Offensichtlich wird der neue Park am Gleisdreieck sehr unterschiedlich wahrgenommen. Die, die ihn zur ersten Mal besuchen, sind begeistert. Die, die den alten Park kannten, sind traurig. Ihnen spricht der in der taz am 8.11.12 veröffentliche Artikel „Sag mir, wo die Wildkräuter sind” von Bärbel Jäschke aus dem Herzen. Dort heißt es:
Mensch, ärgere dich nicht über die fantasielosen Frischluftschneisendesigner! Grolle nicht über die schnurgeraden Betonpisten, die Quadratur der Rollrasenlangeweile, die unbeschatteten Sitzpritschen neben den Rennstrecken für geräderte Zeitgenossen mit Drahteseln, Rollbrettern, Rollschuhen, Elektrorollstühlen und Stehrollern. Vergiss deinen Zorn über die Rodung von einem halben Tausend alter Wildwuchsbäume zugunsten einer schmächtigen, genormten Tausendschaft aus irgendeiner monokulturellen Stangengärtnerei. Gräm dich nicht, dass dir seit der Beseitigung des Unterholzes entlang deiner Wohnstraße im Gleisdreieckpark die Füchse nicht mehr “Gute Nacht!” wünschen.
Der vollständige Artikel ist in der taz vom 8.11.12 nachzulesen.
Da ich auf diversen Hornstraßenfesten Infostände zum Park gemacht habe, werde ich im alten Kreuzberg 61 dauernd darauf angesprochen. Neulich war ich im Yorckkino, anschließend im Lentz, Yorckschlösschen und im neuen DODO und musste immer wieder solche Fragen beantworten:
„Wo ist das Apfelbäumchen geblieben und mein Birnbaum?”
„Warum diese schnurgeraden, breiten Betonpisten?”
„Meine (inzwischen 15jährige) Tochter ist auf dem Gelände aufgewachsen, der neue Park interessiert sie nicht.”
„Der Spielplatz am Eingang Hornstraße nervt, wir fühlen uns, als würden wir direkt neben dem Prinzenbad wohnen.”
Die Platzierung des Spielplatzes so nah an den Wohnhäusern war ein Fehler, sage ich. Ebenso die Platzierung der interkulturellen Gärten, für die 28 Bäume gefällt werden mussten und trotzdem liegt die Fläche noch zu sehr im Schatten, so dass ein erheblicher Teil sich nicht für Beete eignet.
Und vergeblich versuche ich dazustellen, wie wir für den Wildwuchs und die historischen Spuren gekämpft haben. Die 17 Bauminseln, die wir gerettet haben, sind offensichtlich zu wenig. Der Charme des wild Gewachsenen ist weg. Die kleinen Reste der historischen Spuren – der Prellbock, die Gleiswaage, ein paar Schienenstücke und Pflastersteine – sind isoliert und der räumliche Zusammenhang, im dem sie ursprünglich standen, nicht mehr erkennbar.
Die gewählten Anwohnervertreter waren machtlos gegenüber der Übermacht der Professionellen. Die Planer von Loidl wollten wie kleine Götter alles neu schaffen. Jede Rücksicht auf Bestehendes hätte am Architekten-Selbstwertgefühl gekratzt. Im Bündnis mit Senat, Bezirk, Grün Berlin GmbH, die vor allem einen pflegeleichten Park wollten, und ausgestattet mit zu viel Geld, setzten sich die Tabula-Rasa-Planer fast vollständig durch. 2007 hieß es noch, im Parkrahmen, hier also am Rand zur Möckernstraße werden die historischen Spuren und das alte Grün erhalten. Die neuen Elemente, also Wege und Eingänge, würden wie Intarsien in den alten Bestand eingebettet. Ein Jahr später war es umgekehrt. Das Alte wurde in seiner Größe so reduziert, dass es nun seinerseits wie etwas Fremdes in einer komplett neuen Umgebung wirkte. Und es wurde gekämpft mit harten Bandagen. Der Schuttberg, auf dem die Kinder so gerne rumkletterten, war angeblich verseucht, eine einzige Altlast. Als schließlich das Gutachten zum Schuttberg, das ihm die Unbedenklichkeit als Kinderspielplatz bescheinigte, bekannt wurde, war der Berg schon eingeebnet und die Reste abtransportiert worden.
Die Kritik der Anwohnervertreter lief ins Leere. Erinnert sei hier an einen Rundgang, bei dem es um zu fällende Bäume ging. Der Rundgang fand statt an einem Samstag Nachmittag im Winter 2008/2009. Die Kettensägen waren zu diesem Zeitpunkt jedoch schon bestellt und kamen am Montag darauf zum Einsatz. Und wo die Kritik der Anwohnervertreter aufgenommen wurde, wurde sie verdreht. Dies sei hier am Beispiel des Aufgangs an der Wartenburgstraße dargestellt.
Die Rampe an der Wartenburg/Möckernstraße im Jahr 2006
In der ersten Planung von Atelier Loidl sollte der Eingang ganz entfallen, die Stützmauer zur Möckernstraße sollte weiter nach Süden verlängert werden bis zum neuen Eingang an der Hornstraße. Nach Protesten der Anwohnervertreter kam die Rampe Wartenburgstraße wieder ins Programm. Aber sie wurde komplett neu gebaut. Dabei verschwanden nicht nur einige der Bäume, die die alte Rampe säumten, sondern auch alle Büsche, die von Nachtigallen bewohnt waren. Das 120 Jahre alte Pflaster wurde ersetzt durch neues Pflaster, das auch nicht behindertengerecht ist.
Die Rampe an der Wartenburg/Möckernstraße im Jahr 2012
Wie kann es weitergehen?
Fehler, wie die Platzierung des Spielplatzes zu nah an den Wohnhäusern, könnten korrigiert werden, wenn die Anwohner sich zusammenschließen und genug Druck ausübten. Das Grün kann sich erholen vom Eingriff der Planer – es braucht nur Zeit und eine entsprechend zurückhaltende Pflege. Die historischen Spuren jedoch sind unwiderruflich verloren. Es gibt keine zweite Chance, das besser zu machen. Die Verantwortung für den Verlust tragen Atelier Loidl, die Grün Berlin GmbH, die Verwaltungen von Bezirk und Senat – und die Anwohnervertreter und Bürgerinitiativen, weil sie zu schwach waren, die Öffentlichkeit zu mobilisieren.
Die Lehre für die Zukunft sollte sein: Im Flaschenhals südlich der Yorckstraße, im Westpark des Gleisdreiecks südlich der U2 und an vielen Stellen entlang der Schöneberger Schleife muss behutsam mit dem vorhandenen Wildwuchs umgegangen werden. Ohne Engagement der Bürger wird das nicht gehen.
Frühere Artikel zum Thema
- Bild vom 29.05.2011
- https://gleisdreieck-blog.de/2009/03/18/der-rand-zur-mockernstrasse/
- taz vom 21. 09. 2009
- Christian Schmidt-Hermsdorf, Kreuzberger Horn 2009
- M. Bauer in “Kiez und Kneipe”, Jan, Feb, März 2008
- Das Kettensägenmassaker, gleisdreieck.blog 2008