Der letzte Sommer?

Ponte Rosa soll Wohnungsbau weichen

Es gibt wohl kaum einen Ort am Bahngelände des Gleisdreiecks, der so lauschig, so natürlich eingebettet in die Landschaft seine Gäste empfängt wie das Ponte Rosa an der Monumentenbrücke (früher Floriansgarten genannt). Von der Kreuzbergstraße aus tritt man durch ein Tor in der Mauer ein in eine andere Welt. Zwischen ausgewachsenen Robinien, Linden und Kastanien führt ein Weg die steile Bahnböschung hinunter. Am unteren Ende des Wegs angekommen findet sich eine terrassierte Fläche, die mit Tischen und Bierbänken zum Verweilen einlädt, die bei schönen Wetter voll besetzt sind, so dass man leicht mit seinen Tischnachbarn in Kontakt kommt. Es gibt Getränke, Pizza und Salate. Wer hier keinen Platz findet, kann sich auch auf eine der kleineren Holzterrassen zurückziehen, die sich zwischen Bäumen am Abhang weiter oben befinden, oder noch eine Stufe tiefer am unteren Ende des Abhangs auf gleicher Höhe mit den benachbarten Gleisen des Technikmuseums sitzen. Das Ganze wird beschirmt von dem berühmten Bahnwildwuchs, im Abhang sind die Bäume 50 bis 60 Jahre alt. Weiter unten kommen Ahorne dazu, hier ist die Vegetation etwas jünger – ein kleines Paradies. Doch das Paradies ist in Gefahr.

Wenn es nach dem Willen des Grundstückseigentümers und des Bezirksamts Tempelhof-Schöneberg geht, wird es hier in Zukunft keinen Biergarten mehr geben. Dieser Sommer könnte der letzte sein. Im Bericht der Verwaltung, der am 14. 06. 2017 auf der Sitzung des Ausschuss für Stadtentwicklung präsentiert wurde, heißt es:

Wohnbebauung Kreuzbergstraße 42b (Bahnhang)
Ein mit dem Stadtentwicklungsamt abgestimmtes Wohnungsbauprojekt auf dem Grundstück Kreuzbergstraße 42B ist am 26.05.2017 vom Grundstückseigentümer als Bauantrag eingereicht worden. Das Bauvorhaben wird auf der Grundlage des § 34 BauGB planungsrechtlich beurteilt.

Was steckt hinter dem §34 Baugesetzbuch?

Absatz 1 des §34: Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. ²Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden.

Gedacht ist der Paragraph 34 § dafür, dass beispielsweise eine Baulücke bebaut werden kann, ohne ein aufwendiges Bebauungsplanverfahren durchführen zu müssen. Im Fall der Baulücke darf also eine Baugenehmigung erteilt werden, wenn sich das Bauvorhaben nach Art und Maß an der Nachbarschaft orientiert.

Befindet sich das Ponte Rosa in einer Baulücke? Liegt es in einem Zusammenhang bebauter Ortsteile, wie es das Gesetz formuliert? Offensichtlich nicht.

Der Biergarten liegt an einer Bahnböschung am Rand zu einem großen Bahngelände. Das Bahngelände des Flaschenhalses ist ein historisch entstandener Freiraum zwischen den gründerzeitlichen Bebauungen auf der Kreuzberger und der Schöneberger Seite. Auch wenn es hier einzelne Gebäude wie Stellwerke, Lokschuppen oder Unterkünfte für Bahnarbeiter gegeben hat, unterbricht das Bahngelände den baulichen Zusammenhang, in dem es die Ortsteile Kreuzberg und Schöneberg voneinander trennt. Es ist genau das, was im Baugesetzbuch im Paragraph 35 „Außenbereich“ genannt wird.
Und im Außenbereich darf nicht einfach so eine Baugenehmigung erteilt werden. Wenn im Außenbereich gebaut werden soll, müssen die politischen Gremien des Bezirks darüber entscheiden, muss ein Bebauungsplanverfahren durchgeführt werden mit Beteiligung der Öffentlichkeit, muss ökologischer Ausgleich geleistet werden.

All das möchte das Bezirksamt vermeiden. Deswegen die Einstufung nach § 34 als Innenbereich. Auf die kritische Nachfrage im Ausschuss, warum das Grundstück nicht als Außenbereich nach §35 einstuft wurde, antwortete der Leiter des Stadtentwicklungsamtes, durch die Bauten von Lidl, Aldi usw. (die auch schon nach §34 genehmigt wurden) sei schon ein Bebauungszusammenhang entstanden. Aus seiner Sicht beginne der Außenbereich erst am Fuße der Böschung.
Wie einfach! Mit einem Federstrich wird alles zum Innenbereich erklärt, was man platt machen möchte. Anschließend kann dann auf autokratische Weise die Baugenehmigung erteilt werden. Wahrscheinlich haben sie dem Bauherrn schon Zusagen gemacht. Wenn dann doch Kritik kommt, könnte es heißen, wir mussten das genehmigen, wir können die Baugenehmigung nicht mehr zurückziehen, sonst würde der Bezirk schadensersatzpflichtig . . .

Link zu Bildern von Ponte Rosa

20 Kommentare zu “Ponte Rosa soll Wohnungsbau weichen

  1. Da sollen also mit den gleichen fragwürdigen baurechtlichen Taschenspielertricks – §34 – die Voraussetzungen für ein Immobilienprojekt geschaffen werden wie 2012 beim “Lokdepot”. Damals gab es eine protestierende BI von Anwohner*innen, heftige öffentliche Kritik vom Kreuzberger Bürgermeister Schulz und vor allem fundierte schriftliche Einwände gegen die Anwendbarkeit von § 34, die das Bezirksamt so sehr aufschreckten (http://www.viktoriakiez.de/wp-content/uploads/2012/05/GU-BV-Am_Lokdepot_Eylauer_Endfassung.pdf), dass es ein Gegengutachten in Auftrag gab.
    Die Bezirkspolitiker*innen sollten endlich aufwachen und dem Bezirksamt auf die Finger schauen, damit §34 nicht als immobilienpolitisches Ermächtigungsgesetz für jede Art von Bauprojekt missbraucht wird.
    Für das Lokdepot wurden die Baugenehmigungen nach §34 für die Eckbauten an der Monumenten- und der Dudenstr. Ende 2011 still und heimlich ausgestellt, obwohl auch im Stadtplanungsausschuss damals noch heftige Debatten um Ausmaße und Auswirkungen des Projekts liefen. Nun steht die rostrote Betonmauer.

    Das Ponte Rosa ist derzeit der einzige nette Ort zum Ausgehen im ganzen Eylauer Kiez. Ich erinnere mich an großartige Abende mit Hunderten Besuchern während der Fußball-WM, als die Spiele auf der Großleinwand liefen.

  2. Als Frage und mögliche Argumentationshilfe. Gehörte das betroffene Gelände ehemals zu den Betriebsflächen der Bahn, die nach Aufgabe der Bahnnutzung “entwidmet” wurden? Oder handelt es sich einfach um Flächen, die an das Bahngelände angrenzen? Wenn das Gelände ehemals Teil der für die Bahnnutzung gewidmeten Fläche war, könnte man argumentieren, dass hier eine Arrondierung stattfindet, die so dem tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten widerspricht, weil eben deswegen schon zu Zeiten der bestehenden Widmung trotz möglichem Interesse keine Bebauung im baurechtlichen Sinne erfolgte.

  3. Initiales Treffen: Was ist am Ponte Rosa los?
    Do. 29.06., 19:30-21:00 Uhr, Kreuzbergstr. 42D, im Hof, c/o Cayla-Bocquillon
    Wir möchten uns über die Zukunft des Grundstücks am Bahnhang in der Kreuzbergstraße informieren und darüber mit anderen besorgten Nachbarn diskutieren. Ein Bierchen dabei kann nicht schaden.

    1. Hallo, auch wir vom Schöneberger Kiezpalaver (https://stopptdenkiezverkauf.wordpress.com/) sind an der Sache dran und interessiert, allerdings treffen wir uns schon heute ( 28. Juni ) um 19.30 Uhr direkt in der Ponte Rosa.

      Wäre ja prima, wenn wir die Kräfte bündeln könnten. Und vielleicht kann heute eine*r von euch spontan dazu kommen. Und wenn nicht, dann treten wir so bald wie möglich in Kontakt.

      Uns erreicht ihr zur Zeit am besten über unsere “Orga”-Liste schoenebergerkiez-orga@listen.netz-bb.de

      Herzliche Grüße fürs Kiezpalaver, Regine

        1. Hallo liebes Kiezpalaver, hallo Regine,

          Mist. Ich habe erst gerade eure Antwort auf dem gleisdreieck-blog.de entdeckt! Wir verpassen uns hoffentlich zum letzten Mal! Klar bündeln wir die Kräfte.

          Vielleicht hat jemand von euch Lust, Energie und Zeit heute abend zu uns (gegenüber der Ponte Rosa) zu kommen. Sollte das Wetter nicht mitspielen – wonach es aussieht :-(, beherbergen wir das Treffen: Kreuzbergstr. 42 D bei CAYLA-BOCQUILLON klingeln oder am Fenster klopfen.

  4. Ja,geht’s noch? Das hat uns grade noch gefehlt ein weiterer Dampfer voller schicker Eigentumswohungen, wie schräg gegenüber im Lokdepot.
    Da steht inzwischn ein Drittel leer, als Spekultationsobjekt und Geldanlage, ist ja grad der Wohungsmarkt in Berlin so entspannt.
    Mal sehen wer sich diesmal das goldene Näschen verdient, in der Bauverwaltung, beim Lokdepot waren es ja die Grünen.

      1. Die stehen nicht “leer”, die sind verkauft und der Eigentümer bewohnt sie halt nur zwei, drei Tage im Jahr und wartet drauf dass die Preise noch steigen, falls er das Geld wieder flüssig haben will. Ist eine altbekannte Strategie, kann keiner was machen, die Voraussetungen für eine “selbst kaum genutzte” Eigentumswohnung sind andere als für Mietshäuser…

        Man kann das überall da beobachten, wo Neubauwohnngen entstehen und als Eigentumswohnungen verkauft werden. Demnächst dann auch in der ehemaligen Ponte Rosa. Diese Eigentumswohnngsareale sind absolut unverträglich für Kieze, und fördern die Abwanderung und Verödung, denn das was die Käufer ganz bestimmt nicht haben wollen, ist irgendwas mit Geräuschentwicklung wie z B. abends Kneipen mit Aussenbereich, laute sportstääten, Einlausfsmöglichkeiten mit An- und Abfahrt vor ihren Fenstern …etc…

        Siehe Dennewitzstrasse / Westpark

        Ausserdem bitte ich inständig darum, Neuigleiten udn Aktivitäten zur Vernetzung rechtzeitig auch ausserhalb von “Gated Communities” im Internet anzukündigen: Nein ich bin nicht bei Fratzenbuch oder ähnliches und werde da auch nicht hingehen.
        Vielen Dank.

        1. Hallo Bel,

          hast du Nachweise dafür, dass ein Drittel der Wohnungen leer stehen? Und wenn ja, in welcher Form. Wäre für eine private Nachricht an getreidesilo@web.de dankbar. Ich bin Journalist und recherchiere derzeit für ein umfangreiches Projekt über Wohnungs-Neubau in Berlin.

          1. Hallo Jo, recherchierst Du auch in Richtung “Beteiligung des Senats” und ggf. persönlicher Interessen am Neubau? Die Einwohnerzahlen / Zahlen von Zuzügen und Zahlen zu angeblichem Wohnungsmangel kommen mir nach Recherchen vor wie Bedarfsreichnerei mit Taschenspielertricks. Demokratische Prozesse werden systematisch ausgehebelt und unterbunden. Ein Schelm, wer böses dabei denkt…

            Es ist schon “interessant”, was in Berlin und nun auch Schöneberg so geschieht. Ein weiteres Beispiel findet sich in der Kleiststrasse 162. Dort ist ein großes Bauvorhaben geplant. http://www.doerr-ludolf-wimmer.de/projekte-gewerbe-hst.html

            Ein Gutachten dazu liegt vor file:///Users/softeis/Downloads/biotopbewertung.pdf (ggf. Recherche nach Adresse / Gutchten / Baumschutz).

            Eine Bürgerbeteiligung fand, wenn überhaupt, nur im stillen Kämmerlein statt. Dann die Ãœberraschung: Kürzlich brannte es ganz zufällig in dem “Restaurant” der 162, zu dem ein Garten gehört, der selbstverständlich Teil des Bebauungsplans ist. Die Pläne erwecken übrigens den Eindruck, dass das Haus, in dem sich das “Restaurant” befand, abgerissen werden soll.

            Man wundert sich, was in Berlin möglich ist. Ganze Stadtviertel, selbst stabile und organisch gewachsene, werden komplett umgekrempelt und sind schon innerhalb kurzer Zeit nicht wieder zu erkennen.

    1. Sinnvoll wäre ein vorformulierter Text, den man nur noch an die Behörde abzuschicken braucht, sodass sich auch möglichst viele Leute daran beteiligen. Gibt es denn die Möglichkeit, über eine gewisse Mindestanzahl an Unterschriften die Prüfung mit öffentlicher Diskussion zu forcieren? Oder hängt das völlig vom Good Will der Behörde ab, ob sie den Protestlern Beachtung schenkt? Tendenziell geht natürlich auch immer, die Presse ins Boot zu holen.

  5. Die Ponte Rosa ist ein wundervoller Rückzugsraum für Freunde und Familien, immer voll, immer lebendig, eine unverwechselbare berlintypische Nische in einer etwas unwirtlichen und immer mehr verdichteten Umgebung. Wohnbebauung ist nicht alles, wenn dann die Bewohner keinen Ort mehr haben, wo sie hingehen können!

  6. Danke für die Veröffentlichung der Infos. Natürlich sollte hier eine öffentliche Debatte intensiv geführt werden. Zu einfach sollte es das Bezirksamt mit diesem Verfahrensstil nicht haben.

  7. die Irrfahrten des Stadtplanungsamtes Schöneberg Tempelhof gehen also weiter, sehr schade und traurig, aber d.h. das man es nicht einfach nur hinnehmen sollte! Das Thema sollte am Di. 20.6. im Rahmen der Veranstaltung “Architektur und Akzeptanz” – Der Gleisdreieckpark und seine Randbebauungen – angesprochen werden

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