„Man kann einen Menschen mit einer Wohnung erschlagen wie mit einer Axt.“ Das Stadtplanungsamt Tempelhof-Schöneberg schickt sich an, das alte Zille-Zitat zu aktualisieren. Nur: statt einer Wohnung nimmt das Stadtplanungsamt gleich einen ganzen Häuserblock, mit dem es im Rücken der Eylauerstraße zur Bahn hin eine „attraktive städtebauliche Kante“ herstellen möchte. Die vorhandenen, zur Bahn hin offenen Höfe der alten Bebauung würden damit von Licht, Luft, Sonne und Ausblick abgeschnitten und quasi eingemauert in gründerzeitliche Höfe wie eben zu Zilles Zeiten. Glücklicherweise hat sich vor Ort eine aktive Bürgerinitiative – BI Eylauer Straße im Viktoriakiez – gebildet, die auf ihrer Website sehr kompetent Einwände gegen den Bebauungsplan dokumentiert und zur Zeit dabei ist, Unterschriften gegen das Vorhaben zu sammeln.
Die Planung im einzelnen
Wer historische Pläne von Berlin ansieht, etwa vom Anfang des 19. Jahrhunderts, entdeckt westlich vom Kreuzberg, dem späteren Viktoriapark, eine Vertiefung, ein Loch, das wahrscheinlich als Sandgrube genutzt wurde. Die Anhalter Bahn, die ab 1836 entstand und die dann im Bereich südlich der Großgörschenstraße in das ansteigende Gelände eingegraben wurde, um mit sanfter Steigung bis etwa zum heutigen Bahnhof Südkreuz das Niveau der Teltower Platte zu erlangen, nutzte diese Vertiefung für den Bau von Wartungsanlagen. Die heutigen Hallen mit Bahnanschluss, die vom Deutschen Technikmuseum als Depot genutzt werden, sind ein Erbe aus der Eisenbahnzeit. Seit den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts sind die Hallen auch von der Straße aus erschlossen. Die alte Straße, wunderbar gepflastert, von großen Bäumen gesäumt, führt von der Monumentenstraße hinunter. Regelmäßig verkehren hier historische BVG-Busse und bringen das Publikum vom Hauptsitz des Technikmuseum zu den Depots, die mit alten Autos, Bussen und LKWs vollgestopft sind.
An der Kolonnenstraße ragt seit 2006 eine Betonplatte auf rund 100 m Länge 60 m tief in das Gelände hinein. Auf der Betonplatte befindet sich eine Filiale von Lidl mit dazugehörigen Parkplatz. Der Vorschlag des Stadtplanungsamt lautet, nun auch am östlich Rand der Fläche, also im Rücken der Bebauung an der Eylauer, die etwa sieben Meter tiefer liegende Fläche mit einer Betonplatte zu verschließen.
Die Ausmaße der neuen Betonplatte sind gigantisch: rund 280 m lang und bis zu 50 m tief. Unter dieser Betonplatte verschwindet die alte Zufahrtsstraße und fast die gesamte, in Jahrzehnten gewachsene Vegetation mit zahlreichen Bäumen. In dem Raum unterhalb des Betonplatte sollen Gewerberäume entstehen.
Oben auf der Betonplatte soll über die gesamte Länge ein zwischen 13 und 15 m tiefer Riegel entstehen, der an die Häuser Kolonnenstraße 78 und und Monumentenstraße 16 anschließen und eine Traufhöhe von 22 m oberhalb des neuen Betonsockel haben soll. Der Begriff „attraktive städtebauliche Kante“ wird mehrfach in der schriftlichen Begründung des Amtes verwendet. Der Blick in die offene Rückseite der gründerzeitlichen Blöcke mit den Quergebäuden und Seitenflügeln – eigentlich typisch für Berlin und ein Segen für Hinterhausbewohner – das ist für das Stadtplanungsamt offensichtlich ein so unerträglicher Blick, dass es gar nicht weiter versucht zu begründen, warum das zugebaut werden soll. Das Thema ist dem Amt so wichtig, dass sie dafür sogar bereit sind, dem Investor ein Überschreiten des Maßes der zulässigen Nutzung um fast das Doppelte zu genehmigen. Statt der zulässigen GFZ von 1,2 sollen hier eine GFZ von 2,17 realisiert werden. Wie die Zahl von 2,17 zustandekommt, also wieviel davon auf den riesigen Betonsockel entfällt, und wieviel auf die Riegelbebauung, ist im Text zum Bebauungsplanentwurf leider nicht nachvollziehbar dargestellt.
Der neue Riegel soll von der Monumentenstraße erschlossen werden mit einer neuen Straße, die westlich der vorhandenen Straße liegen soll. Für die Erschließung der Museumshallen ist die Straße eigentlich zu schmal. Für Fußgänger soll es zur Kolonnenstraße eine schmale Verbindung geben. Zwischen der neuen Betonplatte am östlichen Rand und der Betonplatte von Lidl ist eine Treppenanlage vorgesehen.
Die Überschreitung der eigentlich zulässigen GFZ wird angeblich kompensiert durch die Anlage einer öffentlichen Grünanlage. Auch der Anteil der Versiegelung an der gesamten Fläche soll durch diese neue Grünanlage angeblich von 73% auf 63 % der gesamten Grundstücksfläche sinken. Wahrscheinlich hat das Amt einen großen Teil des Bestandes als versiegelt bewertet, um zu dieser Behauptung zu kommen. Wer sich anschaut, wieviel Vegetation durch die Betonplatte und die neue Erschließung verschwindet, wird zweifeln an diesen Zahlen des Stadtplanungsamtes.
Die neue Grünfläche in der Nord-West-Ecke des Grundstücks soll aber auch noch eine große Rampe und eine Treppenanlage aufnehmen. Der überregionale Fahrradweg, der von Norden vom Gleisdreieck kommend unter der Monumentenbrücke hindurchführt, soll auf eben dieser Rampe in einer großen Spitzkehre auf die 6 m höher liegende Monumentenbrücke führen, denn die Fortsetzung des Fahrradwegs soll südlich der Monumentenbrücke auf der Westseite des Bahngeländes stattfinden. Der Fahrradweg ist etwa 6 m breit und natürlich asphaltiert, was den textlichen Festsetzungen im B-Planentwurf widerspricht. Auch bei den Berechnungen zur Versiegelung ist dieser Fakt sicher ignoriert worden. Eine Überlagerung der vom Atelier Loidl im April diesen Jahres im Rathaus Schöneberg vorgestellten Planung mit den Unterlagen des Bebauungsplanentwurfs zeigt, dass ca. die Hälfte der neuen Grünfläche aufgrund der verkehrlichen Nutzung versiegelt sein wird. Er zeigt auch, dass die große Fahrradrampe und die neue Erschließungsstraße sich teilweise überlagern. Man fragt sich, ob das so gewollt ist oder einfach nur schlampige Planung?
Die gesamte Planung läuft nicht nur gegen die Interessen der Bewohner vor Ort, sie widerspricht auch überörtlichen Planungen. Der Flächennutzungsplan sieht vor, dass sich östlich der Bahn am Rande des Geländes ein Streifen Grün bis zur Kolonnenstraße entwickeln soll. Im offiziellen Text zum B-Plan-Entwurf ist zwar noch die Rede von der klimatischen Bedeutung der Bahnfläche als Belüftungsschneise. Der Grünstreifen aus dem Flächennutzungsplan ist aber im Bebauungsplanentwurf nicht mehr zu sehen. Und es klingt voll hohl, wenn in den textlichen Festsetzungen des B-Blans die Rede ist von der Gestaltung der Wege: „ . . . Betonunterbau, Fugenverguss, Asphaltierung und Betonierungen sind verboten . . . „ bei der Anlage von Wegen. Während doch gleichzeitig ein Großteil des Grundstücks zubetoniert werden soll !
Weitere Infos:
- BI Eylauer Straße im Viktoriakiez
- Stadtplanungsamt Tempelhof-Schönberg, Link zum Entwurf für B-Plan 7.1. Text und Plan
Nachtrag 3. 11. 2010
Der Betonriegel, Kreuzberger Chronik Oktober 2010