Rund 10 Jahre haben das Land Berlin und der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg mit der VIVICO (bis Ende der 90er Jahre hieß sie noch Eisenbahnimmobilienmanagement GmbH) um das Gleisdreieck gestritten, bis sie schließlich 2004 einen städtebaulichen Vertrag abschlossen. Den Park gibt’s nur gegen Ausweisung von großzügigen Bauflächen, das war die Strategie der VIVICO, die letztendlich aufging. Gegen diese Erpressungsstrategie waren Bezirk und Senatsverwaltung machtlos und weil sie den Park nicht länger auf die lange Bank schieben konnten, sicherten sie der VIVICO fünf Bauflächen zu. Offensichtlich lagen dabei die Nerven so blank, dass in dem Vertrag sogar Flächen zu Bauflächen wurden, die laut Flächennutzungsplan planungsrechtlich als Grünflächen festgelegt waren, wie z. B. das Baufeld an der Flottwellstraße.
Nun, Jahre später nimmt der Gleisdreieck-Park langsam Gestalt an. Der Ostpark soll noch dieses Jahr am 2. September eröffnet werden. Der Westpark, an dem das Baufeld Flottwellstraße liegt, soll in 2013 eröffnet werden. Wie Rumpelstilzchen in dem bekannten Märchen pocht die VIVICO nun Einhaltung des städtebaulichen Vertrages. Und sie haben es eilig mit der Realisierung der dort festgelegten Bauflächen. Denn würde der Park fertig, bevor die Randflächen bebaut würden, dann würde auch am Gleisdreieck einer breiteren Öffentlichkeit deutlich, dass es ein öffentliches Interesse für einen großzügigen Park gibt, dem das private Interesse nach maximaler Grundstücksverwertung entgegensteht – wie am Mauerpark.
Am vergangenen Montag, den 30. 05. 11 stellte die VIVICO nun ihr Projekt „Flottwellpromenade“ im Rathaus Kreuzberg öffentlich vor. Mit „Promenade“ ist kein Spaziergang gemeint, sondern die Bebauung an der östlichen Straßenseite der Flottwellstraße auf dem ehemaligen Bahngelände des Potsdamer Güterbahnhofs. Zuerst sprach J. Hegemann, für die REGGEBORGH, hinter der laut Hegemann niederländische Pensionskassen stehen und die mit dem Bauunternehmen Kondor Wessels zusammenarbeitet. Die REGGEBORGH will das Bauvorhaben gemeinsam mit der VIVICO entwickeln, für die H. Thomson sprach.
Allein in dem mitteln Baufeld sollen 250 Wohnungen entstehen, zusammen mit den beiden nördlich und südlich anschließenden Baufeldern könnten es 450 Wohnung werden. Mit den geplanten, bzw. sich teilweise schon im Bau befindlichen Projekten auf der westlichen Straßenseite der Flottwell (Dennewitz 1, Metropolis im Elsnerblock zwischen Pohl und Lützow, Lützow 1 und Flottwell 2) könnten hier in den nächsten Jahren über 700 neue Wohnungen entstehen. Eine unglaubliche Zahl, die das Stadtgefüge vollkommen verändern könnte. Die neue verkehrliche Belastung der gepflasterten und verkehrsberuhigten Kurfürstenstraße wird nur eines unter vielen zu lösenden Problemen sein. Das schwierigste für den Stadtteil wird sicher das entstehende soziale Gefälle von der Potsdamer Straße Richtung Gleisdreieck-Park werden. Bei Metropolis zwischen Pohl- und Lützow an der Westseite der Flottwellstraße kostet der m²-Eigentumswohnung durchschnittlich 2300.- €, bei der Lützow 1 geht bis 3850 €/m² hinauf, auf der östlichen Straßenseite sollte laut Hegemann die Mittelschicht angesprochen werden. Zu vermuten ist: je näher am Park, umso teurer. Gleisdreieck, der Park für die Reichen?
Weniger ist mehr
Da an dieser Stelle eine besondere Gestaltung notwendig sei, haben VIVICO und REGGEBORGH in Zusammenarbeit mit der Stadtplanerin Susanne Klar und dem Architekt. C. Neumann ein Konzept für das mittlere der drei Baufeldern entwickelt. Anhand von Skizzen erläuterten Klar und Neumann die städtebauliche Figur.
Die Abfolge zeigt, wie die zuerst gedachte geschlossene Blockstrukur aufgelöst wurde. Am Beispiel des mittleren der drei Blöcke entsteht eine mäandernde Figur mit einem zur Straße offenen und öffentlich zugänglichem Hof sowie zwei Höfen auf dem ca. drei Meter höher liegende Parkgelände, die jedoch zum Park hin geschlossen sind. Damit gelingt den Autoren des Plans eine intelligente Verzahnung der Baumassen sowohl mit der Straße auf der Westseite als auch mit der Parkseite auf der Ostseite des Gebäude. Entlang des mittleren Hofes soll es auch Zugänge zum Park geben, die allerdings nicht behindertengerecht sein werden, wie die offiziellen Parkeingänge in den Achsen von Pohl- und Lützowstraße. Die GFZ des Entwurfes belaufe sich auf 2,4, die GRZ auf 0,8. Das bedeutet, die im städtebaulichen Vertrag zwischen VIVICO und Land Berlin festgelegten GFZ von 3,5 und GRZ von 1,0, würden hier unterschritten. „Weniger ist mehr“ sagte Architekt Claus Neumann dazu, eine volle Ausnutzung der GFZ wäre nur auf Kosten der Qualität der Wohnungen möglich gewesen. Offen blieb bei dieser Feststellung, ob dieses „Weniger“ im mittlerem Baufeld, eventuell durch ein „Mehr“ auf den anderen Baufeldern ausgeglichen werden könnte.
Noch weniger ist noch mehr!
Noch weniger könnte noch mehr sein, warf ein Anwohner aus der Kurfürstenstraße ein. Könnten die Baumassen noch weiter reduziert, die Seitenflügel zum Park hin nicht abgetreppt werden? Ober die Höfe zum Park hin geöffnet werden? Aus den ablehnenden Antworten von Klar und Neumann wurde deutlich, dass für sie nicht die Qualität des Parkes, sondern die der Wohnungen im Vordergrund steht. Die Reduzierung der GFZ und der GRZ erfolgt nicht zu Gunsten des Parkes. Ebenso ablehnend reagierten sie auf die Fragen nach dem Erhalt der historischen Mauer, und nach nach den Bäumen, die heute noch auf der Kante des Bahngeländes stehen.
Geschönte Visualisierungen
Etwas schlechtes Gewissen scheinen die Stadtplanerin und der Architekt doch zu haben. Denn dass der Park durch ihr Projekt auf eine schmalen Streifen reduziert, quasi zum Vorgarten ihres Projektes wird, wollen sie lieber nicht zeigen. Ob hier unter den Augen der neu hinzugezogenen Mittelschicht, im Schatten der rund 20 m hohen Gebäude, sich ein lebendiges Leben im Park entwickeln kann, ist sehr zweifelhaft. In den Visualisierungen, die das Projekt von Osten zeigen, wurde deswegen etwas getrickst, wie eine aufmerksame Zuschauerin entdeckte. Der angebliche Blick vom Parkhaus Debis (im Computer konstruiert) auf die neue Bebauung, kann in der Realität so nie entstehen, außer das Parkhaus würde abgerissen und seine Fläche dem Park zugeschlagen.
Die gestrichelte rote Linie zeigt bis wohin Parkhaus geht. Stellt man sich nun noch die drei Etagen des Parkhauses in der Höhe (Pfeil nach oben) vor, ist der Park aus dieser Perspektive nicht mehr sichtbar.
Auch die Pläne, die die Lage in der Stadt zeigen sollen, wurden mit Bedacht bearbeitet. Im Plan, in dem der Zusammenhang zum Potsdamer/Leipziger Platz gezeigt wird, ist die neue Bebauung grün eingefärbt. Eine andere Darstellung hätte wohl zu deutlich gemacht, dass hier ein Engpass im räumlichen Gefüge der Parklandschaft entstehen würde. Die Lücke zwischen der neuen Bebauung und dem Parkhaus Debis ist der Engpass. Die heute noch erfahrbare räumliche Zusammenhang zwischen Potsdamer Güterbahnhof und dem ehemaligen Potsdamer Personenbahnhof, der ungefähr dort lag, wo heute der Tilla-Durieux-Park liegt, dieser Zusammenhang wird stark eingeschränkt werden. Schwerwiegende Folge diese Engpasses sind auch die Auswirkung der Bebauung auf das Stadtklima. Von den Akteuren der Infoveranstaltung gab es hier zu keine Stellungnahme.
Der Schlussstein im Wärmering um den Tiergarten?
In den 90er Jahren war genau dort, wo jetzt das Baufeld Flottwellstraße entstehen soll, die ökologische Ausgleichsfläche für den Potsdamer Platz vorgesehen. Belegt wurde die Notwendigkeit der ökologischen Ausgleichsfläche mit den Umweltgutachten zu Potsdamer/Leipziger Platz, die die negative Veränderung des Stadtklimas als schwerwiegendsten Folge der neuen Bebauung einschätzten und deswegen forderten, „eine qualitätsvolle Parkanlage“ auf dem Gleisdreieck zu anzulegen sowie „keine weiteren geometrischen Hindernisse“ in die Belüftungsbahn zwischen Tiergarten und südlichen Stadtrand zu stellen. Ohne Kompensation würde die Jahresmitteltemperatur im gesamten Innenstadtbereich um 1 bis 2 Grad ansteigen, heißt es in den Gutachten..
Fatal ist, dass heute diese Festlegungen aus den B’Plänen des Potsdamer und Leipziger Platzes, die ebenso wie der FNP für die Verwaltung verbindlich sein müssten, einfach ignoriert werden. Und verrückt, dass einen Tag nach der öffentlichen Vorstellung des Bauvorhabens Flottwellstraße die Senatsverwaltung den Stadtentwicklungsplan Klima ( STEP Klima) öffentlich vorstellte. Wer die Karten des STEP Klima studiert, wird dort das Gleisdreieck als grünen Fleck entdecken . . und genau in diesem grünen Fleck soll das Baufeld Flottwellpromenade platziert werden als Schlussstein im Wärmering um den Berliner Tiergraten.
Berechtigtes Misstrauen der Bürgerinitiativen
Die Bürgerinitiativen für den Park auf dem Gleisdreieck, damals die Interessengemeinschaft Gleisdreieck, reichten Mitte der 90er Jahre eine Normenkontrollklage gegen die B’Pläne des Potsdamer-und Leipziger Platzes ein. Wir misstrauten damals der Absicherung des ökologischen Ausgleichs durch die städtebaulichen Verträge (Beispiel Vertrag mit Debis) mit den Investoren vom Potsdamer und Leipziger Platz und dem Vertrag mit der deutschen Bahn AG (Notenwechsel 1994 ). Beide Vertragswerke sahen die Ausgleichsfläche dort vor, wo jetzt die neue Baufläche Flottwellstraße entstehen soll. Mit der Klage versuchten wir, zusätzlich eine eigentumsrechtliche oder planungsrechtliche Absicherung der Ausgleichsfläche durchzusetzen. 1998 schließlich legte das Land Berlin dem Verwaltungsgericht einen Entwurf für die Änderung des Flächennutzungsplans im Bereich Gleisdreieck vor. Das Gericht wies daraufhin unsere Klage ab, mit dem Hinweis in der Urteilsbegründung, das Land Berlin sei ja gerade dabei, die planungsrechtliche Absicherung zu schaffen.
Bebauungsplan widerspricht Flächennutzungsplan: ein Rechtsbruch!
Der geänderte FNP wurde dann 1998 auch beschlossen und er gilt bis heute. Der neue Plan ist war etwas schlampig gezeichnet. In Verbindung mit dem begleitenden Text sind die Festlegungen des Plans jedoch eindeutig. Vorrangig sei die Verbesserung der Grünflächenversorgung heißt es da. Und als neu geschaffene Bauflächen werden der Bereich um den U-Bahnhof Gleisdreieck und an der Yorckstraße (Ecke Möckernstraße) dargestellt. Wenn die Autoren des Plans damals eine Baufläche an der Westseite des Geländes hätten vorschlagen wollten, hätten sie dies an dieser Stelle in den Text eingefügt. Die westliche Kante des Potsdamer Güterbahnhofs ist im FNP als Grün festgeschrieben! Aus diesem Plan nun einfach einen Bebauungsplan mit einer Baufläche zu entwickeln, stellt einen klaren Rechtsbruch dar, der begangen wird in der Annahme, dass niemand dagegen klagen wird. Es ist zu hoffen, dass einer der Naturschutzverbände noch ausreichend Mumm in den Knochen hat, um den Fall vor Gericht zu bringen.
Die Ignoranz des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg
Auf dem Einladungsplakat der VIVICO zur Infoveranstaltung am 30. 05. 11 war Bürgermeister Franz Schulz als Gast angekündigt. Bei der Veranstaltung im BVV-Saal im Rathaus Kreuzberg fehlte er. Und auch kein anderer Vertreter des Bezirksamtes war dort sichtbar. Das Projekt selbst war ja schließlich schon im Ausschuss vorgestellt worden. Wenn das Bezirksamt jedoch auf einer solchen Veranstaltung fehlt – der ersten öffentlichen Darstellung des Bauvorhabens – , dann demonstriert es damit sein Desinteresse für die dort von den Anwohnern und Bürgerinitiativen vorgebrachten Anregungen und Kritiken. Erstaunlich für einen Bezirk, der sonst so stolz auf seine Bürgerbeteiligungskultur ist.
Übrigens: die Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck hat schon in ihrer Stellungnahme zum Bebauungsplanverfahren Gleisdreieck im Jahre 2006 ausführlich begründet, warum sie die Baufläche an der Flottwellstraße ablehnt. Und bis heute wartet die AG Gleisdreieck vergeblich auf eine Antwort seitens des Bezirksamtes !
Bekommt Rumpelstilzchen recht?
Jedes Kind leidet mit beim Märchen vom Rumpelstilzchen, weil es weiß, dass Rumpelstilzchen formal Recht hat. Die junge Königin hat ihm ja ihr Kind versprochen. Gleichzeitig fühlt auch jedes Kind, dass es voll ungerecht wäre, wenn Rumpelstilzchen tatsächlich sein Recht bekäme. Und alle sind am Schluss erleichtert, als sich die Frage nach dem formalen Recht gar nicht mehr stellt, weil Rumpelstilzchen wütend, trampelnd im Boden versunken ist.
Genauso ist es am Gleisdreieck. Im Interesse der Anwohner ist eine großzügige Parkanlage, im Interesse der Gesamtstadt der Erhalt der wichtigen Frischluftschneise zwischen Tiergarten und südlichen Stadtrand. Nur dass die VIVICO wie Rumpelstilzchen im Boden oder in der nächsten Finanzkrise versinkt, ist nicht zu erwarten. Die Politik hat sich festgelegt. Sie will den Vertrag mit der VIVICO einhalten – auch aus der Angst heraus, sonst schadensersatzpflichtig zu werden. Welche Handlungsmöglichkeiten bleiben?
Nachtrag 8. 06. 2011
Schreiben von Bürgermeister Schulz bezugnehmend auf den vorletzten Absatz des Beitrags:
Ihre Mail vom 06.06.2011
Sehr geehrter Herr Bauer,
bezugnehmend auf ihren Beitrag möchte ich doch festhalten, dass meine Nichtanwesenheit auf der o. g. Veranstaltung keine Missachtung von Bürgerbeteiligung darstellt, schon gar nicht zu dem diskutierten Thema.
Bedauerlicherweise fand aber eine große Mietenveranstaltung vom Dreigroschen e.V. in der Passionskirche statt, zu der ich auf dem Podium die bezirkliche Position vertreten sollte.
Vielleicht wissen Sie, dass ich dann dort auch nicht sein konnte, da gleichzeitig ab 17.oo Uhr die Besetzung der Schlesischen Straße 25 begann und die Besetzer/innen mich um Unterstützung gegenüber der GSW gebeten hatten.
Insoweit häuften sich leider an diesem Abend etwas unerwartet „präsenzrelevante“ Termine.
Im übrigen war selbstverständlich auf der Veranstaltung am 05.06.2011 das Bezirksamt durch den Leiter der Stadtplanung, Herrn Peckskamp, fachlich vertreten.Mit freundlichen Grüßen
Franz Schulz