Wer in diesen Tagen eigenartige Transporte auf dem Gelände des Ostparks wahrnimmt oder Damen, die scheinbar verrostete Eisenbahnschienen polieren, wird Zeuge der Vorbereitung auf eine große Kunstausstellung, die am kommenden Freitag Abend, den 20. Juli in der Ladestraße des Anhalter Güterbahnhofs eröffnet werden wird. 18 Künstler aus der Schweiz und Deutschland werden dann 8 Wochen lang ihre Werke im Ostpark, dem ehemaligen Anhalter Güterbahnhof ausstellen. Auf unterschiedliche Weisen reflektieren die Künstler sowohl die jüngere Geschichte des Parks, als auch die weiter zurückliegende des Anhalter Güterbahnhofs.
Mit ihren Arbeiten knüpfen die Künstler an an das, was es auf dem Gleisdreieck gab, bevor es ein offizieller Park wurde – und das es heute nicht mehr gibt . Das Gleisdreieck war ein Freiraum, entstanden im politischen Vakuum zwischen Ost und West. Diesen Freiraum nutzten als erste die Pflanzen, dann die illegalen menschlichen Besucher, die hier experimentierten. Als Spaziergänger traf man auf oft auf Skulpturen aus vorgefundenen Gegenständen, auf Grafitti überall, wo die Farbe nur halbwegs hielt, auf Theatersessions im Wald oder Klangexperimente in der Kugel des Wasserturms, der heute auf dem Gelände des Technikmuseums steht. Bis 2007 dauert diese Ära. Eine der letzten Aktionen aus dieser Zeit war die Galerie der Wildkräuter von Alex Toland, von der noch ein paar Exponate in den interkulturellen Garten „Rosenduft” gerettet wurden.
Was früher jeder auf der Fläche machen konnte und manche eben auch taten, ist heute Privileg von Künstlern, die natürlich erstmal ein Konzept – ein Dossier – vorlegen mussten, das dann von diversen Verwaltungen, der Grün Berlin GmbH usw., genehmigt werden musste. Chapeau für diese Leistung!
Beim Lesen des Dossiers zur kommenden Ausstellung hatte ich den Eindruck, dass die Künstler mit viel Feingefühl das Besondere der aktuellen Situation des Parks ein Jahr nach seiner Fertigstellung aufspüren und reflektieren.
Tabula Rasa als Voraussetzung von Umgestaltungen und das Zurückgeworfensein des Betrachters auf die neu geschaffenen Tatsachen, die gespiegelt sich selbst begegnen und keine historische Schicht mehr freigeben.
heißt im Dossier über die Arbeit von Fred Fischer „Somewhere else”, oder
Denn das Berliner Biotop mit gewachsenen Strukturen und alternativen Nutzungen war von städtischer Verwaltung lange unberührt geblieben und erscheint nun als stadtplanerisch strukturierte, geglättete Grünfläche.
schreibt Ellen Kobe zu ihrer Arbeit „Flora am Gleisdreieck”.
Damit erfassen sie ziemlich genau das, was auf dem Gleisdreieck passiert ist. Wie die künstlerischen Arbeiten das dann verarbeiten, werden wir vor Ort sehen.
Die Ausstellung nennt sich „Gleisdreieck Berlin 2012 – Kunst im öffentlichen Raum”. Der Titel ist programmatisch. Früher war das Gleisdreieck eben nicht wirklich ein öffentlicher Raum, aber es war ein Freiraum. Schafft es die Ausstellung, ein Stück dieser Freiheit in den öffentlichen Raum zurückzubringen?
Als ich am vergangenen Wochenende zwei Frauen sah, die scheinbar Schienen polierten, hat mich das erstmal an die frühere Freiheit erinnert. Ich sprach sie an und erfuhr, dass sie an ihrem Ausstellungsprojekt arbeiteten.
Christine Berndt ist eine der wenigen, die ihre Arbeit direkt vor Ort herstellt. Was aus der Ferne wie Schienenpolieren aussah, war ein Kupferband, das Christine Berndt gemeinsam mit ihrer Kollegin auf die Schienen aufbrachte. Darauf platzierten sie Textfragmente von Hertha Müller, Rose Auslaender und Jakob von Hoddis. Die aus Frakturbuchstaben gebildeten Worte erinnern an den Abgrund der deutschen Geschichte und berichten, welche Funktion die Anhalter Bahn bei den Deportationen für den Holocaust erfüllte.
- Dossier zur Aussstellung Geisdreieck Berlin 2012, PDF-Dokument
- Presseeinladung Ausstellungsprojekt Gleisdreieck 2012 Kunst im öffentlichen Raum, PDF-Dokument