Im August 2011 sprach sich die BVV Tempelhof-Schöneberg auf Antrag der CDU gegen den geplanten Stadtbalkon auf Höhe des Bautzener Platzes aus. Nun ein dreiviertel Jahr später spricht sich die BVV auf Antrag der Grünen für eine kleine Lösung aus. Statt des Stadtbalkons, einer breiten Öffnung in der dicht bewachsenen Böschung von der Bautzener Straße zum Bahngelände, soll es nun eine 3,6 m schmale Treppe geben, die Vegetation links und rechts der Treppe soll geschont, bzw. nach dem Bau wiederhergestellt werden.
Beide Anträge beziehen sich auf das Votum von Anwohner. Im Antrag der CDU vom 31. 08. 11 hieß es
Stellungnahmen von diversen Seiten und Gespräche vor Ort mit der Anwohnerschaft haben ergeben, dass das sog. Stadtfenster von den Anwohner/innen, für die dieser in erster Linie einen Effekt gehabt hätte, überwiegend abgelehnt wird.
Im Antrag der Grünen vom 25. 04. 12 heißt es
Bei einer spontanen Befragung vom 15.4.2012 haben sich 52 von 54 Anwohner/innen für den Bau einer solchen Treppe ausgesprochen.
Beide Anträge machen sich zum Fürsprecher der Anwohner. Aber wer hat nun recht? Der Landwehrkanal-Blog scheint es zu wissen und stellt dazu diverse Verschwörungstheorien auf. Bei der Umfrage, auf die sich der Antrag der Grünen stützte, seien die Alternativen absichtlich unterschlagen worden. Aber wirklich weiß es auch der Landwehrkanal-Blog nicht.
Richtig ist, dass es zu dieser Frage unter den Anwohnern unterschiedliche Meinung gab. Die einen, wie der Autor dieser Zeilen, hielten einen Zugang am Bautzener Platz und ein Blickfenster von der Bautzener hinunter ins Bahngelände für sinnvoll, für die anderen stand der Erhalt der grünen Böschung im Vordergrund. Und die Befürchtung, Grün Berlin wolle den Bau des Stadtbalkons nutzen für einen großen Kahlschlag, war sicher sehr berechtigt.
Nur: ist es ok, dass die sich durchsetzen, die gerade den besseren Draht zu BVV-Abgeordneten haben? Damit die repräsentative Demokratie das dann aus der Vogelperspektive entscheidet?
Wie gesagt, beide sich widersprechende Anträge von CDU und Grünen argumentierten ausdrücklich mit den Wünschen der Anwohnerschaft und geben damit zu erkennen, dass sie ohne das Votum von unten, also ohne partizipative Demokratie nicht gewagt hätten, so zu entscheiden.
Das Dilemma ist, dass es im Vorfeld der Planung keine echte Partizipation gegeben hat. Die sogenannten Werkstattgespräche des Bezirks zur Schöneberger Schleife in den Jahren 2010 und 2011 waren reine Infoveranstaltungen. Der Bezirk Tempelhof-Schöneberg ging mit einer aus seinen Augen fertigen Planung in die Öffentlichkeit. Nie wurden dort mögliche Alternativen dargestellt, nie hatten Anwohner dort die die Möglichkeit, wirklich substantiell mitzureden. So gab von Anfang an keine gemeinsame Meinungsbildung von Planern, Anwohnern und Interessierten. Deswegen blieben bis zum Ende viele Fragen – nicht nur der Stadtbalkon – ohne allgemein akzeptierte Lösung.
Der durch BVV-Beschluss im August 2011 erzwungene Verzicht auf den Stadtbalkon war dann einer der wenigen Punkte, an dem die offizielle Planung modifiziert werden musste. Ein Lösung war das nicht – genauso wenig wie der jetzt erfolgreiche Antrag der Grünen. Es gibt nichts Richtiges im Falschen.
Materialien
- Lageplan Grünzug Bautzenerstrasse des Büros TDB vom 19. 12.2011
- Landwehrkanalblog: Was ist bloß mit den Grünen los?