Nachts gegen halb eins am Pfingstwochenende fahre ich mit dem Fahrrad durch den Westpark vom Landwehrkanalufer kommend. Schon von weitem ist Musik zu hören. Als ich näher komme, sehe ich, dass es nur eine kleine Gruppe ist. 5, 6 Leute, die sich laut rufend unterhalten, um die Musik zu übertönen. An den Holzterrassen ist im Dunkeln eine größere Gruppe zu erkennen, ohne Musik, aber viele angeregte Stimmen und das Zusammenstoßen von halbvollen Bierflaschen ist zu hören. Ich biege nach links ab Richtung Ostpark. Auf dem Weg ist ordentlich Betrieb, viele junge Leute zu Fuß, Karnickel suchen hektisch das Weite. Ich versuche, den Glasscherben auf dem Weg auszuweichen. Beim Poststellwerk biege ich links ab und erreiche kurz vor der Ladestraße den nächsten Party-Hotspot mit Lichtern, die im Rhythmus der Musik aufblitzen. Die Menschen sind im Dunkeln nur zu erahnen – aber es sind viele. Auf den Weg bis zur Hornstraße umkurve ich mit meine Fahrrad weitere Grüppchen, nicht wenige der Jugendlichen haben vermutlich gerade die Abi-Prüfungen hinter sich und sind nun auf der Suche nach der besten Party. In der Nacht zum Montag eskalieren die Feiern. Am Platz an der Ladestraße brennt es. Montag Morgen sind verkohlte Bänke, ein Moped und verbrannte Fahrräder zu sehen. Die von Grün Berlin beauftragten Firmen sind dabei, die Spuren der Nacht zu beseitigen.
Das pfingstliche Desaster hatte sich angekündigt. Am 14.05.2020 schreibt ein Anwohner aus Tiergarten-Süd auf nebenan.de, einem sozialen Netzwerk zur vor allem lokaler Vernetzung:
Liebe Nachbarn-
gerne würde ich Euren/Ihren Eindruck zur Entwicklung vom Park erfahren.
Mir fällt, als direkter Anwohner, immer öfter auf dass jeder schöner Tag aber vor allem jede milde Nacht der Park zum feiern genutzt wird. Verständlich und natürlich begrüßenswert dass es die Menschen nach draußen treibt. Subjektiv empfunden ändert sich die Zusammensetzung der Besucher am Abend und in der Nacht. Waren es früher kleinere Gruppen die wenig gestört haben werden die Gruppen nun grösser, lauter und rücksichtsloser. Das ich in der Stadt keine absolute Ruhe erwarten kann ist selbstverständlich aber ich habe die Befürchtung dass der Park, umgeben von Wohngebieten, zu einem Party Hotspot mit allen Konsequenzen (Vermüllung, Vandalismus, Lärm…) wird. Gerade wenn es nachts mild ist trifft man sich am Späti auf der Flottwellstr (der gern bis nach 0:00 geöffnet ist) um sich mit Spirituosen einzudecken um dann lautstark zwischen den Häusern in den Park zu gehen. Es wird an die Hauswände/Eingänge uriniert und dazu jeden Morgen dann das selbe Bild- zerbrochene Bierflaschen, Müll auf der Wiese, rund um die Bänke und in den frisch gepflanzten Parkzugängen.
Anfangs habe ich die Besucher noch freundlich gebeten etwas Rücksicht auf die Anwohner aber auch auf die Beete zu nehmen aber immer öfter wurde aggressiv reagiert.
Bin ich empfindlicher geworden oder teilt jemand den Eindruck und die Befürchtung der Park könnte, gerade wenn die Touristen wieder kommen dürfen, zu einem „Görli“ verkommen?
Und noch mal- ich genieße das Stadtleben und den Trubel aber die Veränderung vor der Haustür bereitet mir Sorgen
Der Autor bekommt 27 mal „Danke“ und es beginnt eine Debatte mit 64 Beiträgen innerhalb von zwei Tagen. Die Debatte ist hier nach zu lesen – als PDF-Dokument, 6 MB – wobei ich jedoch die Namen der Autoren geschwärzt habe.
Update. 02.06.20, 10:13 Uhr. Ich habe das PDF-Dokument mit den 64 Kommentaren aus dem Netz genommen, weil einzelne mich angeschrieben haben, dass sie nicht einverstanden sind mit der Veröffentlichung.
Ich finde es wichtig, dass die Beiträge auch von Leuten außerhalb des Netzwerkes nebenan.de gelesen werden, die ein paar Straße weiter leben, nur tagsüber das Gleisdreieck erleben oder beruflich mit dem Park befasst sind.
Wer die Beiträge im Original lesen möchte, kann sich einloggen bei nebenan.de, dort ist die Debatte zu finden unter https://nebenan.de/feed/10671022
Die meisten der 64 Kommentare pflichten dem Autor bei bei. Zwar sei es noch nicht so wie beim Görli, jedoch sei durch Corona nun klar, dass es nicht Touris, sondern die Berliner selber sind, die hier Randale veranstalten und Müll hinterlassen. Außer der nächtlichen Ruhestörung wird die Zerstörung der Natur thematisiert. Durch die Rücksichtslosigkeit der Parkbesucher würden die Nachtigallen vertrieben, Pflanzen niedergetrampelt.
Neben dem nächtlichen Krach werden auch die tagsüber auftretenden Probleme angesprochen, vor allem die Fahrradfahrer, die Fußgänger gefährden. Eltern berichten, dass sie Angst haben müssten um ihre kleine Kinder, wenn sie diese nicht schnell genug vor rasenden Radlern in Sicherheit bringen würden.
Als Lösungen an diskutiert werden polizeiliche Maßnahmen bzw. die des Ordnungsamtes, mehr Park-Ranger, die nächtliche Schließung des Parks wie beim Tempelhofer Feld oder Parks in Paris, einen Park mit Eintritt, aber auch Schaffung von Alternativen, also Plätzen, an denen die Jugendlichen feiern können.
Keiner der Anwohner ist wirklich überzeugt, die ideale Lösung gefunden zu haben. Über das notwendige Maß an Verständnis und Nachsicht für die Jugendlichen sind sie sich uneinig, aber allen ist klar, dass es so nicht weitergehen soll. Der Leidensdruck ist sehr hoch, vor allem bei denen, die – sobald es etwas wärmer wird – permanent in ihrer Nachtruhe gestört werden.
Es ist zu hoffen, dass mit den Ereignissen von Pfingsten nun eine öffentliche Diskussion beginnt – mit Anwohnern, Parkbesuchern, Bezirken, Senat und Grün Berlin. Und dass am Ende der Diskussion von allen akzeptierte Regeln für das Zusammenleben im Park stehen. Sowie Klarheit darüber, wie diese durchzusetzen sind.