Gastbeitrag von Berthold Menzel, Bilder von Uli Klose
Muss ich mich noch vorstellen? Wer öfter im Gleisdreieck-Park ist, hat mich sicher schon gesehen – neulich posierte ich für das Umweltfestival am Brandenburger Tor.
Ich bin Leos Rad, seine geniale Erfindung. Klar, ich gehöre ihm noch, habe mich aber auch davon emanzipiert und bin jetzt Mitglied der Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck. Dazu bedurfte es meiner Metamorphose – Leo hat meinem Fahrgestell einen Überbau hinzugefügt: in erster Linie bin ich jetzt ein Werbeträger von großflächigen Infotafeln.
Die meiste Zeit stehe ich still, was ich aber nicht bedaure, denn auf diese Weise diene ich etwas Größerem, dem Erhalt des Parks. Der ist zu meiner Heimat geworden und die verteidige ich. Anfangs war das gar nicht so einfach: Die Parkverwaltung versagte mir das Abstellen, ich war eben nicht ein Fahrrad wie andere, denn ich hatte ja eine Botschaft – und mit der fühlte man sich offenbar unbehaglich! Aber soviel Fahrrad bin ich dann doch noch, dass ich mich an Fahrradständern anlehnen darf!
Ich hätte nie gedacht, dass ich so viel Aufmerksamkeit bekomme – wer da alles vor mir stehen bleibt! Es gibt ja immer noch viele Menschen im Park, die gar nicht wissen, was aus dem Park würde, wenn die „Urbane Mitte“ bauen würde. Dem Investor geht es nur darum, seine sieben Hochhäuser hart an der grünen Kante unterzubringen bzw. hochzuziehen. Das ist es: Bauen um jeden Preis, hoch und gewinnbringend – es sollen ja vor allem Büros sein, gern in natürlicher Umgebung: Der Park wird denen zum hübschen Vorgarten. Dazu passt, dass die Planer den Park als öde Fläche ansahen, die erst durch ihre Bauten „urban“ würde.
Der Gleisdreieckpark ist aber schon lange „urban“ und seine „Mitte“ ist das Grün! Warum sonst sollten an schönen Wochenenden tausende Menschen, klein und groß und so divers, wie Berlin eben ist, herkommen? Kaum zu glauben, , dass man glaubt, auf die keine Rücksicht nehmen zu müssen!
Wie hoch sind 90 Meter?
Die meisten, die vor mir das erste Mal stehenbleiben, sind baff und glauben´s kaum – so unwirklich sehen die Projektionen aus, beinahe schon interessant: wo sollen die Hochbauten hin und wo ist denn Platz dafür? Die schöne neue Welt einer Hochhaus-Architektur drängt sich manchem auf – und man ist versucht zu überlegen, ob es sich um eine „gelungene“ Architektur handelt. Das lenkt natürlich nur von der Frage ab, was die Bauten aus der Umgebung machen: der Park wird zur Nebensache!! Und mit ihm die Menschen im Park. Da fragte doch letztlich ein Kind seine Mutter: „Mama, wie hoch sind 90 Meter?“ Ja, der Park würde kleingemacht: der Büroturm ist höher als die Parkfläche gegenüber breit ist.
Nein, ich halte es mit den Parkmenschen – von denen haben schon Abertausende die Petition der Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck unterschrieben – und die lassen sich nicht von noch so hohen Türmen kleinmachen. Wir zahlen nicht für die Rendite der Investoren!
Als Fahrrad stehe ich für das menschliche Maß – und wenn ich mit meinen Plakaten etwas über mich hinauswachse, ist das doch nur, um mitzuhelfen, diese skandalösen Bürotürme zu verhindern.
Dann bis bald.
Epilog:
„Da hat sich doch jemand berufen gefühlt, mich sich zu eigen zu machen und zu entführen – kaum zu glauben, bin ich doch ein sogenanntes „Schätzchen“, Damenrad, älteres Modell, zwar funktionstüchtig, aber auf die alten Tage am besten im Keller aufgehoben. Bis ich dann von Leo zu meinem zweiten Leben erweckt wurde – Ihr wisst schon: im Dienst der Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck e.V..
Mein Klau ist echt schnöde, wer vergreift sich denn an einem Rad wie mir! Zumal man erst meinen Überbau demontieren musste – der hat zum Glück überlebt! Alles in allem: ich kann mir nicht vorstellen, dass mein Diebstahl nicht mit meiner Mission zusammenhängt – ganz schön perfide!
Aber die geht weiter – darauf ist Verlass!
Gruß von einem geheimen Ort
Euer Rad“
Text: Berthold Menzel
Fotos: Uli Klose