Ökologische Verkehrswende

Neues Konzept für den Bahnverkehr – das Gleisdreieck könnte wieder zur Baustelle werden

Fahrradschnellwege, Abgrenzung der Fahrradwege von den Autospuren, Tempo 30 bestimmen in diesen Monaten die Debatte um den Verkehr in Berlin – dank des Fahrradvolksentscheides und der neuen rot-rot-grünen Koalition. Doch wer mal auf der Stadtautobahn zwischen den Blechkisten aus MOL, PM, HVL, OHV, B usw. im Stau gesteckt hat, weiß, dass es allein mit besseren Fahrradwegen nicht getan ist. Eines der fehlenden Elemente zu einer ökologischen Verkehrswende kommt nun aus Brandenburg, also von dort, wo auch die meisten Pendler herkommen, deren Zahl in den nächsten Jahren noch steigen wird. Es ist der Vorschlag der CDU, die ein „Netz 2030“ für den Bahnverkehr in Berlin und Brandenburg  vorgestellt hat.

In einer Fleißarbeit wurden 300 Brandenburger Bahnhöfe untersucht und schließlich zahlreiche Vorschläge für zusätzliche Züge und Verbindungen gemacht, für den Ausbau, bzw. Wiederinbetriebnahme von Strecken, für die Nutzung von Hybridzügen – Diesel und Elektro, für neue Signaltechnik, neue Park-and-Ride-Plätze u. a. Das Konzept sieht vor, dass zu den vorhandenen Regionalbahnen (RB), neue Angebote entstehen: der Regionalexpress (RX) und der Metropolenexpress (MX). Die Anzahl der Direktverbindungen nach Berlin würde gesteigert von bisher 164 auf 233 Brandenburger Bahnhöfe. Durch diese Maßnahmen könnten bis zum Jahr 2030 für 1,6 Millionen Brandenburger die Fahrzeiten nach Berlin erheblich verkürzen werden.

Liniennetz 2030, Seite 75 der Studie „Entwicklungsstrategie für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV) in Berlin und Brandenburg“, die die Inoverse GmbH im Auftrag der CDU-Fraktion im Landtag Brandenburg erarbeitet hat.

Link zur Studie: http://www.tagesspiegel.de/downloads/19551972/2/2017-03-03-studie-brandenburg.pdf

Um dieses Liniennetz zu schaffen, muss investiert werden und zwar hauptsächlich in Berlin. Dies betrifft auch das Gleisdreieck und die südlich daran anschließende „Stammbahn“. Dass die Stammbahn nicht als Fahrradschnellweg, sondern wieder für Bahnverkehr genutzt werden soll, ist für die Autoren der Studie völlig klar. Auf Seite 57 der Studie heißt es:

Die Potsdamer Stammbahn war bis 1945 die wichtigste Verbindung zwischen Berlin, Potsdam und der Region Werder (neben der S-Bahn nach Potsdam), wurde aber bis heute nicht reaktiviert. Für eine weitere Verbesserung der Anbindung des westlichen Berliner Umlandes sowie zur Entlastung der Berliner Stadtbahn ist der Wiederaufbau der Stammbahn unbedingt erforderlich. Ohne Stammbahn ist es nicht möglich, ausreichend Züge aus dem Westen Brandenburgs nach Berlin anzubieten.

An einem kleinen Ausschnitt aus dem Konzept, am Beispiel der Stammbahn von Potsdam über Zehlendorf/Steglitz, über Potsdamer Platz zum Hauptbahnhof seien die neuen Angebote erläutert.

Gesamtverkehr Potsdam – Berlin (Regionalverkehr), Fahrtenhäufigkeit und Haltekonzeption, Fahrten pro zwei Stunden, Seite 59 der Studie. Der aus Dessau kommende Regionalexpress (rot) hält zwischen Potsdam Hauptbahnhof und Potsdamer Platz nur in Zehlendorf, während der Metropolenexpress (türkis) noch an drei weiteren Bahnhöfen hält.

Was bedeutet das für das Gleisdreieck?

Die zwei Gleise der Stammbahn würden über die beiden westlichsten Yorckbrücken führen, den südlichen Zipfel der Kleingärten abschneiden, dann das heutige Beachvolleyball-Areal queren und  unter den Holzterrassen am vorhandenen Tunnelmund in die vorhandene Nord-Süd-Fernbahnstrecke einfädeln.
Luftbilder aus der Bauzeit des Eisenbahntunnels aus den 1990er Jahren zeigen, dass der Anschluss  für das östliche Gleis der Stammbahn damals schon gebaut wurde – eine millionenschwere Investition. Das östliche, nach Norden führende Gleis der Fernbahn liegt unter den vorhandenen Gleisen, um dann an das östlichste Gleis der vorhandenen Fernbahn anzuschließen. Der Anschluss für das westlichste Gleis der Stammbahn ist noch nicht vorbereitet worden. Er ist jedoch einfacher, weil keine anderen Gleise unterfahren werden müssen. In jedem Fall würden große Teile der Schöneberger Wiese im Westpark wieder zur Baustelle.

Rampe Fern- und Regionalbahn, Aufnahme von Oltmann Reuter, Flugdatum 20.01.1999.  Das Copyright für die beiden hier verwendeten Luftbilder liegt bei Oltmann Reuter, Luftbildverlag Berlin, der die Bilder gleisdreieck-blog.de freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat. Ein Nachdruck der Bilder ist nicht erlaubt, eine missbräuchliche Verwendung wird abgemahnt und verfolgt.
Baugruben gelenzt, Aufnahme von Oltmann Reuter, Flugdatum 23.06.1999.  Die Baugrube ist abgedichtet und betoniert, das Grundwasser abgepumpt. Deutlich ist der Anschluss für das östliche, tieferliegende Gleis der Stammbahn zu sehen. Am linken Bildrand sind weiße Betonfertigteile zu sehen, das sind die „Tübbinge“, runde Betonfertigteile, mit denen der durch Schildvortrieb erstellte Teil des Eisenbahntunnels ausgekleidet wurde.

Das Luftbild zeigt die Baustelle für den Fernbahntunnel im Jahr 1999. Ganz unten ist die Einfahrt in den Tunnel zu erkennen, die Wasserfläche aus Grundwasser ist der Bereich, in dem der Tunnel in einer offenen Baugrube erstellt wurde. Deutlich ist die tieferliegende Querung des östlichsten Gleises der Stammbahn zu erkennen. Am oberen Rand rechts ist die Baustelle des Parkhauses Debis zu sehen, dass nun teilweise wieder abgerissen werden soll.

In den Plänen der Planfeststellung für die Verkehrsanlagen im Zentralen Bereich ist die Stammbahn und der Anschluss an die Nord-Süd-Fernbahn so dargestellt:

Aus den Unterlagen der Planfeststellung Verkehrsanlagen im Zentralen Bereich, Fernbahn, Lageplan Blatt 8 von 14, Bau-FB km 2,9+72 bis Bau-FB km 3,7+05, vom 15.04.1994. Das westliche und das östliche Gleis der Stammbahn sind als schwarze Linien dargestellt. An die heutige Nutzung mit Schöneberger Wiese, Holzterrassen, Beachvolleyball war damals nicht zu denken. Die dunkelblaue Beschriftung zeigt, wie die heutigen Nutzungen die Bahnplanungen überlagern.
Ausschnitt aus den Unterlagen der Planfeststellung Verkehrsanlagen im Zentralen Bereich, Fernbahn, Querschnitt Bau-FB kam 3,0 + 50 Blatt 6 von 16, vom 15.04.1994.

Das Bild zeigt den Querschnitt durch die Fernbahnstrecke mit dem tieferliegenden Gleis der Stammbahn knapp nördlich der Hochbahn U1. Das Bild zeigt auch, dass die Tunneleinfahrt ursprünglich als offene Rampe gedacht war. Die Überdeckelung der Tunneleinfahrt wurde von der damaligen Bürgerinitiative IG Gleisdreieck im Planfeststellungsverfahren vorgeschlagen, um im späteren Park überhaupt eine Querung in Ost-West-Richtung zu ermöglichen. Im Anhörungsverfahren zur Planfeststellung im Jahr 1995 wurde die Überdeckelung des Tunnelmundes von den Vertretern der Bahn und der Senatsverwaltung abgelehnt mit dem Hinweis: „so was können nur Laien vorschlagen . . .“ Später wurde dann doch das gebaut, was die Laien vorgeschlagen hatten – zum Glück für den Park.

Die zweite große Baustelle im Westpark wird die für neue S-Bahnlinie S21 sein. Die S21 soll über das Parkhaus Debis führen, dann am U-Bahnhof Gleisdreieck vorbei Richtung Yorckstraße sich dort aufteilen in zwei Arme, die in die Wannseebahn und in die Anhalter Bahn Richtung Südkreuz führen.

Die Abbildung stammt aus der Bauvoranfrage von 1998 und zeigt einen Querschnitt durch das Parkhaus Debis, von Norden gesehen. Rot durchgestrichen der Teil, der in den nächsten Wochen abgerissen werden soll.

Links das Viadukt der U2, dann das Parkhaus, auf dem die S-Bahnlinie S21 fahren soll. Das sollten natürlich keine ICE’s mit Oberleitung sein, wahrscheinlich wusste der Architekt damals  nicht wie eine  S-Bahn aussieht. Richtig ist, dass an dieser Stelle drei Gleise vorgesehen sind. Das mittlere Gleis ist ein Abstellgleis. In der Statik des Parkhauses soll die Aufnahme der späteren S-Bahn konstruktiv vorgesehen worden sein. Nun soll der im Bild rot durchgestrichene Teil abgerissen und durch zum Park hin orientierte Wohnungen ersetzt werden.

Sicher hat der Teilabriss Auswirkungen auf die Statik des Parkhauses und damit auf den späteren Bau und Betrieb der S21. Ob und wie das geregelt wurde, ist leider nicht bekannt, da der Bezirk für das Vorhaben kein Bebauungsplanverfahren durchführen möchte.

Etwas weiter südlich am U-Bahnhof Gleisdreieck solle dann ein Umsteigebahnhof zwischen S21 und U1 und U2 entstehen. Im Zusammenhang mit den Planungswerkstätten zur sogenannten „Urbanen Mitte“ hat Prof. Oestereich 2015 ein Testentwurf für diesen neuen Bahnhof erstellt.

Testplanung: Modell des neuen Bahnhofs für die S21 am U-Bhf. Gleisdreieck

Weiter südlich schwenken die Gleise der S21 etwas nach Westen, überqueren die Fernbahn, und führen im Westpark unter der Hochbahn der U2 hindurch, teilen sich dann auf. Ein Arm führt wie die Regionalbahn Potsdam in den Graben der Wannseebahn, der zweite Arm führt Richtung AnhalterBahn/Südkreuz, östlich des Baumarktes Hellweg und östlich der Bautzener Straße.

Überlagerung der Bahnplanungen mit dem Park. Die Zahlen bezeichnen einzelne Punkte, die weiter unten im Text erläutert werden.
  1. Regionalbahn Potsdam Berlin (Stammbahn) überquert die Yorckstraße
  2. das westliche Gleis der Stammbahn, im gestrichelten Bereich unterirdisch
  3. das  östliche Gleis der Stammbahn, im gestrichelten Bereich unterirdisch
  4. die westliche Trasse der S21 Richtung Wannseebahn
  5. die östliche Trasse der S21 Richtung Anhalter Bahn/Südkreuz
  6. neuer Bahnhof der S21 am Gleisdreieck, Umsteigen zu U1 und U2
  7. die Gleise der S21 überqueren die Fernbahn, unterqueren die Hochbahn U2, blau eingezeichnet ist der Fuß- und Radweg, der vom Westpark zur Yorckstraße gehen soll. An dieser Stelle führt er unter den beiden Bahnen S21 und U2 hindurch.
  8. der Fuß- und Radweg führt über den Damm zwischen S1 westlich und Posttunnel östlich. Nördlich und südlich dieser Stelle unterquert er die Gleise der S21
  9. Zwischen der Trasse der S21 und dem Baumarkt Hellweg ist kein Platz mehr für den Fuß- und Radweg. Die Höhenlage der S21 ist an dieser Stelle noch nicht ausreichend, um den Weg unter Bahn hindurchzuführen, ein schwer zu lösendes Problem.
  10. Hier soll der Fuß- und Radweg über das Dach des Biomarktes führen, dann über die Brücke N. 5 über die Yorckstraße. Hier gibt es zwei Probleme: der Biomarkt ist einen Meter zu hoch geworden, über die Nutzung der Brücke Nr. 5 gibt es Streit zwischen den Denkmalschützern und den für Brücken zuständigen Beamten. Die Brückenbauer fordern den Umbau der Brücke in der Weise, dass sie auch hält, wenn beispielsweise durch einen Verkehrsunfall einer der Brückenpfeiler beschädigt wird und ausfällt. Die Denkmalschützer lehnen eine solche Umgestaltung jedoch ab.

Die Baulogistik – ein Riesenproblem

Der Gesamtplan zeigt, wie sich der Westpark durch die S21 und die Stammbahn  verändern wird – wenn mal alles fertig gebaut ist. In der Bauphase werden jedoch  noch größere Teile für die Nutzung als Park ausfallen, z. B.  Teile der Schöneberger Wiese sowie des Spielplatzes unter der U1 am U-Bahnhof Gleisdreieck. Kaum vorstellbar, wenn man sieht, wie intensiv der Park in diesen Tagen genutzt wird. Dazukommen noch die Bauvorhaben am Parkhaus Debis und für die (fünf?) Hochhäuser im sogenannten Baufeld Urbane Mitte  am U-Bahnhof Gleisdreieck.

Ein Riesenproblem wird Ver- und Entsorgung der Baustellen sein. Die Luckenwalder Straße, die Schöneberger Straße und die Zufahrt vom Schöneberger Ufer (Kanaluferstraße) auf das Grundstück des Parkhauses Debis sind die einzigen vorhandenen Zufahrten – und jetzt schon über Gebühr belastet. Der Bau der Fundamente für die Container der Brauerei am Gleisdreieck hat letztes Jahr für ein riesen Verkehrschaos gesorgt. Siehe Bericht: https://gleisdreieck-blog.de/2016/08/18/chaotischer-probelauf-fuer-den-bau-der-urbanen-mitte-am-gleisdreieck/

Für den Bau der Regionalbahn und der S21 ist jedoch eine Lösung vorstellbar: Wie in den 1990er Jahren, als Potsdamer Platz und Tiergartentunnel gebaut wurden, könnte über die Stammbahn ein Logistikgleis die Baustellen der Bahn ver- und entsorgen.

Das Copyright für die beiden hier verwendeten Luftbilder liegt bei Oltmann Reuter, Luftbildverlag Berlin, der die Bilder gleisdreieck-blog.de freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat. Ein Nachdruck der Bilder ist nicht erlaubt, eine missbräuchliche Verwendung wird abgemahnt und verfolgt.

4 Kommentare zu “Neues Konzept für den Bahnverkehr – das Gleisdreieck könnte wieder zur Baustelle werden

  1. Es gab doch mal den Plan, eine Fahrradbrücke über den Landwehrkanal zu bauen, welche Straße und Wasser überspannt. Gibt es da was Neues?

    Sehr schöner Artikel!!

  2. Vielen Dank für einen wieder einmal tollen Artikel. Vor allem die Grafiken mit Erläuterungen begeistern mich immer wieder sehr. Die professionellen Journalisten könnte sich bei Ihnen eine Menge abschauen, wie man Stadtentwicklungsplanungen veranschaulicht.

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