Nun verschwindet eine der letzten Brachen Berlins, die Leerstelle hinter dem Portal des Anhalter Bahnhofs, die bisher als stummer, aber eindringlicher Zeuge wirkte für die Ereignisse von 1933 bis 1945. An die Stelle tritt nun das Exilmuseum. Damit geht etwas verloren, es entsteht jedoch auch die Chance, dass an dieser Stelle die Vergangenheit auf neue Art zum Sprechen gebracht wird. Ohne Zweifel ist der gewählte Ort der richtige für ein Exilmuseum. Nach 1933 verließen unzählige mit der Anhalter Bahn hier flüchtend ihre Heimat, später fuhren von hier Deportationszüge in den Tod.
10 Architekturbüros haben sich am Wettbewerb für das Exilmuseum beteiligt. Alle entwarfen einen großen Quader, um die 3500 m² Museumsfläche unterzubringen. Zur Verfügung steht dafür das schmale Rechteck zwischen Portalruine und Fußballplatz. In dem Gebäude werden außer der Museumsfläche auch ca. 700 m² Flächen für „Dritte“ untergebracht. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg möchte dort (auf einem Teil der 700 m²) die Umkleidekabinen und Duschen für den benachbarten Fußballplatz einrichten.
Bei allen Entwürfen erfolgt der Eingang in der Mitte durch das alte Portal hindurch. Anstatt in den Bahnhof, beziehungsweise auf die seit Jahrzehnten leere Fläche, gelangt man nun durch die Portalruine in das Museum. An den Museumseingang schließt sich bei allen Entwürfen eine Halle an, von der dann Ausstellungsflächen auf verschiedenen Geschossen erreicht werden können.
Unterschiedlich gehen die Architekten mit der denkmalgeschützten Portalruine um. Der dritte Preisträger, Bruno Fioretti Marquez verschmilzt die Portalruine mit einer neuen, gleichfarbigen Ziegelfassade zu einem scheinbar homogenen Bauwerk. Die zweiten Preisträger, Diller Scofidio + Renfro, setzen auf den Kontrast zwischen dem alten Mauerwerk des Portals und der neuen, verglasten Fassade. Die Gewinnerin des Wettbewerbs Dorte Mandrup aus Kopenhagen schafft einen Zwischenraum zwischen Portal und Museum.
In ihrem Entwurf schwingt die neue Fassade in einem weiten Bogen südlich um das Portal herum. Wäre die Fassade ein Brennspiegel, würde sie ihre Strahlen auf die Portalruine als Brennpunkt richten. Wie ein Ausstellungsstück wird die Portalruine inszeniert. Auf den Abbildungen sieht das sehr harmonisch aus, möglicherweise so harmonisch, dass die Geschichte des Ortes dahinter verschwindet.
Alle Architekten fokussieren sich ausschließlich auf das schmale Rechteck zwischen Portalruine und Fußballplatz. Eine Ausnahme macht der Entwurf von Kéré Architecture, der mit ein paar Stufen eine kleine Tribüne Richtung Fußballplatz und Tempodrom ausbildet und der einen öffentlichen Weg vorschlägt, der über eine im Wechsel von außen und innen führende Treppe bis auf den Dachgarten führt. Der Dachgarten des Museums wird so zu einem öffentlichen Raum, das Museum wird Teil eines öffentlichen Weges, der vom Flaschenhals über den Ostpark des Gleisdreiecks bis zum Museum führt. Kéré Architecture sind die einzigen, die die Funktion des früher größten Bahnhofs Berlin in ihrem Entwurf reflektieren. Sie sehen die Portalruine nicht nur als Rest des verschwundenen Bahnhofsgebäudes, sondern als Endstück einer kilometerlangen Struktur, die mit dem Anhalter Personenbahnhof beginnt, südlich des Landwehrkanals sich als Anhalter Güterbahnhof fortsetzt, südlich der Yorckstraße mit Wartungsanlagen der Bahn, heute Flaschenhalspark genannt. In einer Zeichnung zeigen sie diesen Weg, der von der Monumentenbrücke bis auf das Dach des neuen Museums führt und dann von dort weiter nördlich in den Tiergarten und in die Stadtmitte. Der Entwurf von Kéré scheint mit der lebendigste von allen, der es wohl hätte schaffen können, nicht nur die klassischen Museumsbesucher anzusprechen.
Zu kompliziert, zu ungeordnet, kritisierte die Jury.
Nachtrag. 25.10.2020
Am 1. September 2019 fand am Ort des zukünftigen Exilmuseums die Gedenkfeier anlässlich des 80. Jahrestages des deutschen Überfalls auf Polen statt. Es sprachen die Präsidentin des polnischen Parlaments, Sejmmarschallin Elżbieta Witek und Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble. Die Bilder zeigen einen für das Gedenken angemessenen Ort. Mehr Information auf der Seite des Deuschen Bundestags.
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Matthias Bauer