In diesen Tagen wird die Stützmauer des ehemaligen Potsdamer Güterbahnhofs zur Flottwellstraße abgerissen. Der Abriss markiert das Ende einer Geschichte, die 1837 begann mit der ersten Eisenbahn in Preußen, die Berlin mit Potsdam verband. Anfangs fuhr die Bahn hier durch Wiesen vor den Toren der Stadt. Der Übergang über den Landwehrgraben wurde mit Drehbrücken bewerkstelligt zum nördlich des Grabens am Potsdamer Platz liegenden Personenbahnhof. Nach dem Ausbau des Landwehrgrabens zum Landwehrkanal wurden diese ersetzt durch größere Drehbrücken. Die Konflikte mit dem zunehmenden Schiffsverkehr führten nach 1871 dazu, dass das gesamte Gelände um ein Stufe höher gelegt und die Drehbrücken durch feste Brücken ersetzt wurden.
Nun wird dieses aufgeschüttete Plateau und die dazugehörige Stützmauer weggebaggert für ein umstrittenes Immobilienprojekt. Gebaut werden Blöcke in altherrenhafter, kitschiger Architektur mit Eigentumswohnungen für 3000.- bis 6000.- €/m². Gegen die aktuelle Wohnungsnot ist damit nichts auszurichten. Aber den neu eröffneten Westpark des Gleisdreiecks machen die neuen Blöcke zu einem schmalen Handtuch, das am Nachmittag schon bald im ihrem Schatten liegen wird. Die Blicke vom Park Richtung Potsdamer Platz werden beschränkt auf einen kleinen Ausschnitt. Die denkmalgeschützte Hochbahn der Linie 1, die das alte Bahngelände in Ost-West-Richtung quert, wird nur noch teilweise sichtbar sein. Die Frischluftschneise zwischen Tiergarten und südlichem Stadtrand, die die Umweltgutachter vom Potsdamer und Leipziger Platz unbedingt erhalten wollten, wird auf einen schmalen Korridor reduziert.
Wie kam es dazu?
1998, im Normenkontrollverfahren gegen die Bebauungspläne Potsdamer und Leipziger Platz erklärte das Land Berlin vor dem Verwaltungsgericht, dass hier die notwendigen ökologischen Ausgleichsflächen für den Potsdamer und Leipziger Platz geplant seien und dass man deswegen eine Flächennutzungsplanänderung vorbereitet habe, in der die Fläche als Grün dargestellt werde. Der neue Flächennutzungsplan wurde im gleichen Jahr beschlossen und gilt bis heute.
Dort wo als heute gebaut wird, sagt der Flächennutzungsplan: Grün. Die Bebauungspläne basieren also auf einem Rechtsbruch! Denn Bebauungspläne müssen laut Baugesetzbuch übereinstimmen mit den Inhalten des Flächennutzungsplans.
Bezirk und Senat argumentieren mit der „Unschärfe“ des Plans, in diese Unschärfe lasse sich die Bebauung hinein interpretieren. Damit wird klargemacht: der Bürger kann sich nicht auf die öffentlichen Planwerke verlassen, denn die werden nach Gutsherrenart bei Bedarf einfach uminterpretiert.
Verlassen können sich jedoch offensichtlich Investoren wie Vivico und ihre Rechtsnachfolger auf die Verwaltungen, dass diese zu allen großen und kleinen Schandtaten bereit sind. Wie beim Abschluss des städtebaulichen Vertrages im Jahr 2005, als das Land Berlin vor der Vivico kapitulierte. Bauflächen gegen Park hieß der Deal, nachdem die Vivico zuvor jahrelang die Entwicklung am Gleisdreieck blockiert hatte. Oder zuletzt vor ein paar Monaten eine kleine Schandtat, als in einer Nacht-und Nebelaktion die Straßenbäume an der Flottwellstraße gefällt wurden.
Bitter, wie hier eine wichtige Spur aus dem Stadtgrundriss getilgt wird.
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