„Eine echte Bürgerbeteiligung statt ein Ende der Werkstattgespräche“, forderten in einer Resolution neun Initiativen und Mitglieder der beiden Quartiersräte Schöneberger Norden und Tiergarten Süd auf dem letzten von vier Werkstattgesprächen am 18. 11. 2010 im Rathaus Schöneberg. Nach ihrer Auffassung soll mit den Werkstattgesprächen die Bürgerbeteiligung nicht einfach als erledigt abgehackt werden. In der Resolution, die von Matthias Seidensticker (Anwohnerinitiative St. Matthäus Kiez) vorgetragen wurde, heißt es, dass die sogenannten Werkstattgespräche lediglich als Auftakt für eine echte Bürgerbeteiligung gesehen werden, die in institutionaler Form fortgesetzt werden müsse. Hier die Resolution im Wortlaut.
ECHTE BÜRGERBETEILIGUNG STATT ENDE DER „WERKSTATTGESPRÄCHE“
- Als VertreterInnen der unten aufgeführten Initiativen, Institutionen und Gruppen stellen wir fest, dass die sogenannten “Werkstattgespräche” nicht einseitig für “beendet” erklärt werden können.
- Diese können bestenfalls als Auftakt für eine echte Bürgerbeteiligung dienen, die in einer institutionalisierten Form und ergebnisoffen fortgesetzt werden muss.
- Wir fordern den Bezirk Tempelhof-Schöneberg, namentlich Baustadtrat Bernd Krömer, und die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, namentlich Senatorin Ingeborg Junge-Reyer, auf, den Fortgang der Bürgerbeteiligung zu bestätigen und dabei die folgenden Modalitäten zeitnah und nachprüfbar zu garantieren:
- Transparenz aller Entscheidungen und Entscheidungsfindungen
- Offenlegung von alternativen Planungen und deren Begründungen
- Einsetzung eines allseitig akzeptierten, professionellen Moderationsteams
- Abstimmung der zeitnah erstellten und zugesendeten Protokolle mit allen
- Beteiligten.
Wir bitten um eine kurzfristige Terminzusage für ein Gespräch.
Berlin-Schöneberg, den 18.11.2010
AG Gleisdreieck e.V.
AIF Bautzener Straße
AK Stadtnaturschutz (BUND)
Anwohnerinitiative St. Matthäus Kiez
Bäume am Landwehrkanal e.V.
BI Bäume für Kreuzberg
BI Eylauer Str. im Viktoriakiez
BI Nelly-Sachs-Park
Kleingartenkolonie Potsdamer Güterbahnhof (POG)
Mitglieder des Quartiersrates Magdeburger Platz
Mitglieder des Quartiersrates Schöneberger Norden
Schluss mit dem Diskutieren, 100% Übereinstimmung gäbe es sowie nie, die Entwürfe seien durch die Werkstattgespräche positiv modifiziert worden, jetzt müsse endlich gebaut werden, sonst würden Gelder verfallen. So etwa lautete die Antwort von Baustadtrat Krömer auf die Forderung nach einer echten Bürgerbeteiligung. Lediglich eine weitere Infoveranstaltung könne er sich vorstellen.
Es gab tatsächlich einige positive Veränderungen der Entwürfe vor allem im Flaschenhals östlich der Fernbahnlinie, der vom Atelier Loidl bearbeitet wurde. Der parallel zur Yorckstraße verlaufende Weg wurde um fünf Meter nach Süden versetzt und in der Breite etwas reduziert, um die Bäume an der Kante zur Yorckstraße erhalten zu können. So wird man weiterhin aus dem Straßenraum der Yorckstraße den Eindruck der überbordenden Vegetation oberhalb der Schlucht haben. Die von der Yorckstraße nach Süden auf das Gelände hinaufführende Rampe wurde etwas verkürzt und so platziert, dass die Ruinen des alten Ringlokschuppen im Wald nicht angetastet werden. Auf der Fläche führen vier Wege nach Süden Richtung Monumentenbrücke, dazwischen finden sich Flächen, die je nach Alter der Vegetation „Stadtwald“ bzw. „Vorwald” genannt werden. Die offene Wiesenfläche, die im früheren Entwurfsstadium im nordwestlichen Bereich an der Yorckstraße vorgesehen war wird nach Süden verschoben. Auch das ist positiv, denn dadurch wurde die Anzahl der zu fällende Bäume stark reduziert. Die jetzt vorgesehen Fällungen sind begründet durch die Altlastensanierung der ehemaligen Fettanstalt an der Yorckstraße (34 Bäume), durch den Bau der Wege (30 Bäume) und durch die Sicherungen von Ruinen (ca. 8 Bäume). 370 Bäume mit einem Stammumfang von 60 cm bleiben erhalten.
Offen blieb im Entwurf der Eingang am Stadtbalkon an der Kreuzbergstraße, von dem eine Treppe hinunter auf das Gelände führen sollte. Hier eine behindertengerechte Lösung zu finden ist sehr schwer, die Verwaltung tendiert dazu lieber gar keinen Eingang zu bauen. Aus Sicht der Anwohner auf der Kreuzberger Seite sicher ein großer Verlust. Ohne Eingangsfunktion wird der Stadtbalkon, hinter der Jettankstelle und Lidl gelegen, weiter in einem so verwahrlosten Zustand bleiben wie zur Zeit.
Große, ungelöste Probleme gibt es nach wie vor an der Monumentenbrücke. Schon im Eingangsvortrag am 18. 11. 2010 berichtete Herr Schwarz, dass das Stadtplanungsamt noch eine verkehrstechnische Untersuchung in Auftrag geben werde, um hier eine Lösung für den Fahrradverkehr zu finden. Nach den vorliegenden Planungen soll an der Monumentenbrücke der überregionale Fahrradweg von Kopenhagen nach Leipzig von Norden aus dem Gleisdreieck ankommen und muss dann hier 6 m auf die Monumentenbrücke hinauf, um auf die Westseite der Bahn zu wechseln. Dort müssen die Radler dann wieder 6 m hinunter. Konkret sieht das so aus: der von Norden kommende Weg biegt unter der Monumentenbücke 90 Grad nach links ab, überquert die Gleise des Deutschen Technikmuseums, biegt dann wieder kurz vor dem östlichen Auflager der Brücke wieder um 90 Grad nach Süden ab und führt dann auf einer Spaghettilinie zu einer Rampe, die mit einer 180 Grad Wendung auf halber Höhe zur Monumentenstraße hochführt. Aus Sicht der Fahrradfahrer ist das eine absolute Schikane, schade dass keiner von der Fahrradlobby auf der Veranstaltung war. Die Rampe selbst ist ein monsterhaft großes, teures Bauwerk, für das etliche alte Bäume geopfert werden müssten.
Ebenso problematisch sieht es auf der Westseite des Flaschenhalses aus, entlang der Bautzener Straße bis zur Großgörschenstraße und im Bereich zwischen Monumentenbrücke und Kolonnenbrücke.
Nördlich und südlich des westlichen Auflagers der Monumentenbrücke sollen Treppen und große Rampenbauwerke mit Verteilerpodesten auf halber Höhe in der Bahnböschung nach unten führen. Auf dem Plan sind diese Rampen das bestimmende Element, man hat den Eindruck, dass vor lauter Rampen kaum noch etwas vom Grünzug übrig bleibt.
Die Böschungen auf der Westseite des Flaschenhalses sind zur Zeit sehr zugewachsen mit vielen Bäumen. Die Architektin vom Büro Thomanek Duquenoy wies daraufhin, dass in den steilen Böschungen auch „Böschungssicherungsmaßnahmen“ notwendig werden können. Das bedeutet, dass beim Bau dieser Treppen und Rampen wahrscheinlich ein Großteil der vorhandenen Vegetation verloren gehen wird.
Es gibt reihenweise ungelöste Fragen – teilweise enthalten die Pläne sogar noch „unabgestimmte Ideen“, wie die Vertreterin des Planungsbüros Thomanek Duquenoy sagte. Trotzdem will Baustadtrat Krömer einfach mal loslegen mit Bauen. Angeblich verfallen sonst Gelder aus dem Programm Stadtumbau West und die Europagelder für den Fahrradweg, der wahrscheinlich hauptsächlich aus finanzierungstechnischen Gründen den Titel „Kopenhagen – Leipzig“ trägt. Hauptsache das Geld wird ausgegeben. Schilda lässt grüßen.
Was könnte eine weitergehende Bürgerbeteiligung bringen?
Anwohner kennen sich vor Ort meist besser aus als die Planer und die Verwaltung. Anwohner sind emotional bei der Sache, motiviert und phantasievoll bei der Suche nach Lösungen, die die Vegetation schonen. Ohne engagierte Anwohner hätte es das Projekt Nord-Süd-Grünzug nie gegeben. Es waren die Bürgerinitiativen – allen voran die BI Westtangente – , die als erste die Schönheit der Bahnwildnis erkannten und im Kampf gegen die von Politik und Verwaltung beschlossene Autobahn „Grüntangente statt Westtangente“ forderten. In dieser Tradition sollten die vorhandenen Planungen weiterentwickelt werden. Es gibt sicher eine bessere Lösung für den Europafahrradweg, zusammen mit den Planungen im Yorckdreieck und im nördlichen Bereich der Bautzener Straße. Es gibt schonendere, kostengünstigere Lösungen für die Zugänge an der Monumentenbrücke. Und es gibt sicher auch eine Lösung für den Stadtbalkon auf Höhe des Bautzener Platzes, der von den einen wegen des drohenden Kahlschlags abgelehnt wird, aber von anderen als neue städtebauliche Qualität gelobt wird. Der Bautzener Platz würde so auf der Ostseite erweitert. Nicht nur die Anwohner, die ab dem 1. Obergeschoss über die Bäume hinwegschauen können, sondern auch die Fußgänger in der Bautzener Straße würden so einen Einblick in das Tal mit Bahnanlagen und Grünzügen bekommen.
Beim Mauerpark gibt es kontinuierlich arbeitende Bürgerwerkstätten, beim Gleisdreieck die projektbegleitende Arbeitsgruppe, in der Anwohnervertreter, Bezirk, Senat, Grün Berlin und die Architekten mit Unterstützung einer externen Moderation zusammenarbeiten. Mit all den positiven und negativen Erfahrungen, die dabei gemacht wurden, sind diese Bürbergbeteiligungen unverzichtbar für diese Parks geworden.
Ein solch institutionalisierte Bürgerbeteiligung wird auch für den Nord-Süd-Grünzug gebraucht, es sei denn, die Pläne wären perfekt und würden auf allen Seiten auf Zustimmung stoßen, was jedoch offensichtlich nicht der Fall ist. Die Zeiten, in der solche Projekte ohne Bürgerbeteiligung durchgezogen werden konnten, in denen einfach mal mit Steuergeldern drauf los gebaut wird, sollten auch in Tempelhof-Schöneberg vorbei sein.
Die Resolution zum Werkstattgespräch am 18. 11. 2010 als PDF-Dokument