Was wird hier gebaut? An dem Zaun aus groben, verzinkten Gitter hängen zahlreiche Schilder, Bagger sind zugange, Löcher wurden gebuddelt, Fundamente betoniert. Ein Bauschild, wie es die Berliner Bauordnung in § 11, Absatz 3 vorsieht, sucht man jedoch vergeblich. Nun, nach ein Paar Wochen werden die Umrisse eines Gebäudes sichtbar. Wer sich 2011/2012 am damaligen Bebauungsplanverfahren für den Baumarkt Hellweg beteiligt hat, kann erkennen, was hier gebaut wird. Es sind die Umrisse des damals vorgeschlagenen „Nahversorgers“, Pardon “Bio-Nahversorgers“.
Damals wurde die östliche Ecke des Gebietes abgetrennt, man wollte das Bebauungsplanverfahren für den Baumarkt schnell durchziehen. Auf der östlichen Ecke des dreieckigen Grundstücks waren jedoch komplizierte Fragen zu lösen, deren Lösung man nicht abwarten wollte. Deswegen stand (und steht bis heute) in der Begründung des vorhabenbezogenen Bebauungsplan VI-140fa VE auf Seite 1:
“Das Bebauungsplanverfahren für den Nahversorger wird getrennt davon durchgeführt.”
Doch diese Zusage wird nicht eingehalten. Es wird gebaut, ohne dass das Bebauungsplanverfahren durchgeführt wurde.
Was wäre das Thema des Bebauungsplanverfahrens gewesen?
Auf diesem Teil des Grundstücks soll in Zukunft das Umsteigen zwischen U7 und S2 neu gestaltet werden. Wer die heutige Situation kennt, weiß, dass dies überfällig ist. Der provisorische Holzsteg über die Yorckstraße mit der provisorischen Treppe, die den Bürgersteig und Fahrradweg auf der Nordseite der Yorckstraße einschränkt, sind ein Ärgernis. Dort wo jetzt der „Bio-Nahversorger“ gebaut wird, soll die Umsteigesituation neu organisiert werden.
Am Ende des östlichen Bahnsteigs der U7 wird eine neue Treppenanlage entstehen, in Verlängerung des Bahnsteigs der S2 sowie eines zusätzlichen Bahnsteigs, der für die S21 geplant ist, führen Stege über die Yorckstraße nach Norden zu Treppen, die dort nach unten führen. Nach einem Durchstich durch den Bahndamm führen die Wege von U7 und S-Bahn ein paar Meter ins Freie. Sie treffen sich zwischen Rückwand des „Bio-Nahversorgers“ und Bahndamm. Eingezwängt auf wenige Meter werden täglich bis zu 40.000 Fahrgäste diese Stelle passieren. Eine unwirtliche Schlucht ohne Aufenthaltsqualität. Immerhin gibt es 13 (dreizehn) neue Fahrradabstellplätze.
Eine öffentliche Debatte, wie gestalten wir einen Bahnhofsvorplatz, über den täglich tausende Menschen laufen, das wäre das Thema für das Bebauungsplanverfahren gewesen. Wünschenswert und angemessen wäre natürlich größerer Platz für die Umsteiger, ein paar Fahrradständer mehr und ein Gebäude – möglicherweise ein “Nahversorger”, aber in einer anderen Kubatur, der den vorbeilaufenden Umsteigern nicht den Rücken zuwendet, sondern ihnen großzügig Platz lässt und sie mit einer einladenden Vorderseite und Eingängen begrüßt.
Schade, diese Möglichkeit wird gerade verbaut – zugunsten von Nistplätzen für Gebäudebrüter an der rückwärtigen Seite des Gebäudes. Der mögliche Bahnhofsplatz dagegen wird auf ein funktionelles Minimum reduziert, der über das Dach des „Bio-Nahversorgers“ von der Yorckbrücke Nr. 5 kommende Weg endet im Nichts, bzw. im rechten Winkel zur Gleisachse der zukünftigen S-Bahnlinie S21. Die Planung ist in keiner Weise durchdacht.
Auf Nachfrage hat sich das Stadtentwicklungsamt Friedrichshain-Kreuzberg folgendermaßen geäußert:
Das Grundstück befindet sich im unbeplanten Innenbereich. Es liegt kein festgesetzter Bebauungsplan vor. Die Beurteilung der Zulässigkeit des Vorhabens erfolgte auf der Grundlage des § 34 BauGB. Gemäß § 34 Abs. 1 BauGB ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Anforderungen an gesunde Wohn – und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben, das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden. Geplant ist der Bau eines Nahversorgers für die Biocompany einschließlich eines Bäckers auf einer Teilfläche des Grundstücks Yorckstraße 35-42. Das Gebäude hat eine Höhe von 6,20m ab OK Gelände, eine BGF von 1.250m² inklusive Bäcker. Für die Nutzer des Gebäudes wird ein behindertengerechter Stellplatz eingeordnet. Alle anderen für den Nahversorger notwendigen Stellplätze werden auf der Stellplatzanlage des Hellweg-Baumarktes nachgewiesen. 13 notwendige Fahrradstellplätze (BauO Berlin) für den Nahversorger werden ausgewiesen. Es erfolgt eine extensive Dachbegrünung ca. 899,25m². Im Außenbereich wird auf einer Fläche von 240m² ein versickerungsfähiges Pflaster eingebaut. Am Gebäude werden im rückwärtigen Teil Nistkästen für Gebäudebrüter angebracht. Die Stellplatzbeleuchtung wird ausschließlich mit Natriumdampfhochdrucklampen ausgestattet. Die Werbeanlagen werden auf der Fassade unterhalb der Attika montiert. Sie sind selbstleuchtend (LED). Die Leuchtstärke ist regulierbar. Geräuschimmissionen fallen beim Be- und Entladen des Lieferverkehrs in den Betriebszeiten an. Die Beurteilung des o.g. Vorhabens erfolgte daher auf der Grundlage von § 34 (1) BauGB, da die Eigenart der näheren Umgebung keinem der in der Baunutzungsverordnung genannten Gebiete eindeutig zugeordnet werden kann. Der Baukörper wird in offener Bauweise errichtet. Das Vorhaben – nicht großflächiger Einzelhandel- in einem eingeschossigen Baukörper mit begrüntem Flachdach fügt sich in die nähere Umgebung ein. Die Erschließung erfolgt über die Yorckstraße. Die vorgesehenen Werbeanlagen an der Stätte der Leistung sind planungsrechtlich zulässig.
In den vergangenen zwei Jahren wurde die Planung des Discounters sowie die des Vorplatzes (einschließlich Fahrradabstellplätze) für die Allgemeinheit auf dem privaten Grundstück (Vorplatz) in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt/Abt Verkehr mit der BVG, der DB, den Bezirken Tempelhof-Schöneberg und Friedrichshain-Kreuzberg und dem Vorhabenträger abgestimmt. Die Verbesserung der Umsteigesituation S-Bahn/U-Bahn wurde dabei ebenso berücksichtigt.
Die Bilder der Baustelle vom 21. 11. 2016 zeigen wie das nördliche Widerlager der Yorckbrücke Nr. 5 völlig freigestellt wurde. Hier fügt sich nichts Neues ein in eine Umgebung. Das Gegenteil passiert: die Umgebung wird völlig umgekrempelt – ohne dass die Öffentlichkeit die im Baugesetzbuch vorgesehene Möglichkeit zur Beteiligung bekommt.
Die Anwendung des §34 Baugesetzbuch durch die Ämter mit der Formulierung „sich in die Eigenart der Umgebung einfügend“ kann man hier nur als Hohn empfinden.
Nachtrag, 27.11.16
Inzwischen bin ich von aufmerksamen Lesern darauf hingewiesen worden, dass die BVV Friedrichshain-Kreuzberg am 15.07.2015 einen Beschluss zum Bebauungsplan VI-140fb VE “Yorckdreieck” gefasst hat. Nur: die damals beschlossene Auslegung des Plans hat nicht stattgefunden. Der Bebauungsplan ist nicht beschlossen. Das Stadtentwicklungsamt schreibt im November 2016:
Es liegt kein festgesetzter Bebauungsplan vor.