Infoveranstaltung Bauvorhaben Eylauer Straße

„Keine Wertigkeit für die lokale Population”

Dieser Satz stand für die Zusammenfassung des faunistischen Gutachtens zur Baufläche an der Eylauer Straße auf der Infoveranstaltung des Bezirksamtes Tempelhof-Schöneberg am Dienstag, den 21. 2. 2012. Gemeint waren damit die Kohlmeisen, Gartenbaumläufer, Haussperlinge und Hausrotschwänze, deren Nester der Gutachter auf dem Grundstück gefunden hatte – und die in Zukunft woanders nisten sollen. Der Satz könnte auch stehen für die Behandlung der Anwohner, deren Interessen ähnlich denen der Piepmätze den Planern offensichtlich nicht besonders am Herzen lagen.

Der Saal in der Robert-Blum-Schule war gut besucht. Bevor die Anwohner ihre Kritik am Bauvorhaben äußern konnten, galt es erstmal langatmige Vorreden zu überstehen – über die Geschichte des Ortes seit dem II. Weltkrieg, das allgemeine Eisenbahnrecht, die diversen B’Planentwürfe seit 2001, die willkürliche Einordnung des seit 150 Jahren unbebauten Geländes als bebaubarer Innenbereich nach §34 Baugesetzbuch usw.

Nach diesem Paragrafen §34 wurden nun Baugenehmigungen für die beiden Eckgrundstücke an der Kolonnen- und an der Monumentenstraße erteilt. Die Darstellung des Entwurfs durch die Architekten von RobertNeun und Atelier Loidl zeigten, dass diese Genehmigungen nur ein Zwischenschritt sein sollen auf dem Weg zur kompletten Bebauung mit einem 300 m langen Riegel.

Einladungsplakat der BI Eylauer Straße/Viktoriakiez
Einladungsplakat der BI Eylauer Straße/Viktoriakiez

Die seit dem letzten Jahr erfolgte Modifikation an der Planung des Riegels ist dabei nur minimal: in der Mitte des Riegels werden die obersten Geschosse etwas abgetreppt, außerdem sollen drei ca. 20 x 20 m große Öffnungen für Frischluft im Blockinneren sorgen – und die Hofeingangstüren der alten Bebauung sollen offengehalten werden, damit es Durchzug bis in den Straßenraum der Eylauer Straße östlich gibt.

Die Kritik der Anwohner, die emotional betroffen teilweise mit den Tränen kämpften, ging ins Leere: die vielen Ungereimtheiten in den Verkehrs- und Naturschutzgutachten, Fragen nach der GFZ wurden mehr oder weniger souverän abgeschmettert. Der Verkehrsgutachter kannte noch nicht einmal die neue Verkehrsregelung der Eylauer Straße, der Naturschutzfachmann hatte keine Fledermäuse wahrgenommen, die Verwaltung mußte erstmal bei den Architekten nachfragen, als es um die GFZ, das Maß für die bauliche Ausnutzung ging, die hier 1,95 betragen soll.

„Das Stadtplanungsamt – eine Gelddruckmaschine”

war darauf die bitterste Antwort eines Anwohners. Die Fragen nach der Rechtmäßigkeit der Planungen blieben im Raum stehen – unbeantwortet. Warum überhaupt ein Bebauungsplanverfahren, wenn die Verwaltung sowie so alles vorab mit dem Investor aushandelt und die Anwohner damit vor vollendete Tatsachen stellt?

In der Tat: die im Baugesetzbuch vorgesehene Bürgerbeteiligung wird hier zur Farce, wenn das Vorhaben in der vorgestellten Form von der Verwaltung und der Baustadträtin als alternativlos hingestellt wird. Ist das Sinn und Zweck eines Bebauungsplanverfahrens, indem die unterschiedlichen Interessen gerecht gegeneinander abgewogen werden sollen? Wie soll das gehen, wenn die grundlegenden Inhalte der Planung im Sinne der „Gelddruckmaschine” schon vorab normativ festgelegt und durch Baugenehmigungen für Teilbereiche zementiert werden?

Warum wurden nie Alternativen zu dieser Planung untersucht und vorgestellt? Die Anwohner sind nicht grundsätzlich gegen eine Bebauung. Aber sie haben Interessen, die ernst genommen werden sollten. Warum wurden keine Bebauungsvarianten untersucht, die den Anwohnern die Blicke nach Westen lassen, die mit weniger Naturzerstörung auskommen, die mehr historische Spuren bewahren? Städtebau und Architektur sind keine objektiven Wissenschaften. In Städtebau und Architektur sind immer unterschiedliche Lösungen möglich. In einem demokratischen Bebauungsplanverfahren hätten mehrere alternative Lösungen erarbeitet und präsentiert werden müssen. Eben auch Lösungen, die die Interessen der Anwohner berücksichtigen genauso wie den Natur- und Klimaschutz und die Notwendigkeit, neuen Wohnraum in der Innenstadt zu schaffen. Offensichtlich hat die Verwaltung hier Denkverbote ausgesprochen und sich entschieden, das Vorhaben notfalls auch gegen die Menschen vor Ort durchzusetzen. Die Abgeordneten der BVV sollen letztlich über den Bebauungsplan entscheiden – ohne Kenntnis möglicher Alternativen. Und es ist zu berfürchten, dass vor der politischen Entscheidung vor Ort schon Fakten geschaffen werden – mit Motorsägen und Planierraupen.

In der Vergangenheit sei nicht alles korrekt gelaufen an der Eylauer Straße, sie sei aber erst seit Ende letzten Jahres im Amt, sagte zum Schluß der Veranstaltung Baustadträtin Dr. Sybill Klotz. Bei neuen Projekten, z. B. am Wilmersdorfer Güterbahnhof, soll dann aber alles besser werden. Im Klartext: die Planungen an der Eylauer Straße sind durch die Verwaltung in der Vergangenheit undemokratisch und rechtlich zweifelhaft gesteuert worden. Die Politik fühlt sich aber zu schwach, hier einzugreifen.

Frühere Artikel zur Eylauer Straße

7 Kommentare zu “„Keine Wertigkeit für die lokale Population”

  1. @Heinz Jirout
    Was heißt hier geschmacklos, die Ganze Sache hat ein Geschmäckle, wenn Sie wissen was ich meine!
    Bestgen & Co haben hier heute mit der Kettensäge durchregiert, aber alles ganz legal…
    Wenn wir beim “… nun erst beginnende Bebauungplanverfahren…”mitmachen sollen, unsere knappe Lebenszeit darin investieren, WER garantiert uns das wir eine Antwort erhalten und das überhaupt Sinn macht!?
    entsprechende Grüsse an Ihre angepaßte Abnicker Fraktion!
    K. Gebhardt

  2. Danke für deine leider zutreffende Berichterstattung. Ich konnte die Veranstaltung nur noch zynischer verlassen, als ich dahin gegangen bin. Die lokale Population wird weiterhin um ihre Wertigkeit kämpfen.

  3. Lieber Matthias Bauer,
    bei aller journalistischer Freude über die sprachliche Steilvorlage aus dem faunistischen Gutachten, finde ich den Anfang des Artikels (Behandlung der Bevölkerung…) mehr als geschmacklos.

    Zugegeben: Die Planung für das ganze Gelände hätte die Verwaltung schon längst zur Diskussion stellen müssen und dabei auch alternative Bebauungen öffentlich prüfen lassen müssen. Auch wäre der Investor besser beraten gewesen, nicht mit Brechstange §34 Fakten zu schaffen, aber diese Beratung hat unter dem ehemaligen Stadtrat offenbar nicht stattgefunden.

    Ihnen muß aber auch bekannt sein, daß die Berliner Bauordnung für Projekte nach §34 extrem enge Fristen zur Genehmigung (nämlich 4 Wochen) setzt, nach denen sich diese Projekte dann quasi von selbst genehmigen.

    Ich halte gerade diese und andere extrem kurzen Verfahrenvorschriften für extrem undemokratisch. In diesem Zeiträumen ist ja nicht mal eine Benachrichtigung der Nachbarn, eine Beteiligung der Bürger schon garnicht möglich.
    Ich hätte mir lieber eine aufgelockerte Bebauung vorstellt, die bei ähnlicher Grundstücksausnutzung zu sicherlich interessanten, aber genauso unpopulären Hochhäusern geführt hätte.
    Und: Die Aussicht über den Bahngraben wäre auch so nicht zu garantieren. Trotzdem halte ich die Entwicklung von einem B-Plan als Gewerbegebiet zu dieser Wohnbebauung für sehr positiv.

    Ohne Frage hätte der Investor bei der Informationsveranstaltung Bebauungsvarianten vorstellen und seine Entscheidung für die aktuelle Planung erläutern müssen.
    Für das nun erst beginnende Bebauungplanverfahren hoffe ich, daß sich Anwohnerinnen und Anwohner und weiterhin engagiert und konstruktiv beteiligen.

    Heinz Jirout
    Bürgerdeputierter für B90/Grüne im Stadplanungsausschuß Tempelhof-Schöneberg
    heinz.jirout@gruene-ts.de

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