Vor einem Jahr beschloss die Bezirksverordnetenversammlung Tempelhof-Schöneberg zu prüfen, für welche Quartiere im Bezirk der Erlass einer Erhaltungssatzung geboten sein könnte. Mit Erhaltungssatzungen nach §172 Baugesetzbuch (auch Milieuschutz genannt) soll versucht werden, der Gentrifizierung wenigstens in räumlichen Teilbereichen gegen zusteuern.
Mit dem Erlass von Erhaltungssatzungen soll der Bezirk die Möglichkeit bekommen, über die Genehmigung bzw. Nicht-Genehmigung von baulichen Maßnahmen die Entwicklung in den Stadtteilen zu beeinflussen. In Vorlage des Bezirksamts, Drucksache 0454/XiX heißt es:
Jede Baumaßnahme in einem Erhaltungsgebiet ist dahingehend zu überprüfen, ob sie negative Auswirkungen auf das Erhaltungsziel in dem gesamten Gebiet hat (Vorbildwirkung) und eine Zunahme entsprechender Baumaßnahmen zu einem Anstieg des Mietpreisniveaus und damit zur Verdrängung der bestehenden Bewohnerstruktur führen würde.
Vor kurzem wurde ja an dieser Stelle über die Erfahrungen mit dem Milieuschutz in der Kreuzberger Hornstraße berichtet – Link zum Artikel. In der Hornstraße zeigte sich der Milieuschutz als mehr oder weniger zahnloser Tiger, der aber trotzdem immer noch besser war als gar kein Tiger. Was den Erhaltungssatzungen bisher fehlte, ist die Möglichkeit für die Bezirke, die Umwandlung in Eigentumswohnung zu untersagen können. Dazu müsste auf Landesebene eine Verordnung zum Umwandlungsverbot beschlossen werden. Dann hätten die Bezirke mit den Erhaltungssatzungen tatsächlich ein Mittel, mit dem sie ihre Bewohner wirkungsvoller vor Verdrängung schützen könnten. Im Hamburg hat die Stadt mit einer solchen Regelung positive Erfahrungen gemacht.
Verdachtsgebiete
Doch bevor der Bezirk die Erhaltungssatzungen beschließen kann, muss erstmal untersucht und geprüft werden. Inzwischen liegt eine Studie der ASUM vor und kommt zu überraschenden (Zwischen)-Ergebnissen. Aus demografischen Daten wie Zuzügen und Wegzügen, wie Anzahl der Kinder u. a. , Anzahl der Abgeschlossenheitsbescheinigungen und der Immobilienverkäufe wurden in der ASUM-Studie drei „Verdachts-Gebiete“ identifiziert, in denen eine besondere Verdrängungsgefahr gegeben sei:
- Babarossaplatz/Bayrischer Platz
- Dennewitzplatz /Kaiser-Wilhelm-Platz
- und die Schöneberger Insel
Im Gebiet Babarossaplatz/Bayrischer Platz seien es die großzügigen Berliner Altbauten, die für Investoren besonders interessant sind.
Im Gebiet Dennewitzplatz /Kaiser-Wilhelm Platz sei der Anteil der von Verdrängung bedrohten Bevölkerung am größten. Das heißt, dort ist der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund am höchsten, gleichzeitig leben hier die meisten Menschen mit geringen Einkommen.
Im Bereich der Schöneberger Insel war die „Anzahl der registrierten Kaufverträge“ in den letzten Jahren besonders hoch, höher als beispielsweise am Bayrischen Platz. Auch die Wanderungsbewegungen waren hier stärker als in den beiden anderen Gebieten. Durch die Stadtumbau-West-Projekte gibt es hier eine konkret fassbare Aufwertung der Umgebung. Gleichzeitig sind die großen Bestände an gründerzeitlichen Gebäuden mit teilweise noch niedrigen Standard interessant für Luxus-Sanierung und Aufteilung in Eigentumswohnungen. Trotzdem soll das Projekt Erhaltungssatzung für die Schöneberger Insel erstmal zurückgestellt werden, während die beiden anderen Gebiete weiter untersucht werden sollen.
Problematisch ist auch der räumliche Zuschnitts des Gebietes Dennewitzplatz /Kaiser-Wilhelm-Platz. Schon der Name „Dennewitzplatz /Kaiser-Wilhelm-Platz“ ist ein Indiz dafür, dass dies wohl ursprünglich anders gedacht war. De facto soll das Gebiet mit Erhaltungssatzung im Norden am Straßenzug Yorckstraße/Goebenstraße enden. Der namensgebende Dennewitzplatz liegt also knapp außerhalb nördlich des Gebietes.
Warum wurde das Gebiet nicht ausgedehnt bis zur Kurfürstenstraße im Norden?
Die Studie gibt hier zwei Antworten. Die erste Antwort lautet, dass südlich der Yorck- und Goebenstraße eher nach den Prinzipien der „behutsamen Stadterneuerung“ saniert worden sei. Im nördlichen Bereich seien dagegen immer noch die Folgen der Kahlschlagsanierung mit Abrissen und Neubauten sichtbar. Deswegen wird das Gebiet dort als nicht so interessant für Investoren eingeschätzt.
Der Zweite Grund sei der, dass im nördlichen Bereich die Eigentümer überwiegend städtische Wohnungsbaugesellschaften seien.
Trifft das wirklich zu? Gerade im Bülowbogen und an der Dennewitzstraße sind schon etliche Häuser nicht mehr im Besitz der Neuen Heimat (NH), später WIR, jetzt GEWOBAG. Das skandalöse Urteil im letzten Jahr, als eine Familie mit vier Kindern die Räumungsklage verlor, weil sie nach der x-ten Mieterhöhung nicht mehr in der Lage war, die Differenz zwischen der vom Jobcenter finanzierten und der realen Miete zu bezahlen, ereignete sich sich in Steinmetzstraße (nördlich der Goebenstraße), in einem Haus, das früher auch mal einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft gehört hatte. Die Gebäude an der Ecke Neue Kulmer Str. /Alvenslebenstraße gehören nach mehreren Eigentümerwechseln nun einer Firma TARSAP, die auf ihrer Internetseite mit einigen Beispielen zeigt, dass nicht nur gründerzeitliche Gebäude für das Geschäft mit der Umwandlung in Eigentumswohnungen interessant sind.
Eventuel sind dies Informationen, die den Autoren der ASUM-Studie nicht zugänglich waren. Nicht berücksichtigt wurde auch, dass in das frühere Sanierungsgebiet Bülowstraße von den 70ern bis in die 80er und 90er Jahre riesige Mengen an öffentlichen Mitteln in die Sanierung der Gebäude geflossen sind. Seit Ende der 90er Jahre waren es dann Gelder über das Quartiersmanagement für die soziale Infrastruktur.
Und die Nähe zum neuen Gleisdreieck-Park wird in der Studie viel zu wenig berücksichtigt – obwohl bei Neuvermietungen die Nähe zum Park sich natürlich in höheren Mietpreisen widerspiegelt. Lediglich von den Neubauten am Rande des Parks erwarten die Autoren der Studie einen starken Aufwertungsdruck. So heißt es auf Seite 39 der Studie:
Im Südosten an der Bautzener Straße sowie im Nordosten des Gebietes neben dem neu gestalteten Park am Gleisdreieck sind neue Wohnquartiere geplant. Wohnungsneubau findet derzeit ausschließlich im höher- und hochpreisigen Wohnungsmarktsegment statt mit einem hohen Anteil an Eigentumswohnungen. Es ist zu erwarten, dass diese Bauareale einen Aufwertungsdruck auf angrenzende Wohnquartiere ausüben und damit soziale Verdrängungsprozesse auslösen bzw. verstärken können.
Materialien
- Milieuschutz-TS, Begründung, Kriterien, Drucksache 0454/XIX
- ASUM Abschlussbericht_Tempelhof/Schöneberg 2013
- Karte Verdachtsgebiete THSB