Spätfolgen eines roten Fineliners

Baumfällungen an der Flottwellstraße

An der Flottwellstraße haben in den letzten Tagen Baumfällungen und der Abriss der Mauer begonnen, die das Bahngelände hier von der der einige Meter tieferliegenden Straße trennt. (Sorry, das mit dem Abriss der Mauer war eine Fehlinformation.) Die Baumfällungen haben nichts mit dem entstehenden Gleisdreieckpark zu tun. Es sind wohl bauvorbereitende Maßnahmen für die Bauflächen auf dem Bahngelände östlich der Flottwell- und Dennewitzstraße.

Baumfällungen an der Flottwelltstraße
Baumfällungen an der Flottwellstraße
Baumfällungen an der Flottwelltstraße
Baumfällungen an der Flottwellstraße

Erstaunlich ist, dass die Arbeiten ohne jede Ankündigung und Information der Öffentlichkeit stattfinden. Noch hat kein Bebauungsplanverfahren stattgefunden, geschweige denn eine Bürgerbeteiligung.

Die Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck hat die Bauflächen östlich der Flottwellstraße auf dem Gleisdreieck immer kritisiert, weil sie

  • den zukünftigen Park im nördlichen Bereich des Potsdamer Güterbahnhofs auf einen schmalen Streifen reduzieren, der durch die Bebauung schon am frühen Nachmittag verschattet werden wird.
  • weil durch die Bauflächen die für die gesamte Innenstadt wichtige Belüftungsschneise blockiert wird, die jetzt noch den Tiergarten mit dem südlichen Stadtrand verbindet.
  • weil diese Bauflächen geltendem Planungsrecht widersprechen, der Flächennutzungsplan sieht hier Grün vor.

Zwar sind die Flächen im städtebaulichen Vertrag zwischen Land Berlin und Vivico 2004 als Baufläche festgeschrieben worden, mit einer relativen hohen Bebauungsdichte mit einer GFZ von 3,0. Dieser Widerspruch zwischen geltendem FNP und städtebaulichem Vertrag wird im zukünftigen Bebauungsplanverfahren eine Rolle spielen und bietet den Naturschutzverbänden Ansatzpunkte für Klagen vor Gericht. Nun sieht es so aus, als wolle man mit den Baumfällungen vorher schon mal Fakten schaffen.

Die Vorgeschichte

Nicht immer war an dieser Stelle eine Baufläche vorgesehen. Im Bebauungsplanverfahren zum Potsdamer und Leipziger Platz in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts wurden diese Flächen als ökologische Ausgleichsflächen eingeplant. In den Umweltgutachten zum B-Plan Potsdamer und Leipziger Platz spielte das Stadtklima eine entscheidende Rolle. Nach diesen Gutachten ist zu befürchten, dass durch die Bebauung des Potsdamer und Leipziger Platzes im gesamten Innenstadtbereich die Temperaturen im Jahresmittel um ca. 1 bis 2 Grad steigen werden. Denn durch den neuen Potsdamer Platz wird der „Wärmering“ um den Tiergarten fast geschlossen, bis auf eine kleine Lücke Richtung Gleisdreieck im Süden. Diese negative Klimaveränderung wurde von den Gutachtern damals als die schwerwiegenste Folge des neuen Potsdamer Platzes angesehen. Um die negative Klimaveränderung zu kompensieren, schlugen die Gutachter vor, keine weitere „geometrischen Hindernisse“ in die Belüftungsbahn zu stellen und dass Gleisdreieck zukünftig von jeder Bebauung freizuhalten.

Anfangs schien es, als nehme der Senat die Forderungen der Umweltgutachter ernst.

  • 1994 wurde der sogenannte Notenwechsel zwischen Land Berlin und der Deutschen Bahn abgeschlossen. Darin heißt es, dass Berlin 16 ha auf dem Gleisdreieck von der Bahn erwirbt für einen Preis von 80.- DM/m² zur Anlage von ökologischen Ausgleichsflächen. Laut Notenwechsel sollten von diesen 16 ha 8 bis 10 ha auf dem Potsdamer Güterbahnhof und zwar westlich der neuen Bahnlinie „bis an das Ufer des Landwehrkanals heranreichend“, also auf dem Bahngelände entlang der Flottwellstraße.
  • 1994 wurden städtebauliche Verträge mit den Investoren vom Potsdamer Platz angeschlossen, mit denen die Finanzierung der ökologischen Ausgleichsflächen gesichert werden sollte. In den Anlagen zu den Verträgen wurden die Ausgleichflächen zeichnerisch festgelegt, sie lagen an der Flottwellstraße, also dort wo heute gerodet wird und demnächst gebaut werden soll.
  • In den 90er Jahren klagte die  damalige Interessengemeinschaft Gleisdreieck gegen die B-Pläne Potsdamer und Leipziger Platz, weil wir befürchteten, dass die Ausgleichsflächen nicht richtig abgesichert sind. Vor dem Verwaltungsgericht argumentierte das Land Berlin im Jahre 1998, man sei ja dabei, die ökologischen  Ausgleichsflächen planungsrechtlich zu sichern und legte den Änderungsentwurf zum Flächennutzngsplan vor. Dieser sah (und sieht heute noch) Grün vor an der Dennewitz- und Flottwellstraße bis zum Landwehrkanal.

Die damalige Interessengemeinschaft Gleisdreieck verlor 1998 das Normenkontrollverfahren beim Verwaltungsgericht. In der Urteilsbegründung hieß es u. a., dass das Land Berlin ausreichend dargestellt habe, dass die ökologischen Ausgleichsflächen in absehbarer Zeit planungsrechtlich gesichert würden.

Der rote Fineliner

Doch nur zwei Jahre später nach diesem Gerichtsverfahren waren alle Verträge und Zusicherungen vor Gericht nicht mehr das Papier wert, auf dem sie standen. Unter Senator Strieder und Senatsbaudirektor Stimmann wurden Pläne in die Öffentlichkeit gebracht, die „Townhouses“, also einzelne, freistehende Stadthäuser entlang der Flottwell- und Dennewitzstraße vorsahen. Kurze Zeit später waren auf den Plänen keine Townhouses mehr zu sehen, sondern Hochhäuser, die wie am Potsdamer Platz bis zu 80 Meter aufragen sollten. Die Umwandlung von Grün- in Baufläche fand übrigens statt ohne erkennbare Gegenleistung des Grundstückeigentümers Vivico – ein 3-ha großes Geschenk im Wert von 12 bis 13 Mio €.
Das Stadtklima war Anfang der 90er ein Thema gewesen, nun war es keines mehr. Auf einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung im Sommer 2000 im Gemeindesaal Wartenburgstraße verteidigte Senatsbaudirektor Stimmann die neuen Bauflächen mit dem Argument „auf Mallorca gibt es doch genug Erholungsflächen“. Während das Publikum sich aufregte, hielt sich Stimmann an seinem roten Fineliner fest und umrandete damit immer wieder die Bauflächen an der Flottwell- und Dennewitzstraße auf seiner Tischvorlage. Im Laufe des Abends wurden die Bauflächen immer dicker.

Schnee von gestern?

Sicher. Schnee von heute: Vor ein paar Wochen stellte die Senatsverwaltung den „Stadtentwicklungsplan Klima“ vor, mit dem die Stadtentwicklungsverwaltung auf die Herausforderungen des weltweiten Klimawandels reagieren möchte. In der Studie ist von Anstieg der Jahresmitteltemperaturen die Rede, von der steigenden Anzahl drückend heißer Sommertage und sogenannter Tropennächte. Bei der Pressekonferenz zur Vorstellung der Studie am 19. 01. 2011 sagte Senatorin Junge-Reyer:

„Zentrales Ziel der Stadtentwicklungspolitik des Senats ist die vorausschauende und dauerhafte Verbesserung der Lebensqualität der Berlinerinnen und Berliner. Diese Verantwortung für die Zukunft der Stadt nimmt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung sehr ernst und Klimawandel ist ein zentrales Thema, mit dem wir uns beschäftigen müssen.“

Wenn das nicht bald auch wieder Schnee von gestern sein soll, wäre ein Umdenken bei den Bauflächen am Gleisdreieck und auch anderswo, z. B. am Mauerpark notwendig. Dazu muss der 2004 abgeschlossene Vertrag mit der Vivico nochmal auf den Prüfstand. Und die Investoren und Bauherren, die sich jetzt um die Flächen an Flottwell- und Dennewitzstraße bemühen, sollten sich fragen, ob sie mit ihrem Projekt – auch wenn es nur das letzte Glied in einer Kette von politischen Fehlentscheidungen ist  – tatsächlich den Schlußstein im Wärmering um den Berliner Tiergarten bilden wollen.

Materialien

Jahresmitteltemperaturen, Umweltverträglichkeitsuntersuchung Postdamer/Leipziger Platz 1992, rot = warm, blau = kalt, gelb liegt dazuwischen. Man sieht den Tiergarten als große blaue Fläche von tief roten Statteilen umgeben, nur im Süden ist noch eine klein Lücke, die gelb dargestellen Bahnflächen des Gleisdriecks
Jahresmitteltemperaturen, Umweltverträglichkeitsuntersuchung Postdamer/Leipziger Platz 1993, rot = warm, blau = kalt, gelb liegt dazwischen. Man sieht den Tiergarten als große blaue Fläche von tief roten Stadtteilen umgeben, nur im Süden ist noch eine kleine Lücke, die gelb dargestellen Bahnflächen des Gleisdreiecks
Der Gleisdreieck-Park mit den roten Bauflächen an der Dennewitz- und Flottwellstraße an seinem westliche Rand
Der Gleisdreieck-Park mit den roten Bauflächen an der Dennewitz- und Flottwellstraße an seinem westlichen Rand

2 Kommentare zu “Baumfällungen an der Flottwellstraße

  1. Hallo,

    toller und ausführlicher Artikel. Aber es ist wirklich erstaunlich, dass die Arbeiten ohne jede Ankündigung gegenüber der Öffentlichkeit stattfanden, ganz ohne Bebauungsplanverfahren oder Bürgerbeteiligung. Ist das überhaupt zulässig?

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