Unter dem Titel „Bericht aus der Verwaltung“ [Link zum Bericht aus der Verwaltung vom 11. 11. 15] wurde den Mitgliedern des Ausschusses für Stadtentwicklung im Bezirk Tempelhof-Schöneberg am 11. 11. 15 pünktlich zum Beginn der fünften Jahreszeit mitgeteilt, dass große Teile der Planungen für die Schöneberger Schleife Makulatur sind – auf deutsch für den Papierkorb. Begründung:
- Die Stammbahn könnte früher als erwartet für eine Regionalbahn Berlin-Potsdam reaktiviert werden.
- Die neue S-Bahnlinie S21 könnte früher kommen als erwartet.
- 10 Jahre Bestand ab Fertigstellung der Projekte sieht der Fördergeber (der Stadtumbau-West-Mittel) nun nicht mehr als ausreichend an.
Bis Ende November soll der Bezirk eine alternative „Projektskizze“ für die Schöneberger Schleife vorlegen, bei der keine potentiellen Bahnflächen in Anspruch genommen werden sollen.
Natürlich ist interessant zu wissen, wie viel Ressourcen in den letzten Jahren für die jetzt obsolete Planung verbraucht wurden. Dies versucht die CDU mit ihrer Großen Anfrage „Alle Signale auf ROT im Wannseebahngraben?“ [ Link zur Großen Anfrage: Alle Signale auf ROT im Wannseebahngraben?] herauszuarbeiten, der am kommenden Mittwoch auf der Tagesordnung der BVV Tempelhof-Schöneberg steht.
Am Beispiel des Zugangs vom westlichen Vorplatz der Yorckbrücken in den Westpark des Gleisdreiecks und in den Grünzug entlang der Wannseebahn soll hier untersucht werden, wie es überhaupt soweit kommen konnte. Gab es denn keine Warnzeichen, bevor die Signale ganz auf Rot gestellt wurden?
. . . Das Teilprojekt „Zugang / Vorplatz Yorckbrücken“ soll ohne den Bau von Rampe und Treppen auf dem Bahngelände weitergeführt werden.
heißt es in dem „Bericht aus der Verwaltung“, der sich auf ein Schreiben der Senatsverwaltung vom 26. und 27. 10. 15 bezieht. Genau dies hatte die Initiativenplattform Gleisdreieck schon im Juni 2012 vom Bezirk gefordert, nämlich alternative Varianten zu untersuchen für dieses Teilprojekt der Schöneberger Schleife [Link zum Artikel Planungen für den westlichen Vorplatz der Yorckbrücken vom 21. Juni 2012 ] und zwar:
- die Nullvariante, also den Verzicht auf einen barrierefreien Zugang an dieser Stelle
- die Möglichkeit des Baus einer Rampe aus dem Straßenraum
Im August 2013 wurde auf einer Stadtumbau-West-Veranstaltung im Rathaus Schöneberg die Planung von 2012 jedoch unverändert vorgestellt, mit einer 100 m langen Rampe, die viel Grün gekostet hätte und die zwischen steilen Böschungen ins Bahngelände eingeschnitten werden sollte. Ein problematischer Raum, eine Betonschlucht, nicht einsehbar von Außen, ein idealer Schauplatz für Drogenhandel und Konsum, für Scherben und Urin und deswegen nicht wirklich barrierefrei.
Auf Nachfrage hin bestätigte der Leiter des Stadtplanungsamtes auf der Veranstaltung, dass die Stellungnahme der Iniplattform beim Bezirk angekommen ist, eine inhaltliche Antwort blieb er jedoch schuldig.
Im Oktober 2013 wurde eine Einwohneranfrage in der BVV-Tempelhof-Schöneberg genutzt, um nachzufragen. Die zuständige Stadträtin hat damals in ihrer Antwort bedauert, dass der Brief liegen geblieben war. Nur: eine inhaltliche Antwort gab es weiterhin nicht. Und im Anschluss an die BVV im Oktober 2013 hat sich der Leiter des Stadtplanungsamtes beim Fragesteller entschuldigt dafür, dass die Stellungnahme unbeantwortet blieb. Außerdem wies er drauf hin, dass sowieso kein Geld für das Projekt vorhanden sei – eine Beruhigungspille, wie sich später herausstellen sollte.
Alternative Varianten wurden von den Bezirksamtsplanern tatsächlich nie untersucht. Die Grundzüge der Planung blieben immer gleich. Die Planungen wurden lediglich etwas optimiert, wodurch die Rampe immer mehr zu einer düsteren Betonschlucht wurde, wie z. b. bei der Variante, die im Juni 2014 in der Projektbegleitenden Arbeitsgruppe Gleisdreieck (PAG) vorgestellt wurde.
Damit die Fördermittel nicht verfallen, müsse die Rampe im Jahr 2015 gebaut werden, sagte damals der Vertreter des Bezirks Tempelhof-Schöneberg in der PAG. Nach der Sommerpause, im Herbst 2014 werde man die Planung nochmal öffentlich vorstellen. Diese öffentliche Veranstaltung fand jedoch nie statt, so dass zwei Mitglieder der Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck e.V. dann im Februar 2015 eine Einwohnerversammlung beantragten, die dann am 27. Mai 2015 stattfand.
Inzwischen waren Alternativen zur Rampenplanung des Bezirksamtes ausgearbeitet. Auf der Veranstaltung wurde gezeigt wie die Zugänge mit außen liegenden Treppen kostengünstig und schnell gebaut werden könnten, und wie in einem zweiten Schritt die Treppenanlagen ergänzt werden könnten mit einem Fahrstuhl auf der Südseite der Yorckstraße oder mit einer Rampe im Straßenraum, die von der Mittelinsel der Yorckstraße auf die erste Yorckbrücke führen würde. Die vorgeschlagenen Alternativen waren barrierefrei, kompatibel mit den Planungen für die neue S-Bahnlinie S21 und kamen ohne große Eingriffe ins Grün aus.
Das interessierte die Bezirksamtsplaner jedoch nicht. Auf die Alternativen gingen sie nicht ein. Das Argument mit der S21 wiesen sie zurück mit der Behauptung, dass es noch unklar wäre, ob die S21 jemals gebaut würde. Das war offensichtlich die Sprachregelung, auf die sich die verschiedenen Vertreter von Senat und Bezirk für die Einwohnerversammlung verständigt hatten. Dabei wussten sie es natürlich besser, denn bei vielen Bauvorhaben, z. B. „Bautzener Brache“ oder „Urbane Mitte am Gleisdreieck“ spielen die Planungen für die S21 eine Rolle, wobei immer das Jahr 2025 als möglicher Zeitpunkt für den Baubeginn genannt wird. [Link zum Bericht über die Einwohnerversammlung am 27. 05. 2015 ]
Nach der Einwohnerversammlung wurden die Planungen dann jedoch stillschweigend überarbeitet. Am 14. Oktober 2015 stellte Herr Tibbe von der Gruppe Planwerk gemeinsam mit Vertretern des Bezirksamtes Tempelhof-Schöneberg im Rathaus Kreuzberg im Ausschuss für Umwelt und Verkehr eine veränderte Planung vor, die angeblich kompatibel sein sollte mit den Planungen für die S21. Dazu verschob er die Rampe noch ein Stückchen nach Westen, die Böschungen wurden dadurch noch steiler, der Eingriff ins Grün noch stärker. Zwar lag die Rampe nun westlich der zukünftigen S21-Trasse. Aber der zwischen der Rampe und der S21 östliche verlaufende Weg, der den Westpark des Gleisdreiecks mit dem Grünzug entlang der Wannseebahn über die beiden Yorckbrücken Nr. 1. und Nr. 2 verbinden sollte, wäre nach dieser Planung entfallen, sobald die S21 gebaut würde.
Wäre dies so gebaut worden, wäre nach dem Bau der S21 folgende absurde Situation entstanden:
Der Weg vom Westpark des Gleisdreiecks über die Yorckbrücken in den Grünzug der Wannseebahn hätte erst mal die 100 lange Rampe hinunter zu Yorckstraße geführt, von dort hätte man wieder 4,5 m in einem Treppenschacht noch oben steigen müssen, um zu den Yorckbrücken und in den Grünzug an der Wannseebahn zu gelangen. Oder andersherum: Der Fahrradschnellweg von Süden kommend hätte am nördlichen Widerlager der Yorckbrücken geendet. Die Radler hätten dort ihre Fahrräder in einem nach Urin stinkenden Treppenschacht hinuntertragen müssen, hätten dann aber weiter „barrierefrei“ in den Westpark des Gleisdreieck hinauffahren können.
Link zu den Beiträgen am 14. 10. 2015 im Ausschuss Verkehr und Umwelt im Rathaus Kreuzberg
- Beitrag von Herrn Tibbe, Gruppe Planwerk, am 14. 10. 2105, PDF-Dokument, Achtung 35 MB!
- Beitrag von Matthias Bauer am 14. 10. 2105, PDF-Dokument
Offensichtlich waren die Bezirksamtsplaner gedanklich nicht in der Lage, sich von der Planung zu verabschieden, auf die sie sich im Jahr 2012 festgelegt hatten. Wie ein Junkie an der Nadel hingen sie an der Rampe fest, obwohl schon offensichtlich war, dass die Planung nicht funktionieren konnte. Für die Erkenntnis, dass nur Lösungen möglich sind mit Treppen, Rampen oder Fahrstühlen außerhalb des Bahngeländes, waren sie nicht mehr offen.
Trotzdem bekamen die Bezirksplaner für ihre dysfunktionale Planung große Zustimmung im Friedrichshain-Kreuzberger Ausschuss. Stadtrat Panhoff unterstützte die Planung, kanzelte die machbaren Alternativen als „unrealistisch“ ab und fand die 600.000,- € für die Rampe vertretbar bei einer Nutzungszeit von 10 Jahren. Wobei er ausblendete, dass in 10 Jahren ja nochmal Kosten entstehen würden, die dann auch auf den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg zugekommen wären, auf dessen Gebiet die Rampe liegt, nämlich die Kosten für den Rückbau der Rampe und für den Bau einer Alternative.
Dazu wird es nun wahrscheinlich nicht mehr kommen. Auch wenn die Friedrichshain-Kreuzberger SPD einen entsprechenden Antrag [Link zum Antrag DS 1907_barrierefreier Zugang Gleisdreieckpark] für die BVV am 25. 11. 15 zur Unterstützung der Tempelhof-Schöneberger Planung eingebracht hat:
. . . Der als Planungsträger fungierende Bezirk Tempelhof – Schöneberg bedarf eines Signals aus Friedrichshain – Kreuzberg, um die Planungen fortsetzen und um die Mittel aus dem Programm Stadtumbau West einsetzen zu können, bevor sie verfallen.
heißt es in dem Antrag der SPD. Es geht also um Geld. Und sobald das Geld aus fremdem Töpfen kommt, sind alle Lehren, die die Bezirkspolitiker aus den diversen Haushaltsnotlagen hätten ziehen können, vergessen. Dann ist es offensichtlich egal, wie wenig sinnvoll und wenig effektiv das Geld eingesetzt wird und welche Folgekosten entstehen. Hauptsache die Gelder verfallen nicht. Und inhaltlich vertraut man den Parteifreunden im Nachbarbezirk ohne sich selbst den Kopf zu zerbrechen. So macht Parteiloyalität blind.
Echte Parteiloyalität wäre kritisch und hätte die Parteifreunde auf die Unstimmigkeiten der vorliegenden Planung hingewiesen.