HABEN halt ihre Bedenken letztes Jahr im Beteiligungsverfahrens GEÄUßERT- und hoffen zurecht, dass diese gehört und betrachtet werden.
      Das bedeutet ja nicht, dass man jede absurde Forderung BERÃœCKSICHTIGEN muss …

      Ja: ich bin sehr skeptisch.
      Aber trotzdem offen für machbare Lösungen, die auch der Sicherheit meiner Kinder während der Bauphase Rechnung tragen.

  3. Es geht mir nicht darum, höhere Bebauung grundsätzlich zu verhindern, aber zwischen der “Berliner Traufhöhe” und 90 Metern liegen ja doch Welten.
    Ich wünsche mir einfach ein gesundes Mittelmaß.
    Die Gebäude müssen ja auch irgendwie gebaut werden – und durch die Flottwellstraße wird der Baustellenverkehre vermutlich NICHT rollen. ETWAS weniger Bebauung würde auch weniger Verkehr bedeuten!
    Und auch die langen Nachmittags-Schatten fallen in “unsere Richtung …

  4. Toller Artikel!
    Ich kann das voll bestätigen:
    Im frühzeitigen Beteiligungsverfahren habe ich eine umfangreiche Stellungnahme abgegeben – und mich jetzt durch die Abwägung gekämpft: BERÃœCKSICHTIGT wurde da NICHTS. Die wiederholt aufgeführte Stellungnahme “Im Bebauungsplanverfahren kann die Öffentlichkeit sich 2x beteiligen und EINFLUSS AUF DIE PLANUNG NEHMEN”, ist insofern der blanke Hohn.
    In der neuen Begründung (vom August 2017) zum B-Plan, für die kommende Beteiligung nach Paragraph 4 BauGB, taucht z.B. auch immernoch der “Konsens” auf, der nach dem Werkstattverfahren von 2015 EBEN NICHT bestand.
    Da fällt einem nichts mehr zu ein!

  5. Es ist unglaublich wie wir in unserer Stadt jeden auch nur noch so kleinen Absatz einer höheren Bebauung verhindern wollen. Es ist doch sinnvoll die wenigen Flächen auch höher zu bebauen.
    Wir benötigen Gewerbeflächen und Wohnungen, das geht nicht mit einer Traufhöhe. Also einfach mal Umdenken und offen sein für Veränderungen.
    Ich lebe in der Flottwellstrasse und finde das Konzept gut.

    1. Ich hoffe auf entsprechenden Einzelhandel der mit geplant wird, das jetzt kein Wohnraum mehr entsteht sonder eventuell noch ein Hotel und Ferienwohnungen ist vielleicht einfacher für die Bebauungsplanung aber schade für ein gemischtes Umfeld.

    2. ich lebe in der Schöneberger und kann mir hier in schöner Regelmäßigkeit ansehen, wie der Verkehr an der Schöneberger Brücke auch schon bei kleineren Veranstaltungen diesseits kollabiert, weil wieder mal doch noch ein Auto auf der Kreuzung steht. Das wiederum blockiert dann oft den Verkehr am Ufer, wo zu Spitzenzeiten bis zu 1000KFZ stündlich durchfließen (sollten).
      Meine Skepsis gegenüber der Urbanen Mitte beruht deshalb weniger auf den eigentlichen Bauten, vielmehr glaube ich, dass bei dem momentanen Stand der (nicht-)Planung die Infrastruktur hier – auf beiden Seiten des Kanal – viel zu häufig zusammenbrechen wird, wenn nicht schon vor Baubeginn eine wirklich solide Planung der Verkehre entwickelt wird.

      Die stadträumlichen Qualitäten, die der Westpark noch bei seiner Eröffnung hatte, haben in meinen Augen ohnehin schon schwer gelitten. Das Großprojekt wird diese dann halt fast restlos beseitigen und den Park zu einem belanglosen “Vorplatz” degradieren

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